Drei neue Beiträge

Drei Beiträge sind in den letzten Tagen auf „Hundert11“ unter dem neuen Dach des VAN Magazins erschienen. Noch einmal möchte ich Sie herzlich dorthin einladen: van-magazin.de/hundert11. Sie finden ausführliche Berichte über die Berliner Mahler-Konzerte des Concertgebouworkest mit Iván Fischer und des London Symphony Orchestra mit Simon Rattle: Eins ließ mich kalt, eins packte mich sehr, trotzdem überlegte ich, schon vor dem Ende zu gehen. Im Saisoneröffnungskonzert des Deutschen Symphonie-Orchesters mit Robin Ticciati gefiel mir das sogenannte Vorprogramm fast noch besser als Mahler. Und dann war da noch die große Aufführung von Hector Berlioz‘ Oper „Les Troyens“, ohne John Eliot Gardiner, aus Gründen, von denen Sie gehört haben werden.

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Solide katastrophal: Nagano dirigiert Mahler beim DSO

Ein wenig haben die wohl nicht restlos glücklichen Jahre als Generalmusikdirektor der Staatsopern in München und Hamburg den Ruf von Kent Nagano lädiert. Aber seine regelmäßig wiederkehrenden Gastdirigate in Berlin, wo er von 2000 bis 2006 das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO) leitete, empfinde ich ebenso regelmäßig als befriedigend und erfreulich. Nun hat Nagano an zwei Abenden in der Philharmonie beim DSO Gustav Mahlers 6. Sinfonie a-Moll: solide gelungene Saisonbeendigungskatastrophe.

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Walpurgisch: Juraj Valčuha und Saleem Ashkar im Konzerthaus mit Ravel und Berlioz

Idée fixe umarmt Komponist

Das vielbeachtete Berliner-Philharmoniker-Debüt von Klaus Mäkelä letzte Woche habe ich bewusst ausgelassen. Denn der Auftritt des dirigentischen Jungwunders im vergangenen Herbst mit dem Concertgebouw-Orchester, dessen designierter Chef Mäkelä ist, hinterließ bei mir zwiespältige Gefühle sowie den Eindruck, dass diesem Hochbegabten etwas weniger steiler Rummel besser täte. Ein fast doppelt so alter, aber noch immer sehr jugendlich wirkender Dirigent, dem ich hingegen eher mehr Aufmerksamkeit wünschte, ist der Slowake Juraj Valčuha. Als erster Gastdirigent des Konzerthausorchesters tritt er regelmäßig am Gendarmenmarkt auf. So auch in den letzten Tagen dieses Aprils.

Rund ums Schloss Bellevue singen schon überall die Nachtigallen, und am Spreeufer Höhe Paul-Löbe-Haus wird wieder argentinischer Tango getanzt, wenngleich noch bei eher feuerländischen Temperaturen. Dazu Ravel und Berlioz im Konzerthaus, das ist alles schon wie gemacht für einen glücklichen Abend.

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Ordnend: Quatuor Diotima spielt Ligeti & Janáček, Berliner Philharmoniker mit Alan Gilbert

Unordnung greift nach dem modernen Künstler (Symbolbild)

Muss das ein Vergnügen sein: einen ganzen Abend lang nur Leoš Janáček und György Ligeti zu spielen, zwei der tollsten Komponisten, wo überhaupt gibt unter Gottes weitem Ohr. Das französische Quatuor Diotima gönnt sich, und dem Publikum. Und zeigt damit (nach Bertrand Chamayous Klavierabend) noch einmal, dass bei der Halb-Ligeti-halb-ganz-anderes-Biennale der Berliner Philharmoniker die stringentesten Beiträge im kleineren Rahmen stattfinden.

Vor ein paar Tagen im DSO-Konzert, wo es Ligeti + Haydn + Haydn + Ligeti gab, ließen mich die entfesselten Huster an ein Weltraummonster denken, über das der Held in Ian McEwans Zementgarten liest – Captain Hunt soll das Monster zur Strecke bringen! Nun, bei György Ligetis zweitem Streichquartett kam mir in den Sinn, wie ebenjener Captain Hunt in seinem Raumschiff für Sauberkeit sorgt:

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Vielbödig: DSO und Ticciati spielen Haydn & Ligeti

Ein Konzept! Hach! Programm-Architektur! Nach zwei Biennale-Konzerten der veranstaltenden Berliner Philharmoniker mit viel Schönem, aber wenig Zusammenhang präsentieren Robin Ticciati und „sein“ Deutsches Symphonieorchester die Festival-Hauptfigur György Ligeti in einer ausgeklügelten Dramaturgie. Das ist umso erfreulicher, als Ticciatis programmatische Einfälle zwar oft höchst ambitioniert sind, aber es in der Praxisprobe dann manchmal klappert. Hier jedoch knackt’s: Haydn + Ligeti + Haydn + Ligeti + Ligeti + Haydn. (Nur ein Knall wird dann fehlen.)

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Biennale 2: Bertrand Chamayou spielt Klavier, Pintscher dirigiert die Philharmoniker

Rein staturmäßig passt auch König Ubu ideal in die 50er Jahre…

Einen Lapsus der Biennale der Berliner Philharmoniker bügelt (48 Stunden vor deren zweitem Konzertprogramm, dazu unten mehr) der französische Pianist Bertrand Chamayou beiläufig aus, zumindest ein bisschen: Seine erste Zugabe ist eine stupende Etüde von Unsuk Chin. Und die ist nicht nur Schülerin von György Ligeti, der im Mittelpunkt der Biennale steht, sondern auch eine jener ominösen Frauen, deren Fehlen als Komponistinnen im zweieinhalbwöchigen Festivalprogramm hier oder auch hier bemängelt wurde. Ansonsten hat der lässige Zuschnitt der Biennale zu den 1950ern und 60ern, sehr weit um Ligeti herum, sein Gutes wie sein Schlechtes. Thematisch geht es bis zu Heimatfilmen und Architekturavantgarde, auch Chansons mit Tim Fischer gibt’s. Das ist schön in der Abwesenheit von Berührungsängsten, aber es dräut auch Ein-Kessel-Beliebiges-Risiko, für ein wirklich kuratiertes Programm fehlen manchmal (außer Frauen) Pointierung und stringente Bezüge. In Chamayous imposantem Soloabend im Kammermusiksaal ist genau das aber da.

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Berliner Philharmoniker mit Daniel Harding spielen Ligeti und Nasses

Lontano wäre die ideale Eröffnung der zweieinhalbwöchigen Biennale, die die Berliner Philharmoniker der Musik der 1950er und 60er Jahre widmen und deren Schwerpunkt György Ligeti ist – längst ein Klassiker wie Beethoven und Brahms, jawohl. Mit dem langen Ton eines unbekannten Instruments beginnt Ligetis Lontano von 1967, beim Hinsehen entpuppt es sich als Zusammenklang von Flöten und Celli. Und dann umhüllt und umkapselt die Musik den Hörer, trägt ihn in mikropolyphone Milchstraßen, ein Echtraumerlebnis und Echttraumerlebnis, wie es nur im SAAL möglich ist. (Hier eine lesenswerte Lontano-Einführung von Martin Hufner.)

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Ultraschall-Festival 1. und 2. Tag

Konzerte des DSO, des RSB und des SWR-Experimentalstudios

Mit zwei vielseitigen, teils prachtvollen Orchesterkonzerten sowie einem interessanten elektronischen Spätabendtermin eröffnet das diesjährige Ultraschall-Festival für neue Musik, endlich wieder in halbwegs normalen postpandemischen Umständen. Man geht einfach so ins Charlottenburger Haus des Rundfunks. Auf dem Programm am Mittwoch und Donnerstag stehen beim Deutschen Symphonie-Orchester (kurz DSO) und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) sage und schreibe acht verschiedene Komponistinnen; Männer sind mitgemeint. Dabei stehen die beiden Werke, die mich am wenigsten interessieren, an den gegensätzlichen Enden der Skala heutigen Komponierens – hier Autoreferenzialität der Musikgeschichte, dort explizites Engagement hinaus in die Welt.

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Eckrundend: John Eliot Gardiner dirigiert Beethovens „Missa solemnis“

Kaum fängt das Musikfest Berlin so richtig an, ist für mich auch schon Schluss, denn ich ziehe aus Gründen für einige Monate nach Bonn. Da ist Beethoven natürlich die passende Abschiedsmusik. Denn den Trennungsschmerz pflegt die Geburtsstadt, in die der Boss bekanntlich niemals zurückkehrte, so fleißig, dass dort sogar ein Volkslauf sich „Beethoven-Lauf des Deutsche Post Marathon Bonn“ nennt. (Da ist wirklich alles drin: van B. + BRD noir + zeitgemäße Keine Bindestrich Benutzung.) Und zweiter Grund natürlich, dass John Eliot Gardiner dirigiert,  traditionell ja eine sichere Bank bzw Post beim philharmonischen Saisonstartfestival.

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Turbulenzromantisch

Iván Fischer im Konzerthaus, Petrenko und Oramo bei den Berliner Philharmonikern: Entdeckungsreisen von Sinigaglia bis Langgaard

Drei hochinteressante Programme, reich an Unbekanntem: Iván Fischer ist zwar formal bloß der Ex, aber irgendwie doch der Chefdirigent der Herzen am Konzerthaus, jeder seiner Besuche ein Hochlicht. Boss Kirill Petrenko gab bei den Berliner Philharmonikern letzte Woche das vielleicht wichtigste Konzert der Saison. Und dieser Tage dirigierte Sakari Oramo ebendort ganz Seltsames: ein unverschämtes Werk, das alle hundert Jahre gespielt wird.

Foto: Steven Mathey CC BY-SA 4.0
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Pausenbericht

Worüber ich nicht geschrieben habe

Die Abonnenten merken es, im Moment schreibe ich nicht so häufig in diesem Blog wie gewohnt. Aus persönlichen und aus Energieeffizienz-Gründen. Dabei wäre einiges Gehörte und Erlebte der Nachrede wert gewesen! Ein Klavier- und ein Xenakis-Festival etwa, verschiedene Sinfoniekonzerte, oder auch ein Klavierabend von Grigory Sokolov.

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Vogelwerdend

„into the sky“ mit dem hr-Sinfonieorchester, Lubman, Aimard

To love a mockingbird

Hut ab, das ist mal ein Gastspiel der anderen Art. Während reisende Orchester ihren Auditorien sonst gern Feuervögel oder Pathétiquen reinbuttern, um zu zeigen, was man auf der Pfanne hat, spielt das hr-Sinfonieorchester Frankfurt in Berlin: George Crumb, Augusta Read Thomas, Olivier Messiaen und Claude Vivier. Mut in der Tradition von Hans Rosbauds Frankfurter Rundfunk-Symphonie-Orchester. Wenn auch exakt Programm der Art, dass Zuhörer im Großen Saal der Philharmonie einander per Handschlag begrüßen können müssten. Doch der Saal hat sich ziemlich gefüllt; wie, das bleibe mal Betriebsgeheimnis des Veranstalters. Dem man das Beste wünscht für seine hiermit begonnene Konzertreihe GREAT!CLSX, bei der vorzügliche Orchester auch weiterhin keine Petruschken und Boleri spielen werden, sondern Meisterwerke von Zemlinsky und Ives bis zu Lutosławski und Gérard Grisey. Im besten Sinn kompromisslose Programme, die dennoch breitenkompatibel erhofft werden, frei von Voraussetzungen außer der einen: die Ohren zu öffnen.

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Innovationsgipfelnd

RSB und DSO erproben neue Konzertkonzepte und Konzeptkonzerte

Innovationsgipfel erwarten dich

„Innovative Formate“ sind für manch emsigen Konzertgänger eher Drohung denn Verheißung. Trotzdem, man will nicht borniert sein, also imma rin inne jute Innovationsstube. Denn jene beiden vortrefflichen Berliner Orchester, die ohnehin häufig die originelleren, mutigeren Programme bauen als die berühmten Philharmoniker-Kollegen, präsentieren zum „World Earth Day“ Unbekanntes wie auch Wohlvertrautes auf ungewohnte Weise: das Rundfunk-Sinfonieorchester erdwühlend mit Vladimir Jurowski im Haus des Rundfunks, und in der Philharmonie das Deutsche Symphonie-Orchester gipfelstürmend mit Andris Poga anstelle des erkrankten Robin Ticciati sowie (nanu?!?) Reinhold Messner.

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Sternfallend

Der RIAS Kammerchor singt Musik aus Jahrtausenden und die Uraufführung von Jüri Reinveres „Die Vertreibung des Ismael“

„Ist Gott mit den Sternen?“, fragt der kleine Ismael in der nächtlichen Wüste, in die er mit seiner Mutter Hagar vertrieben wurde (vertrieben, wie es auch heute Millionen Menschen werden), und: „Können die Sterne auch runterfallen? Sieht das dann so aus wie Regen?“ Der Glaube droht sich im Niederschlag aufzulösen, Gottessturz. Aber die Mutter antwortet dem Kind nicht mehr, sie schweigt. Und Engel sind anscheinend auch nicht zu erwarten. Es ist der beklemmende Schluss von Jüri Reinveres Die Vertreibung des Ismael, einem Vokalwerk nach der Erzählung aus Genesis, das der RIAS Kammerchor unter Justin Doyle eindrucksvoll im Kammermusiksaal der Philharmonie aufführt. Und bei diesen ins Leere fallenden letzten Fragen des unglücklichen Kindes (das in der koranischen Überlieferung einer der großen Propheten und Erbauer der Kaaba sein wird) widerhallt im Ohr Musik aus dem 13. Jahrhundert, die der Chor zuvor sang: Santa Marìa, Strela do día. „Tagesstern“: So heißt die Muttergottes in dem galicisch-portugiesischen Gedicht aus einer Sammlung des kastilischen Königs Alfonso X el Sabio. Es gehört zum gewichtigen ersten Konzertteil, der weit mehr als eine Hinleitung auf die Uraufführung ist.

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Feuertortig

DSO, Ticciati, Christian Tetzlaff spielen Brahms und Elgar

Johannes Brahms und Joseph Joachim bei der Vorbereitung der Uraufführung des Violinkonzerts im Dezember 1878

Robin Ticciati, Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, ist niemals faul oder bequem oder würde es sich leichtmachen – im Gegenteil. Und dafür lieben ihn das Publikum und sehr spürbar auch seine Musiker. Auf mich wirkt er nicht immer, aber immer wieder mal vor angespannter Ambition, sagen wir, unfrei. Auch bei Johannes Brahms‘ Violinkonzert meine ich das zu spüren. Das soll oder besser muss ein Brahms ohne Goldrand und Rauschebart werden, keinesfalls tortig! Darin ist der Dirigent mit dem Solisten Christian Tetzlaff einig.

Bedenklich hektisch scheint mir Ticciatis Körpersprache anfangs, voller Fuchteln und Beugen. Bei Tetzlaff ist es ähnlich, auch wenn es organischer wirkt. Aber fast ist einem, als sähe man da Rumpelphilipp und Zappelstilzchen auf dem Podium der Philharmonie. Die Beschreibung des optischen Eindrucks klingt nun vielleicht kritischer, als es gemeint ist. Es ist ja enorm einnehmend, dass die beiden Musiker in dieser großen Musik, die – seien wir ehrlich – auch mal runtergespielt wird, wild entschlossen sind, keine Nebensächlichkeit zu dulden. Wie Tetzlaff aus zerklüftetem Beginn seines Parts alsbald in den ruhevoll leuchtenden Ton einstimmt, den das Orchester eingangs vorstellte (trotz unruhigem Fuchteln), das ist berührend. In der Kadenz wird sich diese Art Umschlag imposant wiederholen.

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