Frugalfeurig: Constantinos Carydis bei den Berliner Philharmonikern

Schnackeliges Berliner Philharmoniker-Debüt von Constantinos Carydis. Nur hoffentlich kein Treppenwitz deutscher Austeritätspolitik, dasss ausgerechnet ein griechischer Dirigent in Berlin zum Sparen gezwungen wird: kein Solist, zwei reine Streicherstücke und zwei Mozartsinfonien mit überschaubarem Gebläse. Aber vielleicht ist es wirklich sein ureigenster Wunsch so. Auch gar nicht so wichtig. Denn wenn Carydis dirigiert, dann brennt das Sparschwein.

Wobei, egal wie sparsam die Besetzung, bei Schostakowitsch ist sie dennoch zu groß. Four is a company, an orchestra is a crowd, wenn’s um Streichquartette geht. Das berühmte achte Quartett Opus 110 hat der Schostakowitschschüler und große Dirigent Rudolf Barshai für Streichorchester gesetzt, von Meister Schosta abgenickt als Kammersinfonie c-Moll opus 110a. Wie eigentlich jede Quartett-Orchestrierung ein grandioses Missverständnis, denn mit den einzelnen Stimmen geht viel Brisanz, viel Beklemmung verloren. Die intensivsten Momente sind die, wenn doch mal ein einzelner hervortritt: die einsame Geige von Daishin Kashimoto etwa gegenüber der mussorgsky-stalin-haften Meute (die hier en collectif dennoch etwas zu philharmonisch kultiviert klingt). Oder Martin Löhrs Cello in seinen einsamen Momenten. Und am Schluss gibts einmal fünf einzelne Stimmen, nämlich das originale Quartett plus ein Kontrabass.

Aber wenn der ganze Apparat tönt, dann ist das einerseits ein Streicherklang zum Zungeschnalzen. Andererseits klingt das Opus 110 dann nach Herr der Ringe.

Gibt es irgendein Beispiel, bei dem die Orchesterversion besser wäre als die originale Kammerfassung? Dem Konzertgänger fällt keins ein.

Dass Carydis gleich zwei solcher Aufblasungen präsentiert, ist ein bisschen sehr viel des Guten, auch wenn die Streichorchester-Fassung von Schostakowitschs frühen Zwei Stücken für Streichoktett nicht ganz so überdickt klingt, weil sie immerhin acht Stimmen als Grundlage hat.

Von wegen Sparsamkeit also. Auch der Mozart ist ja klein besetzt nur, wenn man ihn mit Bruckner und Mahler vergleicht. Je zehn erste und zweite Geigen hats hier in der 34. Sinfonie C-Dur KV 338 von 1780, also noch aus Salzburger Zeit, wenn auch wohl erst in Wien aufgeführt. Wirkt auch manchmal fast wie eine Streichersinfonie, im Andante spielen tatsächlich nur Streicher. Carydis ist ein hörbar effektsicherer Operndirigent. Sehr theatralisch, auch laut, aber nie knallig. Sparsam dosiertes Vibrato, jedoch ohne „Schlank“-Getue im Gesamtklang.

Die Mozartsinfonien rahmen den in der Mitte stehenden Schostakowitsch: die 34. zur Eröffnung, zum Schluss dann die „Prager“ Sinfonie D-Dur KV 504. Geschickte Erlösungsdramaturgie ist das – nach dieser ganzen Streicherfrugalität ein wahres Klangfarbenspektakel! Dämonische Glut und loderndes Feuer, supi tariertes Klangbild, dabei Drive wie Erich Kleiber. Uneingeschränkte Begeisterung für den Kopfsatz und das Finale, letzteres presto as can – and more. Wow, diese tollkühnen akrobatischen Holzbläser! Das Andante allerdings ist auf irritierende Weise rasant, hat was Überstürztes; und das scheint in diesem Fall irritierend im unguten Sinn.

Trotzdem prima Vorstellung insomma. Carydis dirigiert ohne Taktstaberl, dafür mit Noten auf dem Pult. Bei Wiederholungen blättert er zurück. Frage am Rande, warum transkribiert sich Κωνσταντίνος Καρύδης eigentlich international CC und nicht KK?

Besuchte Aufführung: die zweite am Freitag. Gibts nochmal am Samstag.

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2 Gedanken zu „Frugalfeurig: Constantinos Carydis bei den Berliner Philharmonikern

    • In Berlin hat er schon öfter dirigiert (DSO, Staatsoper, Komische Oper), aber bei den Berliner Philharmonikern war es das Debüt. Ich hab ihn auch zum ersten Mal erlebt, hatte schon einige Lobeshymnen auf ihn gehört.

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