Ordnend: Quatuor Diotima spielt Ligeti & Janáček, Berliner Philharmoniker mit Alan Gilbert

Unordnung greift nach dem modernen Künstler (Symbolbild)

Muss das ein Vergnügen sein: einen ganzen Abend lang nur Leoš Janáček und György Ligeti zu spielen, zwei der tollsten Komponisten, wo überhaupt gibt unter Gottes weitem Ohr. Das französische Quatuor Diotima gönnt sich, und dem Publikum. Und zeigt damit (nach Bertrand Chamayous Klavierabend) noch einmal, dass bei der Halb-Ligeti-halb-ganz-anderes-Biennale der Berliner Philharmoniker die stringentesten Beiträge im kleineren Rahmen stattfinden.

Vor ein paar Tagen im DSO-Konzert, wo es Ligeti + Haydn + Haydn + Ligeti gab, ließen mich die entfesselten Huster an ein Weltraummonster denken, über das der Held in Ian McEwans Zementgarten liest – Captain Hunt soll das Monster zur Strecke bringen! Nun, bei György Ligetis zweitem Streichquartett kam mir in den Sinn, wie ebenjener Captain Hunt in seinem Raumschiff für Sauberkeit sorgt:

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Turbulenzromantisch

Iván Fischer im Konzerthaus, Petrenko und Oramo bei den Berliner Philharmonikern: Entdeckungsreisen von Sinigaglia bis Langgaard

Drei hochinteressante Programme, reich an Unbekanntem: Iván Fischer ist zwar formal bloß der Ex, aber irgendwie doch der Chefdirigent der Herzen am Konzerthaus, jeder seiner Besuche ein Hochlicht. Boss Kirill Petrenko gab bei den Berliner Philharmonikern letzte Woche das vielleicht wichtigste Konzert der Saison. Und dieser Tage dirigierte Sakari Oramo ebendort ganz Seltsames: ein unverschämtes Werk, das alle hundert Jahre gespielt wird.

Foto: Steven Mathey CC BY-SA 4.0
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Nachhallig: Brahms zum Zweiten

Brahms-Versteher*innen

Nachhalligkeitssiegel für die Brahms-Perspektiven des Deutschen Symphonie-Orchesters mit Robin Ticciati: Kommt man aus diesem und jenem Grund erst zwei Tage nach dem zweiten Konzert dazu, drüber zu schreiben, klingt und schwingt einem die Zweite Sinfonie D-Dur immer noch im Kopf. Das bestätigt den vortrefflichen Eindruck, den man schon Montagabend in der Philharmonie hatte. Auch und gerade, was die Koppelung mit zwei Stücken von Henri Dutilleux angeht.

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Nachtrund: Quatuor Ebène, Tamestit, Altstaedt spielen Noctürnliches

Genau das richtige Programm, wenn man die vorhergehende Nacht kein Auge zugetan hat, wie der Konzertgänger. Aber nicht deshalb richtig, weil man beim Quatuor Ebène so gut schlafen könnte! Sondern weil man für dieses von nächtlichen Stimmungen und Erlebnissen inspirierte Programm in einer gesegneten Rezeptionssituation ist: Keinen hellen Verstand erfordernden Haydn oder Beethoven oder Brahms gibts im Kammermusiksaal, sondern tiefere Formen von Wachheit – Sciarrino und Dutilleux, Night Bridge und Verklärte Nacht. Weiterlesen

24.9.2016 – Steinerweichend: Konzerthausorchester, de Billy, Isabelle Faust spielen Dutilleux, Bartók, Ravel

Dutilleux-Parallelaktion in Berlin: dreimal Métaboles in der Philharmonie, dreimal Le Double im Konzerthaus, jeweils von Donnerstag bis Samstag.

transverse-line-by-wassily-kandinskyDie Le Double genannte 2. Sinfonie (1959) von Henri Dutilleux, mit der das Konzerthausorchester unter Bertrand de Billy den Abend eröffnet, ist nicht nur hörenswert, sondern auch sehenswert: Ein Mini-Orchester von 12 Solisten inklusive Pauken, Celesta, Cembalo bildet einen inneren Ring ums Dirigentenpodest, das „normale“ Orchester den äußeren Ring. Weiterlesen

22.9.2016 – Metabolisch: Berliner Philharmoniker und Daniele Gatti spielen Honegger, Dutilleux, Debussy

Musikparadies Berlin! Drei Tage lang Henri Dutilleux, von Donnerstag bis Samstag, und das gleich doppelt: im Konzerthaus mit der raren 2. Sinfonie (und der einzigartigen Isabelle Faust als Luxus-Dreingabe) und bei den Berliner Philharmonikern mit Métaboles. Die werden häufiger gespielt, 2013 mit Rattle und vor acht Monaten vom RSB mit Janowski; aber das Programm ist in der Kombination mit Arthur Honegger und Debussy ausgefallen genug, dass die Philharmonie nicht ganz ausverkauft ist. Für ein Philharmoniker-Programm immer ein gutes Zeichen!

50Wenn man Dutilleux‘ Métaboles (1964) zum ersten Mal hört, findet man das Stück schön. Beim zweiten Mal weiß man, dass es ein Klassiker ist. Dutilleux wird man noch spielen, wenn Boulez und Messiaen nur noch im Museum besichtigt werden! Weiterlesen

4.4.2016 – 2 x 3 strophes: Johannes Moser spielt Dutilleux

Eine der löblichsten Einrichtungen im Berliner Musikleben ist die Reihe 2 x hören im Konzerthaus. Natürlich sind Gesprächskonzerte keine neue Erfindung, es gibt auch einige andere Formate, etwa im Radialsystem. Aber die Idee: ein Werk im ganzen zu hören, danach ein wenig voranalysiert und erklärt zu bekommen, dann das Werk ein zweites Mal zu hören, ist ein schönes, einfaches Konzept. Zumal dafür immer wieder namhafte Solisten in den Werner-Otto-Saal unter dem Dach des Konzerthauses hinaufsteigen, Tabea Zimmermann oder Igor Levit waren schon da. Wahrscheinlich nicht nur aus didaktischem Pflichtbewusstsein, sondern weil es auch einem Musiker gut tun muss, das stoffelige Wesen Hörer, ohne das es ja irgendwie nicht geht, am Ende etwas weniger unwissend zu wissen.

Diesmal ist der Cellist Johannes Moser zu Gast, ein Star, bei dem laut SPIEGEL das Klassik-Publikum rast. Er spielt die Trois strophes sur le nom de Sacher“ für Violoncello solo (1976) von Henri Dutilleux, der die Gourmets unter den Neue-Musik-Freunden rasen macht und auch den Avantgardemuffel becirct. Während die halbe Welt über Putins märchenhaft reichen Cellisten spricht (der jedoch nicht ganz sauber intoniert), offenbart Moser im Gespräch, dass er keinen festen Wohnsitz hat, gestern Amsterdam, morgen Neuseeland; und die Celli seien heutzutage auch so teuer, dass man sie besser nicht wie weiland Rostropowitsch im Casino verspielen sollte.

Leider neigt der Moderator Christian Jost (der sich selbst Kurator nennt) an diesem Abend zum selbstbespiegelnden Ad-libitum-Geplänkel, über all den Anekdoten und Erinnerungen und Komplimenten für Mosers Cellokünste kommt die Konzentration auf Dutilleux‘ Werk zu kurz. Nur gut, dass der wohltuend lockere, aber nicht zerstreute Moser immer wieder in medias res geht und kurzentschlossen die sechs aus dem Namen Paul Sachers abgeleiteten Töne vorspielt, die Dutilleux im Auftrag Rostropowitschs zur Grundlage seines Werkes nahm: Es – A – C – H – E- Re (=D). Wobei Jost zwischen jedem Ton noch einmal den Namen nennt, so dass der ohnehin sperrige Höreindruck schon wieder flöten geht. Später wird der Bezug auf Béla Bartóks von Sacher in Auftrag gegebene Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta mehr erwähnt als analysiert. Schade, dass Jost, der im Hauptberuf ja Komponist ist, beim Blick auf Dutilleux sein eigenes Metier ignoriert: Wie genau werden denn hier aus sechs beliebigen Tönen ganze Phrasen und schließlich ein zauberhaftes Werk? Darüber wüsste man gern mehr und Genaueres. Die Leinwand hinter den Gesprächssesseln wartet auf Notenprojektionen, bleibt aber dunkel. Der ehemalige Moderator der Reihe, Arno Lücker, der mittlerweile den Ableger 2 x hören klassisch verantwortet, hat mit seiner forcierten Flapsigkeit zwar manchmal genervt, aber immer vorgemacht, wie man mit Gewinn in eine komplexe Partitur blicken kann, ohne dass die Veranstaltung zum Seminar für verschrobene Spezialisten wird. Bei 2 x hören zeitgenössisch wäre das wieder wünschenswert, bei aller lobenswerten Niederschwelligkeit.

Sehr interessant aber, zum Vergleich Witold Lutosławskis dreiminütige Sacher-Variationen zu hören, mit ihren engschrittigen Figuren und kompakten Wirbeln ein überaus witziger Gegenentwurf zu Dutilleux‘ sehr klassisch strukturierten Sacherstücken: Deren erstes ist offenhörlich thematisch fokussiert, das zweite kantabel bis elegisch, das dritte lustig galoppierend. Schön sind sie auf jeden Fall. Im Gespräch erzählt Moser, dass er sich zu einer Einladung von Dutilleux vor einigen Jahren nicht traute, weil er die Trois strophes noch nicht drauf hatte, nur das Cellokonzert. Nun ist Dutilleux seit bald drei Jahren tot, und Moser hat die Trois strophes sur le nom de Sacher bestens drauf. Hier spielt er sie zum ersten Mal im Konzert. Und natürlich auch zum zweiten Mal. Man meint, dass er sie beim zweiten Mal besser spielt als beim ersten Mal. Ganz sicher hört man sie beim zweiten Mal besser – auch wenn man nicht recht weiß, warum.

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29.1.2016 – Feinsinnig-orgiastisch: RSB spielt Debussy und Dutilleux

Manchmal hat Schrott sein Gutes: Vor einer Woche war beim ULTRASCHALL-Festival für neue Musik im Heimathafen Neukölln eine Synthie-Version des Nachmittags eines Fauns zu hören, die die Fingernägel kräuseln machte – natürlich parodistisch gemeint, trotzdem unentschuldbar. Wenn nun im Konzerthaus echte Holzbläser den einstimmigen Beginn von Claude Debussys Le Martyre de Saint Sébastien anstimmen, genießt man den schillernden Klang selbst einer so spröden Linie. Das kann nur Orchester – und das Rundfunk-Sinfonieorchester besonders.

Debussy hat diese merkwürdige Musik auf einen schwülstigen Text von Gabriele d’Annunzio komponiert, den man besser nicht liest, weil er sonst an der Musik zu kleben droht. Besser schließt man die Augen und denkt hörend an den Heiligen Sebastian von Botticelli (oder Antonello da Messina oder Mantegna). Der Beginn erinnert fast an Erik Satie, spätere Passagen an die Himmelfahrtsmusik von Messiaen; das Finale Le bon Pasteur hat was von fieser religiöser Schmonzette, aber herrliche Klangmischungen.

Marek Janowski wirkt zwar immer wie ein teutonischer Knurrhahn, aber seine Pingeligkeit ist genau das Richtige für diese Musik, die erst durch Präzision ins Fließen gerät. Auch in La Mer nichts Verschwommenes oder Sfumatohaftes, stattdessen ein perfekt aufgefächertes, sehr bewegliches Klangbild. Das Stück handelt ja ohnehin nicht vom Meer, höchstens von der Meeresoberfläche, von Licht und Bewegung, es könnte ebensogut La Neige heißen. (Bei Strauss würde eine Tondichtung Das Meer brausen und nach Fisch stinken, bei Ravel endlose Tiefe evozieren, in der Wale und Fabelwesen unter dem schlafenden Seemann durch die ewige Dunkelheit ziehen.) Allerdings zielt Janowski nicht auf Gleichgewicht, wie sich im hochgradig geschärften Finale zeigt, das die Cellisten druckvoll beginnen: Der Dialogue du vent et de la mer ist eher ein Kampf, Schönheit und Schrecken liegen nah beieinander. Der Schluss knallt, als wär’s La Valse. Mitreißend.

Die Debussy-Stücke rahmen an diesem französischen Abend zwei Werke von Henri Dutilleux (1916-2013), von dem Wissende wissen wollen, dass seine Musik länger überdauern werde als die von Boulez. Auf jeden Fall entfaltet sich in ihr ein Orchesterzauber, dem gegenüber Debussy fast eindimensional klingt: feinsinnige Orgien für Klangfarbenhedonisten. Außerdem hatte er einen besseren Literaturgeschmack als Debussy. Das Cellokonzert „Tout un monde lointain…“ ist von Baudelaire-Versen inspiriert, aber in einem eher assoziativen Verhältnis, ein zusätzliches Angebot für den Bilder und Begriffe suchenden Hörer, ähnlich wie bei Debussy und dem Meer. Die RSB-Cellistin Konstanze von Gutzeit beweist eindrucksvoll, dass dieses Orchester überhaupt keine externen Solisten nötig hätte; es sei denn aus Vermarktungsgründen. (Allerdings, wenn es um Marketing geht: Eine attraktivere Cellistin als Gutzeit gibt es nicht mal in Südamerika; diese musikalisch irrelevante Bemerkung nur am Rande.) Das Cello brilliert von vollen und inbrünstigen Klängen (Dutilleux komponierte für Rostropowitsch…) bis zu ganz gläsernen und zerbrechlichen Passagen, während das Orchester immer neue, immer subtilere Mischklänge hervorbringt.

In den Métaboles, ohne literarische Referenz, treten die Orchestergruppen wechselweise, aber nicht strikt getrennt hervor, bevor sie sich in einem betörenden glanz- und lustvollen Klangrausch vereinigen. Das ist viel mehr als ein glorioser Qualitätsnachweis für ein Orchester – aber es ist auch das.

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