Märchenonkelig

Medtner und Schostakowitsch bei Spectrum

Märchenonkeltreffen im Kammermusiksaal: Wenn Nikolaj Karlowitsch Medtner der nostalgische Geschichtenerzähler war, dann war Schostakowitsch das Väterchen mit den nicht endenden Gruselstories. Beide Haltungen haben ihre eigene, auch biografisch beglaubigte, Wahrheit. Kaum ins Hirn zu kriegen aber, dass Medtners Klavierquintett C-Dur und Schostakowitschs e-Moll-Trio ungefähr gleichzeitig entstanden.

Oder auch alles andere als gleichzeitig. Dann Medtner arbeitete an seinem Quintett, das erst 1955 und damit vier Jahre nach seinem Tod uraufgeführt wurde, anscheinend ein halbes Jahrhundert lang. Zum Glück nicht durchgehend, es gibt ja sehr viel andere Klaviermusik von ihm und auch mehrere Klavierkonzerte.

Weiterlesen

Pausenbericht

Worüber ich nicht geschrieben habe

Die Abonnenten merken es, im Moment schreibe ich nicht so häufig in diesem Blog wie gewohnt. Aus persönlichen und aus Energieeffizienz-Gründen. Dabei wäre einiges Gehörte und Erlebte der Nachrede wert gewesen! Ein Klavier- und ein Xenakis-Festival etwa, verschiedene Sinfoniekonzerte, oder auch ein Klavierabend von Grigory Sokolov.

Weiterlesen

Frühstherblingshaft

Antoine Tamestit und Alexander Melnikov spielen Brahms und Schostakowitsch im Konzerthaus

Wochenbeginn-Spätbrahms und Montags-Endzeitschostakowitsch: gerade das Richtige zum Frühlingsanfang. Der Bratscher Tamestit und der Pianist Melnikov spielen im Kleinen Saal des Konzerthauses, im Rahmen einer zweiwöchigen Hommage an Dmitri Schostakowitsch, die gerade diffuse Gefühle hervorruft und diffuse Reaktionen auslöst: etwa einen aufreizend wischiwaschi formulierten Einlegezettel von Chefdirigent Eschenbach und Intendant Nordmann, der die konkrete Verantwortung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ausklammert (stattdessen Schicksalssätze wie „das Undenkbare ist geschehen“). Oder die seltsame Idee von Dirigent Krzysztof Urbański, am Freitag statt der Leningrad-Sinfonie Schostakowitschs Fünfte zu spielen, die ja ein nicht minder ambivalentes Werk ist. Wäre es nicht sinnvoller, klar auszusprechen: „Putin ist ein Mörder und Kriegsverbrecher“; und dennoch die Leningrad-Sinfonie zu spielen, die immerhin weder von Putin noch von Stalin komponiert wurde?

Anyway, das Programm des Rezitals von Tamestit und Melnikov ist unabhängig von allen aktuellen Weltläuften in sich stimmig.

Weiterlesen

Traumgärtnernd

RSB, Vladimir Jurowski und Seong-Jin Cho spielen Schumann, Firssowa, Schostakowitsch

Nanu, was macht denn der Schumann hier? Wie der Pontius ins Credo scheint das Klavierkonzert in dieses Programm geraten. Freilich, die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Auftritt mit dem jungen Pianisten Seong-Jin Cho hat man offensichtlich beim Berliner Schopf gepackt. Cho gewann 2015 als 21jähriger den Chopinwettbewerb, nahm seither mindestens sechs Alben auf, scheint in Korea irre populär (die Philharmonie ist voll von jungen Landsleuten, die alle wie Musikstudierende wirken), und er lebt überdies hier in dem mit Seoul verglichen vermutlich arg beschaulichen Spreekaff. Hell ist sein Klang bei Schumann, ausgesprochen schön, sehr friedlich. Das kann man hochpoetisch finden oder ein wenig spannungsarm. Allzu schnell ist allerdings mancher Landsmensch meinerseits noch mit dem schaurigen Urteil bei der Hand, einem asiatischen Pianisten (so direkt spricht man das meist nicht aus, aber meint es doch) fehle die Tiefe für deutsche Romantik. Was für ein anmaßender Unfug. Und ein Fall, um sich besser mal zwickizwacki bei den eigenen Ohren zu packen und dem jungen, liebevoll klanggärtnernden Cho weiter zuzuhören, wohin die pianistische Reise des Hochbegabten gehen wird.

Weiterlesen

Schattengrell

Andris Nelsons, Håkan Hardenberger und die Berliner Philharmoniker spielen Reinvere, Weinberg, Strawinsky

Nanu, was treibt Nannerl Mozart denn da? Wie ein unruhiger Lohengrin-Traum, mit ziephohen Streichern beginnt das Notturno Maria Anna, wach, im Nebenzimmer des lettischen estnischen Komponisten Jüri Reinvere, mit dem Andris Nelsons und die Berliner Philharmoniker ihr Konzert beginnen: Musik aus dem Schatten, aus dem Maria Anna Mozart laut Wikipedia nie heraustrat, aber schönerweise ohne etwelche Mozartelei, sondern von ganz eigener konzentrierter Schemenhaftigkeit.

Weiterlesen

Kurz und kryptisch* (6): Takács Quartett im Konzerthaus

Der superhohe Tinnitus-Ton im Finale von Bedřich Smetanas Streichquartett e-Moll ist der Ton dieses erneut hereinbrechenden Winters unseres Missvergnügens. Man möchte nur noch schreien. Im Konzerthaus ist jetzt auch 2G, aber (noch) Maske ab am Platz erlaubt, selbst manch hochbetagter Kammermusikfreund macht im Kleinen Saal Gebrauch von dem Recht. Die vier Musiker des Takács Quartett hingegen (gegründet vor einem halben Jahrhundert in Budapest, heute daheim irgendwo in Colorado) tragen während des kompletten Konzerts schwarze Masken. Zwischendurch schaut der Primarius mit – so weit bei der halbverborgenen Mimik erkennbar – leicht verstörtem Blick ins Publikum des Hochinzidenz-Gastlandes, das durch verantwortungsscheue Politik und verblendete Impfverweigerer ins offene Messer geschlurft ist. Dass wir gemeinsam mit der Schweiz, Österreich und Südtirol gerade die selbstmörderische Trottelhochburg Westeuropas sind, dürfte sich bis in die Rocky Mountains herumgesprochen haben.

Weiterlesen

Konsistent einzykelnd: Hagen Quartett spielt Schostakowitsch

„Haben Sie ‚Zyklus‘ gesagt?“

Über die inconsistency des Berliner Kulturlebens in Pandemiezeiten kriegt sich der ältere britische Streichquartettkenner hinter mir im Pierre-Boulez-Saal kaum mehr ein. Ganz Unrecht hat er nicht, es ist zwar schön, ohne Maske im vollbesetzten Saal zu sitzen. Aber während uns tragisch verblendete oder auch bloß banal renitente Impfmuffel gerade ins nächste Desaster seuchen, wäre es schöner mit 2G-Regel statt des geltenden „3G“. Und auch eine genauere Kontrolle der Impfzertifikate wäre eine feine Sache – man kann und sollte die QR-Codes mal scannen, nicht bloß anschauen, lieber Boulezsaal (und liebes Konzerthaus am Vortag)!

Nevertheless, die Eröffnung eines kompletten „Schostakowitsch-Zyklus“ durchs großartige Hagen-Quartett ist ein Ereignis, für das man Gefahr in Kauf nimmt.

Weiterlesen

Für Mieczysław Weinberg: Gidon Kremer musiziert mit Martha Argerich und Yulianna Avdeeva

Die Hommage, welche das Konzerthaus am Gendarmenmarkt ihm dieser Tage widmet, hat der Geiger Gidon Kremer einfach zu einer Hommage an den Komponisten Mieczysław Weinberg umgepolt. In zwei Konzerten widmet er sich aufschlussreich Weinbergs Kammermusik. Zwei großartige Pianistinnen stehen ihm dabei zur Seite, übrigens die Chopin-Preisträgerinnen von 1965 und 2010 (Kinners, wie die Zeit vergeht): am Sonntagabend Martha Argerich, am Montagabend Yulianna Avdeeva.

Weiterlesen

Zackig: Andris Nelsons und Daniil Trifonov bei den Berliner Philharmonikern

Vera Skrjabina 1907

Die älteren Abonnenten werden sich erinnern: Zum letzten Mal wurde Alexander Skrjabins Klavierkonzert fis-Moll im Oktober 1910 bei den Berliner Philharmonikern gespielt, von Skrjabins verlassener Ehefrau Vera in der alten Philharmonie an der Bernburger Straße. Statistisch gesehen also ein Jahrhundertereignis, wenn der scheidende Artist in Residence Daniil Trifonov es jetzt wieder spielt. Beim letzten Mal dirigierte Wassili Safonow, der ist schon länger indisponiert, am Pult darum diesmal Andris Nelsons.

Weiterlesen

Unaushaltbar: Abschluss der Quartett-Woche mit dem Hagenquartett

Höhepunkt zum Abschluss der irreführend benamsten, da zehntägigen Streichquartett-Woche im Pierre-Boulez-Saal: Das Hagenquartett spielt am Sonntagnachmittag Kurtág, Schostakowitsch und Beethoven. Kaum zum Aushalten, in mancherlei Hinsicht.

Weiterlesen

Frugalfeurig: Constantinos Carydis bei den Berliner Philharmonikern

Schnackeliges Berliner Philharmoniker-Debüt von Constantinos Carydis. Nur hoffentlich kein Treppenwitz deutscher Austeritätspolitik, dasss ausgerechnet ein griechischer Dirigent in Berlin zum Sparen gezwungen wird: kein Solist, zwei reine Streicherstücke und zwei Mozartsinfonien mit überschaubarem Gebläse. Aber vielleicht ist es wirklich sein ureigenster Wunsch so. Auch gar nicht so wichtig. Denn wenn Carydis dirigiert, dann brennt das Sparschwein.

Weiterlesen

Hibbelig: Oistrakh-Quartett im Boulezsaal

Quartett-Aufstellung im Boulezsaal, in der Mitte die Musik

Das Klavierfestival im Konzerthaus kaum vorbei, steckste schon mittendrin in der Streichquartett-Woche im Pierre-Boulez-Saal. Dort hat die Woche zehn Tage, bereits als fünftes von elf Ensembles tritt das russische David Oistrakh String Quartet auf (sogar der Name Ойстрах wird englisch ausgesprochen im Boulezsaal, der wenigstens nicht Bullets Hall heißt). Peccato, das grandiose Ébène- und das Modigliani-Quartett verpasst zu haben und die hochinteressanten Programme des Heath- und des Jerusalem-Quartetts. Das Oistrachquartett nun ist ein überaus sympathisches Ensemble, aber, wie sich zeigt, wohl nicht der Höhepunkt dieser zehntägigen Woche.

Weiterlesen

Tipp: Spectrum-Saisonstart am Montag

Stimmungsgärtner bei der Arbeit

Spät starten sie in die Saison, aber sie starten: Es gibt in Berlin Ohren, die behaupten, die Spectrum Concerts seien die feinste Kammermusikreihe der Stadt. Ab Montag lässt sich das wieder überprüfen. Das erste Programm im Kammermusiksaal verspricht ein Zusammentreffen von Brüdern im Widergeiste: Wenn Tschaikowskys Klaviertrio einen Höhepunkt elegischer Stimmungsmalerei in der romantischen Kammermusik (Karl Böhmer) darstellt, dann ist Schostakowitschs letzte, klappermorbide Sinfonie ein Highlight der Verstimmungskunst, vulgo Stimmungstöterei. Und während das Trio von 1881 ins Orchestrale strebt, wird die Sinfonie von 1971 bei Spectrum in einer Version erklingen, die ihren verkammermusikten Charakter auf die Spitze treibt – nämlich in einer Fassung für Klaviertrio und zwei Schlagzeuge. Und um den Tod geht’s bei Schostakowsky und Tschaikowitsch sowieso immer.

Am Montag, dem 11. März, um 20 Uhr im Kammermusiksaal. Einführung von der klugen Isabel Herzfeld eine halbe Stunde davor. Im April gilts dann Korngold, im Juni Mozart und Brahms. Karten von 15 bis 45 Euro.

Nachtrag: Eine schöne Besprechung des Konzerts von Matthias Nöther in der Mottenpost.

Zum Saisonprogramm von Spectrum Concerts

Mehr über den Autor  /  Zum Anfang des Blogs

Kargfarbig: KHO mit Valčuha spielt Schostakowitsch und Schubert

Da würde die Afd den Saal verlassen: Dina Pronitschewa, Überlebende des Massakers, 1946 bei ihrer Aussage im Kriegsverbrecherprozess von Kiew gegen 15 deutsche Polizeiangehörige.

Guter Zeitpunkt, um Dmitri Schostakowitschs „Babi Jar“-Sinfonie zu spielen: kurz vor dem Holocaustgedenktag. Und kurz nachdem im bayrischen Landtag gewählte Abgeordnete demonstrativ den Saal verließen, weil sie die Rede der 86jährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Charlotte Knobloch, nicht ertragen wollten. Knobloch wird seitdem von Afd-Fans bedroht.

Dabei ist Schostakowitschs 1962 entstandene 13. Sinfonie b-Moll, die das Konzerthausorchester unter Juraj Valčuha spielt, natürlich keine ausdrückliche „Holocaust-Sinfonie“ (wenn es so etwas überhaupt geben kann). Weiterlesen

Rabennaseschwarz: Schostakowitschs „Die Nase“ an der Komischen Oper

Man fasst sich (von urkindlicher Sorge erfasst wie diese Dreijährige) unwillkürlich ins Gesicht bei Dmitri Schostakowitschs Die Nase, um nachzufühlen, ob alles noch da sei. Wenn nicht, falls männlichen Geschlechts, in noch urkindlicherer Sorge in den Schritt. Denn P*mmelwitze liegen schon in Nikolaj Gogols zugrunde liegender Erzählung (1833-35) in der Luft.

Etwa dieser Wink mit dem erigierten Zaunpfahl, was womit gemeint sei, wenn sich der Annoncenbearbeiter der Zeitung weigert, die Suchanzeige des seines Gesichtserkers verlustig gegangenen Kollegienassessors Kowaljow zu veröffentlichen: Weiterlesen