Ordnend: Quatuor Diotima spielt Ligeti & Janáček, Berliner Philharmoniker mit Alan Gilbert

Unordnung greift nach dem modernen Künstler (Symbolbild)

Muss das ein Vergnügen sein: einen ganzen Abend lang nur Leoš Janáček und György Ligeti zu spielen, zwei der tollsten Komponisten, wo überhaupt gibt unter Gottes weitem Ohr. Das französische Quatuor Diotima gönnt sich, und dem Publikum. Und zeigt damit (nach Bertrand Chamayous Klavierabend) noch einmal, dass bei der Halb-Ligeti-halb-ganz-anderes-Biennale der Berliner Philharmoniker die stringentesten Beiträge im kleineren Rahmen stattfinden.

Vor ein paar Tagen im DSO-Konzert, wo es Ligeti + Haydn + Haydn + Ligeti gab, ließen mich die entfesselten Huster an ein Weltraummonster denken, über das der Held in Ian McEwans Zementgarten liest – Captain Hunt soll das Monster zur Strecke bringen! Nun, bei György Ligetis zweitem Streichquartett kam mir in den Sinn, wie ebenjener Captain Hunt in seinem Raumschiff für Sauberkeit sorgt:

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Sommerschließlich

Kabanova, Hoffmann und Figaro mit C., E. und O. an Komischer und Deutscher Oper und UdK

Sommerparadox im Opernwesen: Während das Publikum unbeirrt nach den Sehnsuchtsorten von Bayreuth bis Glyndebourne oder Salzburg strebt, leeren sich die städtischen Opernhäuser zum regulären Saisonende rapide. Nur wenige derer, die nicht zu den Festivals reisen, treibt die Sorge vor dem Juli-August-Konzertloch noch in die bald verwaisten Säle. Während Herr Schlatz sich connaisseurhaft das Lindenjuwel Turandot gönnt, eile ich noch zur jungverschiedenen Katja Kabanowa an der Komischen Oper, zu Les contes d’Hoffmann an der Deutschen Oper (die stellenweise gleichsam zerfallen wie ein Automat von Spalanzani/Coppelius) und einem quietschfidelen studentischen Figaro an der Universität der Künste.

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Entnachtend

Klavierfreuden in Mendelssohn-Remise und Pianosalon Christophori, John Eliot Gardiner bei den Philharmonikern

Die kleinen Musikorte erholen sich – wie die freien Musiker – mühsamer von der langen Nacht der (wohl noch nicht beendeten) Pandemie, als es große Institutionen und begehrte Stars tun. Eine kleine Klavierrunde führte mich in der vergangenen Woche nordwärts in den Wedding, wo im Pianosalon Christophori an zwei Abenden die jungen Musiker Andrei Gologan und Florian Heinisch spielten, und tags zuvor in die feine Mendelssohn-Remise, unweit vom Gendarmenmarkt. Dort eröffnete gleichzeitig die große Elisabeth Leonskaja eine Schostakowitsch-Hommage, den lang geplanten und nun von kriegerischen Zeitläuften an den Rand des Heiklen geführten Programmschwerpunkt des Konzerthauses. Auf der breiten Freitreppe stimmt dort eine Menschenmenge gutgemeint, aber schwer erträglich ein von beschwingtem Moderator animiertes Lied für den Frieden an.

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Kältebarmend

Premiere „Die Sache Makropulos“ von Leoš Janáček an der Staatsoper Unter den Linden

Obacht, bevor du die Unsterblichkeit anschaust!

Was für eine Vision: als altgewordener Mann die Geliebte von vor fünfzig Jahren wiederzutreffen, und sie ist genauso jung wie damals, während man selbst am Abend seines Lebens steht. So ergeht es einer Nebenfigur namens Hauk-Šendorf in Leoš Janáčeks „Sache Makropulos“: Tenorbuffo, was die Schwerstmut der Angelegenheit ins Ulkig-Bizarre dreht, dazu spanische Rhythmen, Kastagnetten etc pp. Denn die Geliebte hieß Eugenia Montez, damals war’s, in Spanien … Aber wie fühlt sich das aus der anderen Perspektive an – aus Sicht der Ewigjungen, die den gealterten Liebhaber wiedertreffen muss?

Eine der vielen faszinierenden aus mehreren Perspektiven faszinierenden Situationen in dieser Oper, die einen zuverlässig überwältigt, auch wenn man die Handlungsfeinheiten erst nach der circa dreißigsten Vorstellung kapiert. Denn der Auslöser, ein verzwickter juristischer Erbschafts-Kasus, ist schwer zu durchblicken. Die zugrundeliegende, offenbar eher mittelmäßige Theatersatire von Karel Čapek (dem Schriftsteller, der das Wort „Roboter“ erfand) färbte Janáček in ein sondergleichen existenzielles Drama um, ein genialisches Missverständnis, über das Čapek verwundert den Kopf schüttelte. Die Komik ist aber zum Teil geblieben: Hauk-Šendorf etwa will sofort die Juwelen seiner Ehefrau versetzen, die so alt ist wie er, um mit der aspikierten E.M. durchzubrennen, als könnte er so vor dem Tod davonlaufen.

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Vertikal lustvoll

Staatskapelle mit James Gaffigan spielt Janáček, Eötvös, Ravel im Boulezsaal

Porträt des großen Altzausels als Jungzausel: Leóš Janáček 1874

Alles sehr kiezig heute: James Gaffigan, Dirigent dieses feinen Sonntagvormittagskonzerts im Pierre-Boulez-Saal, wird nächstes Jahr Chef an der 700 Meter entfernten Komischen Oper. Vom Komponisten Peter Eötvös, dessen Werk in der Programmmitte steht, lief an der gleich nebenan gelegenen Staatsoper Unter den Linden kürzlich das neue Werk Sleepless (gemischte Eindrücke bei mir). Und von Leoš Janáček, mit dem es losgeht, gibt’s ebendort demnächst Die Sache Makropulos. (Falls nicht alle Beteiligten dann mit Omikron in der Zwangsheia fläzen werden, von Emilia Marty über Ellian McGregor bis Eugenia Montez).

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Hörstörung (29)

Eine Jacke nervt beim Quatuor Ebène

„Lust, meine Jacke auszuziehen und sie in hohem Bogen in das Gestrüpp zu werfen“, empfindet der Erzähler in Wilhelm Genazinos Ein Regenschirm für diesen Tag: weil das Wort Gestrüpp „die Gesamtmerkwürdigkeit des Lebens“ ausdrücke. Seine Konzertjacke hängt ein Herr im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie (bei einem der vermutlich letzten Konzerte, das vor der Niederkunft des nächsten Lockdowns noch stattfindet, einem Streichquartettabend des formidablen Quatuor Ebène) über die Holzplatte, die im Mittelknick von Block A zwischen linker und rechter Seite steht. Und bevor noch Joseph Haydns Streichquartett D-Dur Hob. III:34 beginnt, fragt er das auf der anderen Seite des Mittelknicks sitzende Paar, ob seine abgeworfene Jacke dort es störe? Nein, sagt er. Schön sei es allerdings nicht, fügt sie mit ernstem Blick hinzu, und da hängt er seine Jacke ab. Um sie nach der Pause dann zusammengefaltet auf den leeren Sitz zu seiner anderen Seite gelegt zu haben: mit dem Zweck, zwei amerikanische Studentinnen daran zu hindern, sich unbefugt auf zwei freie teure Plätze zu setzen, um das formidable Quartett besser zu hören. Worauf ein Konzertgänger in derselben Reihe spontan das tut, was ein musikliebender Mensch tun muss: nämlich einen Platz aufzurücken, damit die beiden Studentinnen sich doch gemeinsam auf die guten Plätze setzen können. Denn es wäre ein Jammer um jeden guten Platz, der leerbliebe bei diesem Konzert, in dem nach Haydn noch Leoš Janáčeks ungeheures 1. Streichquartett „Kreutzersonate“ erklingt, in dem schroffe Kratzklangflächen abrupt auf zarteste Momente purer Schönheit stoßen, eine kammermusikalische Oper nicht weniger aufregend als die gerade an der Komischen Oper neuinszenierte Katja Kabanowa (und wie sympathisch, dass der Seelenkauz Janáček die Erzählung Kreutzersonate des von ihm verehrten misogynen Nieselpriems Tolstoi kurzerhand komplett umdreht, um mit der von Tolstoi verachteten Frauenseele mitzufühlen – fast als musikalisches Äquivalent zu der, Janáček unbekannten, Gegenerzählung Eine Frage der Schuld von Sofia Tolstaja), sowie schließlich Robert Schumanns 2. Streichquartett F-Dur op. 41, 2, eine Herrlichkeit vom ersten Thema des Kopfsatzes an, das einer nicht enden wollenden Arabeske gleicht. Höchstens, dass das formidable Quatuor Ebène manchmal fast zu formidabel klingt. Welch Glück, dass der Hörstörversuch der verirrten Jacke gescheitert ist.

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Glücklich geunglückt

Premiere „Katja Kabanowa“ an der Komischen Oper

Sie scheinen gar kein Ende zu nehmen, die so hohen wie engen Räume mit ihren so riesigen wie erschlagenden Türen, wie sie sich da langsam über die Bühne schieben und die verzweifelte Katja davonläuft und immer am selben Ort bleibt. Dabei sind es bloß drei Räume oder so, die die Bühnenbildnerin Julia Katharina Berndt da hingestellt hat. Solides Regiehandwerk von Jetske Mijnssen, das doch durch simples Zimmerverrammeln unbegrenzte Räume öffnet, ganz passend zu Leoš Janáčeks kleinteiliger Unendlichkeits-Musik. Sängerinnen (Männer sind mitgemeint) und Orchester lösen das Versprechen der Inszenierung ein: sehr gelungene neue Katja Kabanowa an der Komischen Oper Berlin.

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Rundum beglückend: Leoš Janáčeks „Jenůfa“ an der Deutschen Oper

Was soll man am heftigsten lieben, was ist das größte Glück an dieser Jenůfa von Leoš Janáček, die jetzt an der Deutschen Oper Berlin wiederaufgenommen wurde?

Mährische Sommerlandschaft (Abbildung ähnlich)
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Konzertgänger auf Reisen: Brünn bringt Janáčeks „Jenůfa“ nach Leipzig


Leoš Janáček spaziert durch Brünn und denkt über Jenůfa nach

Gute und schlechte Nachricht aus Leipzig: Die gute ist, dass man ab dem 11. November auch kurz nach Mitternacht per Zug wie im Flug heim nach Berlin kommen wird. Bei der Tristan-Premiere im Oktober und auch an diesem Wochenende war das noch anders. Schlechte Nachricht, dass es diese Jenůfa von Leoš Janáček nicht nochmal gibt – es ist ein einmaliges Gastspiel des Nationaltheaters Brünn zum Abschluss des Tschechischen Kulturjahres in Leipzig.

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Vereisschränkt: KATJA KABANOWA an der Staatsoper

Statt zu den lustigen Weibern von Windsor zur todtraurigen Frau von Kalinow! Denn Leoš Janáček kann man niemals zu viel hören. Jedenfalls der Konzertgänger. Janáčeks Musik macht ihn unglaublich glücklich, obwohl sie so oft vom Unglücklichsein handelt. Die Oper Katja Kabanowa von 1921 birgt jede kleinste Regung des Herzens und der Sprache in melodischen Formeln und schlägt zugleich einen riesengroßen Bogen von Gefühl und Erkenntnis. Nur muss man höllisch aufpassen, nichts zu versäumen, weil das Stück (wie alle Janáček-Opern) so kurz ist – jedesmal aufs Neue kann einen das verdattern.

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Streichquartett-Woche: Belcea spielt Haydn und Janáček

„Seids vernünftig, sonst gibts eins mit dem Staberl über!“ (Schiller)

Abgenudeltster Über-Streichquartette-Einstieg: dieses berühmte Kant-Zitat (oder wars Konfuzius), demzufolge man vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten höre und dabei langweile. Bei Joseph Haydn aber hört man manchmal eine Person, die sich mit dreien unterhält, und Vernunft ist nicht alles, Vergnügen und Spielkultur sind von wenigstens gleicher Bedeutung. Und wenn im Menuett des d-Moll-Quartetts Hob. III:76 der Tanzbär hudelt, ist Vernunft schon gar keine Kategorie. Oder in diesem Largo e cantabile im G-Dur-Quartett Hob. III:41, einem erstaunlich pathetischen, teils sogar harschen Satz.

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Phonogen: Valčuha dirigiert Korngold, Chatschaturjan, Janáček

Auch wenn das Berliner Konzerthaus gerade seinen sehr photogenen künftigen Chef Christoph Eschenbach stadtweit plakatiert, scheinen dem Konzertgänger die Auftritte des ausgesprochen phonogenen Ersten Gastdirigenten Juraj Valčuha derzeit die eigentlichen Ereignisse. Es sind am Freitagabend viele Schüler da, die direkt vom #Klimastreik kommen (ein solidarisches „Keep on schwänzing!“ an dieser Stelle), ansonsten ist der Saal bei diesem zweiten von drei Valčuha-Konzerten unter Wert gefüllt. Das heißt, es laufen in Berlin Menschen herum, die freiwillig auf Janáčeks Sinfonietta verzichten!?!

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Naturgezartig: Staatskapelle und Rattle spielen Gabrieli, Haydn, Janáček

Stehen in der Berliner Philharmonie Haydn und Janáček auf dem Programm, muss man den Namen des Dirigenten gar nicht dazu sagen. Es sei denn, um zu streiten, ob man ihn Sir Simon nennen soll, wie laut Musiklehrer des Konzertgängersohns alle Berliner sagten (nein, ruft der Vater), oder eben Simon Rattle.

Beide Herzensstücke dirigiert er auswendig, nicht nur Haydns Pariser D-Dur Sinfonie Nr. 86, sondern auch Janáčeks gigantische Glagolitische Messe. Kurze Irritation, weil ihm das falsche Orchester gegenüber sitzt: nicht die Berliner Philharmoniker, sondern die Staatskapelle. Aber was heißt falsch, Rattle ist jetzt ein freier Mann, und das Orchester der Lindenoper dirigiert er ja schon seit langem immer wieder. Weiterlesen

Schattendinglich: „Die Sache Makropulos“ an der Deutschen Oper

E.M. on the isle of the living

Drei, zwei, eins – keins, nevermore, nie wieder: Wiederaufnahme der Sache Makropulos von Leoš Janáček an der Deutschen Oper Berlin, noch zwei Vorstellungen gibts bis zur Derniere am 22. November. Dreieinhalb Jahre waren das seit der Premiere, ein Hundertstel der Zeitspanne, die diese Oper umspannt: ein packendes Werk über das Entsetzen der Unsterblichkeit oder, denk pink, übers Glück der Sterblichkeit.

Eigentlich aber dürfte man, bevor man reingeht, gar nichts wissen über die Handlung von Věc Makropulos. Das findet jedenfalls Michael Füting in seiner kleinen Biographie von Leoš Janáček (Transit-Verlag). Denn diese Oper von 1926 ist ja ein Thriller, der erst am Ende aufgelöst wird. Nur dass wir Heutigen, bevor wir ins Opernmuseum gehen, mittels Opernführer oder Wikipedia eigenmächtig Surprise durch Suspense ersetzen, um mit Hitchcock zu sprechen. Ob man am Ende alles durchblicken würde, wenn man sich das Stück ganz unvorbereitet anschaute?  Man sollte schon ausgeschlafen sein, denn die Personenkonstellation ist verwickelt. Einen Versuch wärs aber wert, wenn man das Stück nicht kennt. In dem Fall hier nicht weiterlesen, sondern eine Karte kaufen, ohne die Inhaltsangabe zu lesen. Wer dagegen bis zum Schluss des Krimis vorblättern will (denn die Auflösung besteht in der Vorgeschichte): bitte sehr.

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Spinnredlich: Berliner Philharmoniker, Hrůša, Zimmermann spielen Dvořák, Martinů, Janáček

Das Repertoire wird besichtigt.

Das 20. Jahrhundert ist rappelvoll von interessanten Violinkonzerten, die Alternativen und Abwechslungen zu den sechs immergleichen Repertoire-Schlachtrössern der berühmten Komponisten B1, B2, B3, M.-B., T. und S. bieten. Die Berliner Philharmoniker machten sich bereits beim Musikfest mit dem selten zu hörenden Werk des Komponisten Z um Repertoire-Erweiterung verdient. Nun ist der mit Bernd Alois weder verwandte noch verschwägerte Geiger Frank Peter Z. zu Gast und spielt das hörenswerte 1. Violinkonzert von Bohuslav M. An einem sehr tschechischen Abend, dessen Protagonisten die Sonderzeichen á, č, í, ř, š, ů auf die Zungenwaage werfen, dass dem schwerfälligen deutschen Pronunziationsvermögen ganz flatterzungig wird.

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