Die Abonnenten merken es, im Moment schreibe ich nicht so häufig in diesem Blog wie gewohnt. Aus persönlichen und aus Energieeffizienz-Gründen. Dabei wäre einiges Gehörte und Erlebte der Nachrede wert gewesen! Ein Klavier- und ein Xenakis-Festival etwa, verschiedene Sinfoniekonzerte, oder auch ein Klavierabend von Grigory Sokolov.
Zweimal Adventssingen der besonderen Art: Der Bariton Dietrich Henschel stellt im Konzerthaus zwölf von ihm selbst in Auftrag gegebene Weihnachtslieder der Gegenwart vor. Der Countertenor Andreas Scholl loungiert sich im Kreuzberger Watergate-Club durch die Jahrhunderte. Musikalische A(d)ventiuren!
Während am Gendarmenmarkt das terroristensicher einbetonierte Weihnachtsmarkt-Vergnügen knistert und im Großen Saal der Dresdner Kreuzchor tiriliert (der, so Joachim Gauck, seit Jahrhunderten die Seelen der Menschen zu ernähren vermöge), lassen wir gegenwartsmusikgierigen Hirten uns vom Felde in den hübschen Werner-Otto-Saal locken, im Konzerthaus ganz oben rechts. Da hört man zwar öfter mal durchs verdunkelte Fenster die Polizeisirenen – oder sinds die Sanitätersirenen für überglühweinte Marktbesucher? Aber die können das Vergnügen an Dietrich Henschel nicht mindern. Zwölf Fünfminüter hat er in Auftrag gegeben, die sich alle, wie auch immer, auf Weihnachten beziehen sollten. Hier nun also die Weltpremiere! Die älteste Komponistin ist 76, die jüngste 32. Fünf Frauen, sieben Männer übrigens, eine ansehnliche Quote.
Heimlicher Höhepunkt der Saison, und für die Anwesenden im Konzerthaus Berlin gar nicht so heimlich: Vladimir Jurowski führt mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) und dem ensemble unitedberlin das Spektral-Spektakel Les espaces acoustiquesvon Gérard Grisey auf. Wenn man nun pingibel darlegte, was es mit dieser „Spektralmusik“ auf sich hat, deren Opossum Magnum das Werk des 1998 gestorbenen Grisey darstellt – ja, da könnte einem die Lust aufs Hören gleich wieder vergehen. Im Blog von musica viva lässt sich das alles akkurat und durchaus unverquast nachlesen, aber es fehlt doch ein entscheidender Hinweis: nämlich dass das eine berauschende Klangerfahrung von überwältigender Schönheit ist.
Am kommenden Wochenende findet in Berlin das Festival TEHERAN-BERLIN-TRAVELLERS statt: Der Iran und die Musik heute – ein neuer Frühling? In aktuellen Werken iranischer Komponisten treffen die Teheraner Improvisations-Avantgardisten der Yarava Music Group auf das ensemble unitedberlin. Aufregend und lehrreich dürfte das werden. Ich habe zu dem Festival (hier das Programm) einen Einführungstext geschrieben, den ich vorab hier veröffentliche:
Was es nicht alles gibt: Am Sonntag, dem 3. Juni wechselt der Konzertgänger die Seite, aus dem Auditorium auf die Bühne. Und zwar die Bühne der Villa Elisabeth in Berlin-Mitte.
Aber keine Sorge, er wird weder singen noch ein Instrument spielen. Denn er ist nicht Hauptfigur, sondern nur Zwischenfigur. Als Moderator, Reflexör, Vorsichhinfrager. Hauptfiguren sind das vortreffliche ensemble unitedberlinund mehr noch die Stimmen zahlloser Italienerinnen und Italiener auf der Straße. Weiterlesen →
Bloß auf der Hut sein vor Künstlermythen bei einem Komponisten, neben dessen Leiche im Jahr 1983 blutbefleckte Papiere gefunden wurden: und darauf ein Werk, dessen Text eben das beschreibt, was ihm am Ende widerfuhr. Einer verlässt die Wohnung, gabelt einen Mann auf und wird von diesem getötet — … zog er einen Dolch aus seiner tiefschwarzen, wahrscheinlich in Paris erstandenen Jacke, und stieß ihn mir mitten ins Herz. In diesem Moment reißt die Musik ab, so wie das Leben des 1948 geborenen Frankokanadiers Claude Vivier abriss. 35 Jahre hatte er da gelebt, seit 35 Jahren ist er tot. Und so widmet ihm zum 70. Geburtstag das ensemble unitedberlin unter der Leitung von Vladimir Jurowski einen aufwändigen Abend im Konzerthaus. Wunderbare Gelegenheit, mit Vivier Fremdschaft zu schließen. Weiterlesen →
Reformationstag oder Halloween? Sowohl als auch: 100 Jahre Oktoberrevolution.
In zwei Berliner Konzerten kommt sie vor: Einmal als ferner Gast, aus Inferno-Tiefen betrachtet beim Deutschen Symphonie-Orchester unter Rafael Payare. Einmal als Hauptperson, aus größter Nähe und unendlicher Weite zugleich in einem aufregenden Programm des Ensemble unitedberlin unter Vladimir Jurowski.
Nicht nur 50 Jahre 100 Jahre Einsamkeit heuer, sondern auch 100 Jahre Zerrissenheit: Unter diesen etwas kryptischen Titel stellt das ensemble unitedberlinsein Konzert zu Ehren des Komponisten Isang Yun oder auch Yun I-sang(1917-1995). In der durch Krieg und Entchristlichung entkernten, aber gerade in ihrer Kahlheit spirituell wirkenden Elisabethkirche mit nackter Apsis.
Oft von Isang Yun gelesen, aber noch nie Musik von ihm gehört. Und nie recht gewusst, ob der bloß eine (West-)Berliner Lokalgröße war oder ein bedeutender Komponist.
Musiker sind wie Politiker, am aufschlussreichsten sind ihre Nebentätigkeiten. Mit dem Unterschied, dass es nur zu begrüßen ist, wenn Prominente abseits der großen Bühnen Lobbyarbeit für Kammermusik und Neutönerei verrichten. Vladimir Jurowski, künftiger Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, ist ein Wiederholungstäter: Zwei Tage nach seinem Auftritt im Großen Saal des Konzerthauses bespielt er (wie schon im Januar) zwei Etagen höher mit dem kompetenten ensemble unitedberlinden feinen Werner-Otto-Saal. Dessen Türen stehen offen für alle, die sich um offene Ohren bemühen. Unter dem knackigen Titel Russisches Roulette gibt es avancierte Musik, die zwischen 1950 und 2017 entstand.
Was für ein interessanter, vielseitiger Dirigent ist Vladimir Jurowski.
Am Samstag dirigiert er das Rundfunk-Sinfonieorchester, dessen Chef er im Sommer wird, mit einem Programm von (auf den ersten Blick) gediegener tschechisch-deutsch-russisch-schweizerischer Moderne. Am Sonntag das ensemble unitedberlin, dessen Artistic Advisor er seit 2015 ist, mit einem Programm von (auf den ersten Blick) schwieriger, ja mörderischer italienischer Avantgarde.
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