Abgenudeltster Über-Streichquartette-Einstieg: dieses berühmte Kant-Zitat (oder wars Konfuzius), demzufolge man vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten höre und dabei langweile. Bei Joseph Haydn aber hört man manchmal eine Person, die sich mit dreien unterhält, und Vernunft ist nicht alles, Vergnügen und Spielkultur sind von wenigstens gleicher Bedeutung. Und wenn im Menuett des d-Moll-Quartetts Hob. III:76 der Tanzbär hudelt, ist Vernunft schon gar keine Kategorie. Oder in diesem Largo e cantabile im G-Dur-Quartett Hob. III:41, einem erstaunlich pathetischen, teils sogar harschen Satz.
Die eine Person, die bei Haydn so hervortritt, ist natürlich meist die erste Geige, im fantastischen Belcea Quartett von der Namensgeberin Corina gespielt. Es tritt bei der Streichquartett-Woche im Pierre-Boulez-Saal mit der Traumkombi Haydn/Janáček auf. Wie das kommunikative Zentrum dieses Ensembles wirkt aber oft der Bratscher Krzysztof Chorzelski. In einem Fußballteam wäre er nicht der Star, sondern der Sechser; eine Nummer, die im Quartett aus naheliegenden Gründen nicht vergeben wird. Brillieren darf er dennoch auch mal bei Haydn, etwa wenn die Bratsche sich im Finale des G-Dur-Quartetts im Wechsel mit Antoine Lederlins Cello sausewindig verlustiert.
Bei Janáček aber: Verlustieren in ganz anderem Sinn. Im 1. Streichquartett ‚Kreutzersonate‘ von 1923 hört man mitunter vier con moto verglühende Leuten untergehen. Töne am Rande des Absturzes oft, die das Quartett in voller Intensität und vollem Risiko nimmt. Das ist so perfekt gespielt wie emotional durchschüttelnd. Aber vernünftig, naja.
Einziger Weg, auf dem man sich dieses packende Werk verderben könnte: indem man an Tolstois eklige Erzählung denkt, die Janáček inspiriert hat. Und der einzige Weg, sich etwa das kauzig-visionäre 2. Quartett ‚Intime Briefe‘ von 1928 zu verderben, bestünde in dem Gedanken daran, dass dieses Werk gegenüber Janáčeks amusischer Muse (so Wolfgang Stähr), einer jungen Frau namens Kamilla Stösslova, doch eine Art komponierter Belästigung darstellte. Sei’s drum. Denn was hat der alte Verlustmolch Janáček da wieder angestellt. All diese sinistren-finistren Rauscheklänge und das blitzige-pitzige Sinuspiepsen im ersten Satz schon. Und wie es oft eine Sekunde nach der bizarrsten Sonderbarkeit so süßest in unsere blutenden Herzen fließt.
Eine schlimme Verirrung leistet sich das Belcea-Quartett nur am Schluss des, ansonsten wunderbaren, Konzerts. Sehr gern würde man zwar von diesen Musikern mal Beethovens Streichquartett Opus 135 hören. Aber ein andermal, und im Ganzen. Jedoch nach dem Janáček-Exzess das herausgerissene Lento aus Opus 135 als Zugabe nachzuschieben, ist schon ein Fehltritt sondergleichen.
Was denkt sich da wohl der Cellist Frans Helmerson, den man wie einige andere Streicher im Publikum sieht? Er tritt am Freitagabend und Samstagnachmittag mit seinem Michelangelo-Quartett im Boulezsaal auf. Bis Sonntag läuft die hochkarätige Quartett-Woche dort noch, als Letztes tritt das Hagenquartett auf.
Konfuzius,Kant,Goethe-Hauptsache abgenudelt.Wenn der Berliner Autor mal den Briefwechsel Goethe-Zelter gelesen hättehättefahradkette. . .oder war das ironisch überhöht?
Immer leidig, die eigenen Kalauer (eher Untertiefungen als Überhöhungen) erklären zu sollen…