Ultraschall Tage 3 bis 5

Trio Accanto und Zafraan Ensemble im Heimathafen, Ensemble Resonanz im silent green

Erfreulich wenig Rede beim diesjährigen Ultraschallfestival für neue Musik von Trends, Tendenzen etc. (es gehe neuerdings wieder zum Politischen/zum Subjektiven/zum Popjektiven usw). Das hat immer so etwas Bemühtes, zumindest im Blick auf die laufende Gegenwart. Stattdessen unterschiedlichste Musik, viel Reizvolles, zwischendurch etwas Ratlosigkeit, und zum Ende zwei mich begeisternde Werke italienischer Komponistinnen.

Weiterlesen

Inselig: ECHOES OF SILENCE und Ensemble Musikfabrik

Alles ist anders derzeit, aber manches doch wieder gleich: zum Beispiel, dass zum Kultursaisonstart nicht nur das Musikfest in der Philharmonie stattfindet, sondern auch der Monat der zeitgenössischen Musik. Der dauert angemessenerweise gleich 35 Tage. Er findet auch im Rahmen des Musikfests statt, zum Beispiel mit Konzerten des Ensemble Musikfabrik, aber vor allem über die Stadt verstreut: wie in dem ambitionierten Projekt ECHOES OF SILENCE letzte Woche in der St. Elisabeth-Kirche, einer der Schinkelschen Vorstadtkirchen, die heute als Kulturraum genutzt wird.

Auf zu jenen fernen Inseln, wo die wilden Klangkerle wohnen
Weiterlesen

Weiblichwa(a)gend: Kleine Bilanz des Ultraschall-Festivals

Drei beeindruckende Frauen prägen den Abschluss dieses Festivals: Simone Young dirigiert das Deutsche Symphonie-Orchester, die Solistin Séverine Ballon spielt das betörend schöne, auf ganz eigene Weise kommunikative Cellokonzert Guardian der Komponistin Chaya Czernowin. In doppeltem Sinn traumhafte Musik, über die Czernowin selbst schreibt: Manchmal wächst der Celloklang, bis er das Orchester in sich aufzunehmen scheint, wie ein vergrößerter Resonanzkörper. Dann wieder träumt das Orchester, ein Cello  zu sein oder eine einzelne Saite oder das Ende des Bogens. Aber nicht nur dieses letzte Werk, sondern das ganze Ultraschall-Festival für neue Musik 2019 ist eine erfreulich weibliche Angelegenheit. Weiterlesen

Musikfest 2018: Poppe modernisiert (und Trio Catch knackt Ohren)

Zwischen zwei Bruckners sollst du was Modernes hören, so will es das Gesetz. Und für das Moderne ist beim Musikfest Berlin, so will es dessen Gesetz, Enno Poppe zuständig. Ziemlich oft jedenfalls, und künstlerisch aus gutem Grund. Allerdings gibt es an den regelmäßigen Geldströmen der Berliner Festspiele durchaus Kritik aus der Perspektive freier Ensembles, wie sie etwa der Musikmanager Sebastian Solte im VAN Magazin formulierte. Der Konzertgänger mag nicht in Hauptstadtkulturförderungsschlünden versinken, sondern einfach Musik hören. Da kann es aber nicht falsch sein, vor dem großen Musikfest-Konzert des Ensemble Modern mit Enno Poppe erstmal um 18 Uhr nach Friedrichshain zu rauschen: Dort eröffnet das von Solte betreute Trio Catch im Radialsystem eine neue Reihe von Gesprächskonzerten unter dem Titel Ohrknacker. Gefördert aus Mitteln der Spartenoffenen Förderung des Landes Berlin und immer am Folgetag auch im Resonanzraum Hamburg zu hören. Bei freiem Eintritt, aber mit Klingelbeutel am Ausgang. Weiterlesen

Starkschwachstark, solovielsaitig: Langes Ultraschall-Wochenende

Großes Bohei um den „Klang“ beim diesjährigen Ultraschall-Festival: Klangerkundungen aller Art, Klangfarben, Klangmischungen … Hat das wirklich mit den bösen Weltumständen zu tun, wie einige Quo-vadis-neue-Musik-Beobachter deuten, mit bewussten oder verängstigten Rückzügen oder Geschrei-opponierenden Widerstandshaltungen? Oder gehts auch eine Nummer kleiner, hats vielleicht mehr mit praktischen Gründen zu tun? Es gibt einige Ensembles mit schrägen Besetzungen, und die verteilen Kompositionsaufträge, und der Komponist muss von was leben, und wenn er für so ungewohnte Mischungen komponiert, liegt das Rumschnüffeln in den Klangmöglichkeiten nahe.

Und daran ist ja auch nix Schlechtes. Weiterlesen

Gegengewichtig: Ensemble Musikfabrik mit Saunders, Birtwistle und 15 Solos

Kräftiges zeitgenössisches Gegengewicht zum Alte-Musik-Schwerpunkt des diesjährigen Musikfests mit seiner Monteverdi-Serie: achtzehn Stück neue Musik à 5 bis 90 Minuten in zwei Konzerten des Ensemble Musikfabrik, Samstagabend und Sonntagmorgen im Kammermusiksaal. Weiterlesen

20.1.2017 – Polyphon: Ultraschall-Festival im Heimathafen Neukölln

Die Verbindung Stimme/Streicher ist erotischer und epiphanischer als die klassische Kombination Stimme/Klavier. Das beweist das erste von drei Konzerten, die im Rahmen des Ultraschall-Festivals für neue Musik am Freitag im Heimathafen Neukölln stattfinden. Der Stimme in all ihren Facetten widmet sich das diesjährige, noch bis Sonntag laufende Festival.

gray956

Weiterlesen

17.9.2016 – Verfilzt: Ensemble Resonanz und Tabea Zimmermann spielen Saunders, Poppe, Schubert

giovanni_folo_agostini_tofanelli_-_a_ninfa_ecoDas Musikfest Berlin bietet nicht nur großorchestrale Feuerwerke, sondern auch kammermusikalische Sternstunden. Eine fand am Samstag statt: Das Ensemble Resonanz (beheimatet in St. Pauli und bald, oho, erstes Residenzensemble im Kammermusiksaal der Elbphilharmonie, quasi als Resonanzresidenz) präsentierte ein Programm von zeitlicher wie ästhetischer Überlänge, in dem Franz Schubert, Enno Poppe und Rebecca Saunders einander resonierten und echoten. Und zwar in der klammerförmigen Anordnung Schubert/ Poppe/ Saunders/ Saunders/ Poppe/ Schubert, summa summarum etwas über 180 Minuten, keine zuviel. Weiterlesen

22.1.2016 – Klangredlich bis infernalisch: Ultraschall in Kreuzberg und Neukölln

Ultraschall Berlin, das Festival für neue Musik wandert durch Berlin, und der Konzertgänger zieht mit – nur nach Oberschöneweide hat seine Familie ihn nicht gelassen: Nach dem Auftakt im Westend und einer Expedition ins DDR-Funkhaus Nalepastraße ging es am Freitag nach Kreuzberg in die Heilig-Kreuz-Kirche und nach Neukölln in den Heimathafen – zeitgenössische Musik einmal klassisch (sehr überzeugend) und einmal heiter bis infernalisch (durchwachsen).

Heilig-Kreuz-Kirche Kreuzberg

Wie über neue Musik gesprochen wird, ist oft das größere Problem als wie sie klingt – die Lektüre von Gegenwartsmusikprogrammen ist meist erheiternd bis quälend. In dem Kreuzberger Konzert, das drei in Berlin lebende Komponisten vorstellt, werden die Schöpfer ans Mikrofon bestellt und fühlen sich erkennbar unwohl: Einer bringt es nüchtern hinter sich. Einer erklärt sogleich, dass man über Musik nicht so viel reden solle (spricht dann aber doch eloquent über sequenzielle Prozesse etc). Einer bleibt stecken und verstummt nahezu, als er  nach seinem Verhältnis zu Bruckner gefragt wird. Macht nichts – denn die Musik klingt durchweg inspiriert.

Je zwei Werke spielt das hervorragende elfköpfige Zafraan Ensemble mit schwangerer Harfenistin (was immer ein gutes Omen für ein Konzert ist) unter der Leitung von Titus Engel (der mit seiner lustigen Fransenfrisur als TV-Dirigent übergecastet wirken würde): ein älteres für kleinere Besetzung und ein aktuelles fürs ganze Ensemble als Uraufführung. Alles unter dem etwas gesuchten Leitbegriff Klangrede, der es aber insofern doch trifft, als alle Stücke ohne Erläuterung für sich selbst sprechen.

Das Quintett des Israeli Eres Holz überzeugt nicht nur durch seinen Verzicht auf einen aufgeblasenen Titel, sondern durch seinen geschmeidigen, sehr homogenen Klang – man meint, den Geist des Madrigalgesangs zu spüren, von dem der erfahrene Chorsänger Holz schwärmt. Holz‘ neues Werk Kataklothes bezieht sich auf eine homerische Bezeichnung für die Moiren und spinnt tatsächlich, als wär’s Gesualdo, einen Klang aus dem anderen; keinen Moment verliert der Konzertgänger das Interesse. Selbst wenn Holz zwei schöne Schlüsse verpasst – der dritte klingt auch gut.

Das Klaviertrio des Deutschen Johannes Boris Borowski (der momentan ein Klavierkonzert für Daniel Barenboim komponiert) ist klassisch besetzt und klingt exakt drei Töne lang nach Brahms; danach wird’s etwas pfriemelig, auch wenn die Instrumente sehr gekonnt interagieren und die Streicher tolle Glissandi haben. Auch dieses Stück verpasst einen guten Schluss, dafür gibt es einen langen Flageolett-Diskant-Epilog. – Spektakulär ist Borowskis Ensemble-Stück Dex: Unter dem schlechthin statischen Klang eines Kuckucksrufs, vom Pianisten geflötet, versucht die Musik sich zu regen, bis sie einen heftigen Push bekommt (wie Bergsteiger durch eine Injektion Dexamethason) und abgeht wie der Gehörnte – um am Ende wieder alle Luft zu verlieren. Die Kuckucksrufe werden immer länger und kläglicher, dazu quakt so etwas wie ein Ochsenfrosch, vielleicht als Hadesbegleiter.

Viel Spaß macht auch die Musik des Schweizers Stefan Keller, der die Tabla zu spielen versteht und in Jeans und Schluffpulli tiefe Abgeklärtheit ausstrahlt. Sein Stück Hammer für die Jazzbesetzung Saxophon, Klavier, Schlagzeug hämmert nicht, sondern mäandert eher. Das Saxophon klingt stellenweise wie improvisiert, spielt Mini-Motive aus 2 oder 3 Tönen, die plötzlich explodieren. Im Vergleich zu Holz und Borowski wirkt Kellers Musik etwas additiver, dafür verpasst sie keinen Schluss. Der Titel Soma oder die Lust am Fallenlassen mag etwas zeigefingrig sein, aber man lässt sich gerne fallen, lehnt sich zumindest zurück und betrachtet durchs Apsisfenster den Mond, während sich der Schlagzeuger Daniel Eichholz die Seele aus dem Leib spielt.

Alles Stücke und Komponisten, die man gerne wiederhören möchte. Zum Konzert.

Heimathafen Neukölln

Was man vom zweiten Konzert im überfüllten Heimathafen nicht behaupten kann. Dabei beginnt und endet es toll, auch wenn man es am Schluss kaum mehr mitbekommt…

Die Ballate No. 2 & 3 des Italieners Francesco Filidei sind zarte Klangskulpturen voller Flirren und Ratschen, zunächst fast besinnlich, dann auch theatralisch und turbulent. Die Ballata 3 ist ein subtiles Klavierkonzert, in dem der Pianist Ernst Surberg unmerklich virtuos den Solistenpart übernimmt. Das ensemble mosaik unter der Leitung des Komponisten-Dirigenten Enno Poppe (der im Lustige-Frisuren-Wettbewerb Titus Engel noch aussticht) ist prädestiniert für diese völlig entschlackte, trotzdem feinsinnige und physische Musik. – Auch entschlackt, aber enttäuschend ist dagegen Filideis Bühnenwerk L’Opera (forse), in dem ein Sprecher und sechs Musiker ohne Instrumente die Geschichte von der Liebe einer Nachtigall und eines Karpfens erzählen. Ornitho-ichthyologische Geräuschmusik mit Flaschenblasen und Besteckklappern: hübsche Kleinkunst, der doch das gewisse Etwas fehlt. Sicher auch aufgrund des schwachen Texts und der bemühten Heiterkeit des Sprechers, die den Humorcharme von bundesrepublikanischem 50er-Jahre-Fernsehen ausstrahlt. Außerdem hält keine Vogelmusik dem Vergleich stand, den man als Hörer mit der Erinnerung an die Vogelstimmen eines Frühlingsmorgens oder den Gesang einer Nachtigall im Gebüsch neben der Philharmonie anstellt.

Zur Geduldsprobe wird dann die Solo-Performance des Schlagzeugers Håkon Stene, auch wenn der garantiert ein Spitzenmusiker ist. Matthew Shlomowitz‘ Popular Contexts, Volume 8: Five Soundscapes for a contemporary percussionist verbindet isolierte Alltagsgeräusche (Bus, Flugzeug, Motorsäge, Gewitter usw.) notdürftig mit glöckchenlastigen Schlagzeug-Einlagen. Jeder Spaziergang auf der Neuköllner Karl-Marx-Straße ist akustisch interessanter. Schlimm wird es, als Stene zu einem L’après-midi-d’un-faune-Verschnitt trommeln muss. Das Finale klingt zwar, als träfen sich Edgar Varèse, Slayer und die Teletubbies zu einem Gig, also gar nicht schlecht, aber das Stück ist gelaufen. – In Trond Reinholdtsens ulkig-zornigem Inferno muss Stene sich auf andere Weise verausgaben: hinsetzen, aufstehen, rumrennen. Als Schlagzeuger hat er dagegen nur Knöpfe zu drücken, die trommlerische Höllenmaschinen in Gang setzen. Dazu gibt es auf Video Material- und Formstudien eines schlecht verkleideten Gorillas, wie man sie tatsächlich von manchem Neue-Musik-Konzert kennt: pantschen, mantschen, rühren, klöppeln. Als der Gorilla schließlich zur scheppernden Meistersinger-Ouvertüre 13 Minuten lang ein Riesenomelett backt und verspeist, leert sich der Saal rapide. Die Zumutung ist so gewaltig, dass sie schon etwas Großartiges hat. Nur musikalisch ist diese Video-Theater-Installation einfach nicht von Belang.

Leider gerät das interessante letzte Stück des Abends dadurch unter die  Räder. Die Irin Karen Power hat für veiled babble die Stadt Berlin aus dem Wasser belauscht und die Hydrophon-Aufnahmen mit spärlichen Instrumentalklängen verwoben. Diese den Hörer umkreisenden und in Trance versetzenden erlesenen Klanggebilde, durch die Saxophon und Bassflöte dringen wie ferne Nebelhörner, hätten frischere Ohren verdient, sie würden eine Empfänglichkeit und Sensibilität des Hörers erfordern, mit der es nach dem Inferno nicht mehr weit her ist. Stattdessen beginnt der Nachbar des Konzertgängers zu schnarchen. Schade um das Stück, weniger mehr gewesen. Zum Konzert

Samstag und Sonntag geht’s weiter im Radialsystem.

Zu Ultraschall / Zum Anfang des Blogs