22.9.2016 – Metabolisch: Berliner Philharmoniker und Daniele Gatti spielen Honegger, Dutilleux, Debussy

Musikparadies Berlin! Drei Tage lang Henri Dutilleux, von Donnerstag bis Samstag, und das gleich doppelt: im Konzerthaus mit der raren 2. Sinfonie (und der einzigartigen Isabelle Faust als Luxus-Dreingabe) und bei den Berliner Philharmonikern mit Métaboles. Die werden häufiger gespielt, 2013 mit Rattle und vor acht Monaten vom RSB mit Janowski; aber das Programm ist in der Kombination mit Arthur Honegger und Debussy ausgefallen genug, dass die Philharmonie nicht ganz ausverkauft ist. Für ein Philharmoniker-Programm immer ein gutes Zeichen!

50Wenn man Dutilleux‘ Métaboles (1964) zum ersten Mal hört, findet man das Stück schön. Beim zweiten Mal weiß man, dass es ein Klassiker ist. Dutilleux wird man noch spielen, wenn Boulez und Messiaen nur noch im Museum besichtigt werden! Bau und Klang der Métaboles (Veränderungen) sind ein Inbegriff an clarté. Alles beginnt mit einem Ton, dreht sich lange um diesen Ton und streckt sich von da aus durch die Instrumentengruppen, beginnend mit dem Holz (Incantatoire, beschwörend). Im zweiten Teil Linéaire entfalten sich unendlich viele Streicherklangfarben auf engstem Raum. Pures Glück, im vierten Teil Torpide (betäubt) zu hören, wie das Blech die Nuancen und Subtilitäten des Schlagwerks schweben lässt.

Die perfekt abgestimmte Steigerung des Schluss-Abschnitts Flamboyant ist zweifellos ein Verdienst von Daniele Gatti, der nicht nur Chef des Concertgebouw ist, sondern auch (wie es im Programmheft humoristisch heißt) einer der wenigen Italiener, die regelmäßig ans Pult des Bayreuther Festspielhauses eingeladen werden. Gatti betritt das Podium von hinten, vielleicht um am Ende seine Blumen der Harfenistin schenken zu können. Davon abgesehen verzichtet er beim Schlussapplaus auf jede Solistenbejubelung, für die sich ja reichlich Anlass finden ließe. Eine Respektbekundung für das ganze Orchester! Durchgehend engagiert in der Detailarbeit, manchmal fast pedantisch, ist Gatti doch ein Meister der Spannungsbrücken; kein Mensch käme bei ihm auf die Idee, zwischen die Sätze zu klatschen.

d1f00449c6629e7d6ff971f4cee570b3Keine Philharmonikersaison ohne La Mer von Claude Debussy. Die Kombination Dutilleux/Debussy ist auch schon fast ein Klassiker, Janowski baute sein ganzes RSB-Konzert im Januar darauf auf. Auch in diesem Konzert erweisen sich Debussy und Dutilleux als Zwillinge. Dabei ist Gattis La Mer schwungvoll, rhythmisch, durchweg tänzerisch, nicht nur die Jeux de vagues. Zugleich klar, erhaben, bedrohlich und last but not least kantabel. So taktvolle agogische Rückungen, dass jedes Harfenglissando, jede Flötengischt a tempo scheint (scheint im Heidegger-Mörike’schen Doppelsinn). Enorm der Pulsschlag im dritten Teil Dialogue du vent et de la mer.

Am Beginn des Konzerts, vor Dutilleux und Debussy, war Arthur Honeggers 1945 entstandene Symphonie liturgique zu hören, die sich nach einer bizarren Auskunft ihres Schöpfers sowohl gegen Kriegsbarbarei als auch gegen Steuerpflicht richtet: Dieses bei aller Knappheit eindringliche Stück wirkt nicht nur vor dem Hintergrund des Kriegs, sondern auch im Vergleich mit krassen zeitgenössischen Stücken von Schostakowitsch oder auch Poulenc mitunter fast harmlos. Diese Musik schreit nicht, zumindest nicht in dieser Aufführung. Viel Schönes natürlich, und wunderbar metabolisch sind die wiederkehrenden Klangballungen, -verpuppungen, -häutungen. Ob jedoch die streicherselige Schluss-Entrückung (Konzertmeister Daniel Stabrawa) mit aufflatternden Friedenstauben (Flöte und Piccoloflöte) der Komponistenweisheit letzter Schluss ist, sei dahin gestellt. Eine nachvollziehbare, gleichzeitig bestürzend illusorische Hoffnung. Auch das bei Dutilleux dann so gloriose Blech meint der Konzergänger schon in präziserem Zusammenspiel als bei Honegger gehört zu haben.

Aber vielleicht hatte der Konzertgänger bloß Petersilie in den Ohren, das kommt vor.

Besonders arg wieder einmal die hustenbedingten Hörstörungen, vielleicht sollte man einmal ein Publikumsbegehren initiieren: Ärzte an den Einlass, strenge Gesundheitsprüfung vor Betreten der Philharmonie, kein Zugang für Katarr, Rhinitis & Co.

Am Samstag dann zu Dutilleux‘ Zweiter und Isabelle Faust ins Konzerthaus!

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