Statt zu den lustigen Weibern von Windsor zur todtraurigen Frau von Kalinow! Denn Leoš Janáček kann man niemals zu viel hören. Jedenfalls der Konzertgänger. Janáčeks Musik macht ihn unglaublich glücklich, obwohl sie so oft vom Unglücklichsein handelt. Die Oper Katja Kabanowa von 1921 birgt jede kleinste Regung des Herzens und der Sprache in melodischen Formeln und schlägt zugleich einen riesengroßen Bogen von Gefühl und Erkenntnis. Nur muss man höllisch aufpassen, nichts zu versäumen, weil das Stück (wie alle Janáček-Opern) so kurz ist – jedesmal aufs Neue kann einen das verdattern.
Wie leicht könnte man etwa diese paar Worte verpassen, die die nach Liebe suchenden Katja und Boris als einziges gemeinsam singen, nur ein Mal – und zwar, als alles schon aussichtslos ist, er mit dem Koffer in der Hand, sie dicht vor dem Gang in die tödliche Wolga (Handlung). Auch da befinden sie sich in diesem weiten wüsten Zimmer, in dem Andrea Breth alle drei Akte ansiedelt. Die Inszenierung entstand für die Brüsseler Monnaie-Oper, 2014 wurde sie von der Staatsoper übernommen, damals noch im Ausweichquartier Schillertheater. Jetzt ist sie erstmals Unter den Linden zu erleben. Und vielleicht auch letztmals, denn überfüllt ist es nicht gerade. Viel zu viele Opernfreunde wissen gar nicht, dass Janáček die schönsten Opern der Welt geschrieben hat.
Wär schade drum, denn Breths Regie ist trotz ihrer aufreizenden Statik wunderschön und voll von klug betörenden Bildern, die sich in Operngängers Seele einbrennen bzw einfrieren. Vor allem gleich zu Beginn dieser offene Kühlschrank, in dem Katja kauert, während das Kind, das sie einmal war, drumherumfliegt wie ein Vogel. Später steht der Kühlschrank geschlossen im Raum, das weiße Gegenstück zum schwarzen Monolithen aus 2001 – A Space Odyssey. Katjas Soul Odyssey aber setzt sich in anderen Wohnkomfortobjekten fort: Ihre wehmütige Kindheitserinnerungs-Arie Ach, byla jsem zcela jinsí! (Ach, ich war ganz anders) singt sie in derselben Badewanne, in der sie am Ende sterben wird. Die Wanne als Seelenwolga.
So imposant Eva-Maria Westbroek in der Rolle der Katja Kabanowa nach wie vor ist – ist ihr Sopran nicht doch zu „groß“, zu drambebend für diese Rolle? Sie wirkt nicht gerade wie eine Frau, die an einer einzigen Sünde zugrunde zu gehen fürchtet. Was ja gut ist, keine Frau sollte das fürchten müssen. Janáčeks arme Katja aber fürchtet es und geht daran unter. Man denkt an unvergessliche lyrische Katja-Stimmen wie Gabriela Beňačková. Das Lyrische passt; heute wäre Katja Kabanowa ja vielleicht eine jener schwärmerischen, radikal friedlichen Rebellinnen, die gerade den Verkehr blockieren und der Polizei nur mit Liebe und Liedern begegnen, um uns wachzurütteln. Von einer kleinen Frau, die sich Katja und ihrem untotbaren Kindertraum zu fliegen nahefühlt, handelt übrigens auch irgendein „großer kleiner Roman“ (Frankfurter Rundschau). Aber das nur am Rande. Was die Staatsopern-Katja angeht, könnte man noch argumentieren, dass Westbroek ein widerständigeres Rollenporträt gestaltet. Auch das hat was für sich. Und, was das Wichtigste ist, man ist von Westbroeks Darstellung dieser armen, starken Katja von der ersten bis zur letzten Sekunde gefesselt.
Karita Mattila kann als bösartige Schwiegermutter Kabanicha so scharf und schneidend sein wie die Streicher, die man zu ihren falschen letzten Worten nach Katjas Tod hört: herzlichen Dank an alle für die Anteilnahme. Mattila bringt Herz und Geschlechtsorgane zum Frösteln und hat zugleich eine grauenhafte Komik drauf, etwa beim lüsternen Überfall aufs Gemächt des ebenso bigotten Kaufmanns Dikoj. Am anderen Ende der weiblichen Vokaltemperaturskala steht die stiefschwiegerliche Katja-Vertraute Varvara, von Anna Lapkovskaja mit klarem Sopran und sehr jugendlicher Bühnenpräsenz beseelt und beschwingt.
Stephan Rügamer macht im leidenden Muttersöhnchen und Katjagättlein Tichon Kabanow innere Kämpfe hör- und sichtbar: ein im Grunde gutmütiger Waschlappen, der doch einige Liebe in sich trägt. So problematisch dem Konzertgänger der zweite wichtige Tenor des Abends, Simon O’Neill, schon als Siegmund und erst recht auch mal als Siegfried vorkam, so rundum überzeugend und facettenreich gestaltet wirkt sein Boris, dieser von Katja geliebte Selbstverbummelungsstudent. Als dessen garstiger Vater Dikoj erweckt der Bassbariton Pavlo Hunka dabei den Eindruck eines mährischen Muttersprachlers, der er gar nicht ist. Florian Hoffmann als Varvaras rationalistischer Geliebter Kudrjasch gefällt ebenso wie die meckernden Mägde Emma Sarkisyan und Adriane Queiroz.
Ist es nicht putzig, dass der Panslawophile Janáček seine ausdifferenzierte mährische Muttersprachmusik hier wie auch in Aus einem Totenhaus an russischen Sujets ausübte?
Der junge Dirigent Thomas Guggeis, Senkrechtstarter seit seinem Salome-Einsprung vor zwei Jahren, hat zweifellos nicht nur eine große Zukunft, sondern schon eine starke Gegenwart. Hier ist nun (und darin dem bisherigen Kabanowa-Dirigenten Simon Rattle nicht unverwandt) manchmal etwas sehr Kraftwerk der Gefühle statt seelischem Feinzeichnungs-Institut: viel Dampf im Kessel, hoher dramatischer Druck, gelegentlich auch einfach ein recht massiver Klang, insgesamt laut. Janáček bräuchte wohl beides: kauzige Pedanterie und großen Rausch. Aber diese Anmerkung ist Mäkelei auf sehr hohem orchestralen Niveau, denn das klingt hier schon alles nach sinnlich glühender Maßarbeit. Und man ist glücklich, wenn man diese leuchtenden Hörner der Staatskapelle hört, als Katja sich nach diesem nichts-erfüllen-werdenden Boris sehnt. In einzelnen Momenten scheint immer alles klangbildlich total im Lot, mit der Probenzeit bei Wiederaufnahmen soll es ja oft so eine Sache sein. Das heißt aber auch, dass das Orchester bei den vier weiteren Katja Kabanowa-Terminen (12., 18., 25. und 27. Oktober) jedesmal vollkommener klingen wird. Kann gut sein, dass der Konzertgänger nochmal dabei sein wird.
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Die Breth-Inszenierung fand ich jetzt einen Ticken zu gewollt düster, den Kühlschrank einen Ticken zu sehr Allegorie.
Ich war auch da und schreibe noch.
Aber prachtvoll ist die KK dennoch.
Ich habe stets das Gefühl, ich verstehe bei Janáček nur die Hälfte. Im Januar kommt ja noch die Jenufa an der DO, auch mit guter Besetzung. Die späten Werke find ich fast noch faszinierender. Diese Emily-Marty-Geschichte an der DO war schon allererste Klasse.