Brahms der Vorbildliche (so Alfred Schönburg in einem vergessnen Aufsatz anno 1399) ist gerade der Richtige für dieses Programm: 20 Jahre lang, in denen ihm ein riesiger Bart wuchs, bosselte Meister Johannes an seinem 3. Klavierquartett, das in c-Moll steht wie die ebenfalls Mitte der 1870er fertiggestellte erste Sinfonie. Beide sind Ziel eines langen, langen Wegs und zugleich Beginn eines neuen, ins Offene. Und wir? Die Veranstaltung im Konzerthaus am Gendarmenmarkt gehört zum Berliner Pilotprojekt Perspektive Kultur, das standesgemäß mit den Philharmonikern begann und im Weiteren auch schon wieder unter die Räder kommt: Die Ostersonntagsvorstellung an der Deutschen Oper wird ausfallen. Das Wort Perspektive löst derzeit bei vielen Menschen kaum mehr als Skepsis und Trübsinn aus, und die Frage ist, ob wir auf der dritten oder Dauerwelle der Pandemie irgendwann reiten können oder nur noch untendurch zu tauchen versuchen.
WeiterlesenArchiv des Autors: Albrecht Selge
Wie ich lernte, Lutosławski zu lieben
Über allen Sälen ist Ruh, in allen Opern spürest du kaum einen Hauch. In diesem Blog herrscht darum derzeit meist Stille. Zur fatalen Lage vor allem freischaffender Künstler hier ein informativer Beitrag im Deutschlandfunk. Aufmerksame Berichterstattung übers gestreamte Konzertleben finden Sie im Blog des geschätzten Kollegen Anton Schlatz. Ich arbeite momentan meist an meinem neuen Roman. Und einen Text von mir über meine Liebe zu dem magnifiken Komponisten Witold Lutosławski finden Sie im neuen VAN Magazin.
Ein Kapitel aus „Beethovn“

Beethoven war nicht da. So lautet der eröffnende Satz meines Romans Beethovn, dessen erstes Kapitel Sie hier lesen können. Das will ich Sie aber nicht tun lassen, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei Beethovn um „eins der schönsten Beethoven-Bücher, die es überhaupt gibt“ (Jan Brachmann in der FAZ) handelt. Und dass Sie den Roman in jeder Buchhandlung kaufen können, am besten natürlich in Ihrem Lieblings-Buchladen, aber ebenso bei Online-Händlern wie buecher.de, Osiander, Thalia oder Amazon.
zur leseprobeSieben Arten, Bruckner zu lieben
Keine Zeiten für Konzerte, nun gut. Aber Gelegenheit, sich zum Beispiel nach Bruckner zu sehnen. Raumbruckner, nicht Konservenbruckner. Im neuen VAN Magazin plaudere ich über sieben Arten, Bruckner zu lieben: von Bläsern, Fricklern und Mystikern. Hier zu lesen
Byzantopisch: Kaan Bulak im Kammermusiksaal
Die großen Opernhäuser und institutionalisierten Orchester werden den neuen Wellenbrecher-Lockdown schon überleben, wir leidenschaftlichen Konzertgänger auch irgendwie, selbst die Junkies unter uns. Arg wird es für die freien Künstler, nie klang das Wort „frei“ darin so bitter wie derzeit. Aber klagen und jammern hilft nichts, konkrete Forderungen schon. Helge Schneider hat gerade einen herrlichen offenen Brief dazu veröffentlicht, den ich unten in diesem Beitrag (damit Sie weiterlesen!) wiedergebe. Naja, und bevor die Schotten dicht gehen, wollen wir nochmal „freie Künstler“ hören: Hymnen der Zeit mit dem Kaan Bulak & Ensemble im Kammermusiksaal der Philharmonie.

Wildreich: Gyldfeldt Quartett debütiert mit Nielsen
Zu den vergleichsweise goldenen Bedingungen, die unser Land großen Kunsttalenten bietet, gehört das über 60 Jahre alte Konzertformat Debüt im Deutschlandfunk Kultur, das anfangs RIAS stellt vor hieß und bei der sich einst die jungen Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim oder Jessye Norman vorstellten. Um so wertvoller in diesen bleiernen Viruszeiten! Die außergewöhnliche Lage wirft ihre Schatten wild herum: Das ursprünglich vorgesehene Simply Quartet konnte nicht aus dem Risikogebiet Wien ins Risikogebiet Berlin reisen, und so bietet das junge Leipziger Gyldfeldt Quartett hochwertigen Ersatz. Auf dem Programm stehen zwei ziemlich bekannte sowie ein fast völlig unbekanntes Werk.

Liebesverwesend: Luca Francesconis „Quartett“ an der Staatsoper Berlin
Alljährliche Aufführung eines zeitgenössischen Werks an der Staatsoper Unter den Linden – wo das Publikum schon vor Corona Abstand hielt und wo der vereinzelte Kenner sich bereits keinen Crémant leisten konnte, als die Bar noch geöffnet war. Mit Vereinzelung hat auch (wieder mal und natürlich, möchte man fast sagen) Luca Francesconis 2011 uraufgeführte Oper Quartett zu tun, deren zweite Vorstellung ich besuche. Denn nirgends ist der Mensch so vereinzelt wie in der Folgeaufführung eines Neue-Musik-Stücks nach der Premiere sowie im Auf und Ab des Liebesbegehrens.
Eine halbe Erdkugel aus Beton füllt die Bühne, eine Mischung aus Todesstern und Hodscha-Bunker; oder auch ein riesiger abgespielter Fußball (Bühne Barbara Hanicka). Endlich erfährt man mal, wie es im Inneren so eines abgespielten Balls aussieht: sehr trostlos, momentweise nicht unerotisch, aber viertelstundenweise langweilig.
WeiterlesenDrei-Generationen-Konzert-hoppend: Vom Konzerthaus über die Komische Oper in die Philharmonie
Ich hatte mir vorgenommen, mir als Konzertgänger und den Meinen keine eskalierenden Terminballungen mehr aufzuhalsen: Aber am vergangenen Wochenende war ich doch wieder in drei Konzerten innerhalb von 21 Stunden. Einmal mit dem alten Vater, einmal mit dem kleinsten Söhnchen, einmal mit der Frau. Samstagabend Konzerthaus, Sonntagfrüh Komische Oper, Sonntagnachmittag Philharmonie.

„Die Walküre“ an der Deutschen Oper Berlin
»Man darf als Regisseur den manischen Ring umwenden, verdrehen, auch bekämpfen und verspotten, ja zerstören – aber ihn kleinmachen?« — Mein Bericht zur neuen WALKÜRE an der Deutschen Oper Berlin ist fast so lang geworden wie das Werk selbst und seit heute im schönen neuen VAN Magazin nachzulesen.
Nächtliche Notiz zur neuen „Walküre“ an der Deutschen Oper

Startschuss zum neuen RING DES NIBELUNGEN-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin, pandemieausfallbedingt mit der WALKÜRE. Dass der Rheingold-Vorabend fehlt, dürfte aber nicht das Hauptproblem für Stefan Herheims Inszenierung sein. Eher, dass man ihr variiertes Einheitsbühnenbild (zahllose Koffer sowie ein Konzertflügel und große Wackeltücher) schon nach dem zweiten Akt einigermaßen über hat. Wie soll denn das bis zur GÖTTERDÄMMERUNG tragen? Auch an sich nicht uninteressante Kopfgeburten wie ein Gollum-artiges Söhnchen für Sieglinde und Hunding richten mehr zerfasernden Nervschaden als gegenlichtige Erkenntnis an. Aber wer weiß, was noch kommen wird. Und das Orchester klingt ziemlich gut. Und Lise Davidsen dürfte die stimmmächtigste Sieglinde aller Zeiten sein. Und Nina Stemme als Brünnhilde, ah, La Stemme: Die macht alles groß. Auch das zu klein Gedachte.
Jetzt erstmal schlafen und morgen frisch nochmal drüber nachdenken. Am Mittwoch erscheint dann mein ausführlicher Artikel über die neue WALKÜRE im VAN Magazin.
Hörstörung (27): Wenn alle weg sind, fehlen sie auch wieder
Nun also zum ersten Mal seit, Sie wissen schon, wieder Berliner Philharmoniker, mit Kirill Petrenko. Schönes Konzert, aber es will sich, obwohl tadellos gespielt, nicht völlig philharmonisch anfühlen. Dabei ist die Philharmonie ja ein ausgesprochen freundlicher Hochsicherheitstrakt, das Lächeln des Personals strahlt durch alle Masken, die Farben des Wegeleitsystems illuminieren schön die Treppen des Scharoun-Hauses; und gibt es auch zero Gastronomie, so sind außer den Handdesinfektionsstationen auch Wasserspender aufgestellt. Nicht verwechseln!
WeiterlesenWiederwurzelnd: RIAS Kammerchor singt 600 Jahre
Auf in die Mundhöhle des Corona-Löwen: erstes Chorkonzert seit Februar! Es beginnt um 21 Uhr im Hochsicherheitstrakt Philharmonie, spät genug, um nachmittags noch mit dem Söhnchen ein vielleicht letztes Mal für dieses Jahr ins Strandbad zu gehen. In Berlin arbeiten wir ja nicht. Außer den Künstlern!

Fliegenfallend: Juraj Valčuha und Simone Lamsma
Erstmals wieder im Konzerthaus Berlin seit, Sie wissen schon. Ein bissl spooky ists schon, derart ausgedünnt im Großen Saal, jede zweite Reihe ausgebaut, je zwei von vier Plätzen in den verbleibenden Reihen bleiben frei. Andererseits, allein in der Loge mit meiner Marquise finde ich schon standesgemäß. Wenngleich die eingelegten OBI-Spanplatten über der verschwundenen ersten Logenreihe etwas subaristokratisch wirken; vor allem aber fehlen natürlich die diskreten Vorhänge vor der Loge, falls man, Sie wissen schon.
WeiterlesenMitziehend: Zafraan Ensemble eröffnet Monat der Zeitgenössischen Musik
Johannes Brahms, mit dessen Vierter heute Abend (nach Igor Levits Auftakt) Kirill Petrenko & sein Hausorchester die liebe Philharmonie wiederaufschließen, ist für den Konzertgänger ja auch ein Zeitgenosse. Bei der gleichzeitig stattfindenden Eröffnung des Monats der Zeitgenössischen Musik wird trotzdem nicht Brahms gespielt, sondern Romitelli, Nemtsov, Cvijović.

Unabgestanden: Sommerliche Raritäten mit der Akademie für Alte Musik
Wir werden auch im Herbst nicht wieder in der Philharmonie sitzen, als wär nie was gewesen; und auch nicht im Winter und im Frühling. Die Akademie für Alte Musik hat sich jetzt aber auch vorgewagt und gibt eine Reihe von windfrischen Sommerkonzerten in der Elisabeth-Kirche und der angrenzenden Villa Elisabeth in der Invalidenstraße. Denn Frischwind ist alles derzeit.
