Wiegemarschtanzend

Pablo Heras-Casado und das RSB spielen Debussy, de Falla, Bartók

Drei auf je eigene Weise tänzerischen Musiken stellt der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin kurzentschlossen die Berceuse héroïque voran, die Claude Debussy 1914 nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges komponierte: antrisches Wiegenlied, großes Crescendo und Generalpause, dann Trauermarsch. Ein eigenartiges Werk mit paradoxem Titel, aber der aktuellen Situation angemessen als Ausdruck eines gewissen Ratlosigkeit, des gleichzeitigen Drangs zum Sprechen und zum Verstummen. Und eine Ergänzung zu Vladimir Jurowskis Aufführung der ukrainischen Nationalhymne vor zehn Tagen. Dazu passt, dass Heras-Casado nicht viele Worte sagt wie Jurowski (sehr kluge, menschliche Worte), sondern nur: „Wir spielen das im Gedenken an die Ukraine.“ Beide Arten des Umgangs – die introvertierte wie die demonstrative – haben ihre Berechtigung.

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Verunruhigt: Saisoneröffnung Spectrum Concerts

Andere musikalische Institutionen starten dieser Tage in die Rückrunde, die Spectrum Concerts Berlin hingegen eröffnen die Saison. Dafür ist weder Spleen noch ein julianischer Konzertkalender verantwortlich, sondern die ein Leben lange Mühsal dieser Reihe, sich an ebendiesem zu halten, dem Leben nämlich: Ein halbes Jahr Pause gabs mal, drum beginnt die 32. Saison erst nach 31,5 Jahren. 2020 wird ein Jahr der großen Besetzungen, mit Quin-, Sex-, ja Oktetten. Im Eröffnungskonzert im Kammermusiksaal der Philharmonie gibts sogar Vigintiduette und zwei besondere Violinkonzerte.

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Gar: Artemis Quartett spielt Bartók und Schubert

Hast du „Saunaclub“ gesagt?

Fragt man den gemeinen Dessauer nach dem Bauhaus, wird man zu OBI geschickt, und fragt man den Berliner nach Artemis, landet man im Halenseer „Saunaclub“. Von wegen! Im Kammermusiksaal spielt die Musik: Das Artemis-Quartett hat sich, vier Jahre nach der Katastrophe des Tods von Friedemann Weigle, quasi neu erschaffen. Im vergangenen Sommer verließen die neue Geigerin Anthea Kreston und vor allem der Gründer Eckart Runge, nach dreißig Jahren, das Quartett. Jetzt zu drei Vierteln weiblich, spielt Artemis Schubert und Bartók.

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Hibbelig: Oistrakh-Quartett im Boulezsaal

Quartett-Aufstellung im Boulezsaal, in der Mitte die Musik

Das Klavierfestival im Konzerthaus kaum vorbei, steckste schon mittendrin in der Streichquartett-Woche im Pierre-Boulez-Saal. Dort hat die Woche zehn Tage, bereits als fünftes von elf Ensembles tritt das russische David Oistrakh String Quartet auf (sogar der Name Ойстрах wird englisch ausgesprochen im Boulezsaal, der wenigstens nicht Bullets Hall heißt). Peccato, das grandiose Ébène- und das Modigliani-Quartett verpasst zu haben und die hochinteressanten Programme des Heath- und des Jerusalem-Quartetts. Das Oistrachquartett nun ist ein überaus sympathisches Ensemble, aber, wie sich zeigt, wohl nicht der Höhepunkt dieser zehntägigen Woche.

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Tentakelstreckend: Saisonvorschau des DSO

Education (Symbolbild)

Sinnigerweise stellt das Deutsche Symphonie-Orchester, welches abseits des großsymphonischen Hauptbetriebs ja regelmäßig nächtliche Kammerkonzerte in Berliner Museen gibt, seine neue Saison im Panorama-Pavillon am Kupfergraben vor. Dort hat man eine, nicht nur für Kinder, irre Antikenwelt aus Vogelperspektive innen drin und nach draußen den Blick aufs Pergamonmuseum – will heißen, eine dieser Berliner Baustellen, die Allegorien der Unendlichkeit sind.

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Ligetiös: Karina Canellakis und Pekka Kuusisto beim DSO

Sein Violinkonzert hat György Ligeti für Pekka Kuusisto geschrieben! Auch wenn er bei der Komposition kaum gewusst haben dürfte, dass es den Kuusisto gibt, der war da gerade sechzehn. 1992 war das, Montserrat Caballé und der tote Freddy Mercury besangen die Olympiastadt Barcelona – Jahr der bizarren musikalischen Ereignisse also. Ligetis Konzert aber ist, wie sich bei der Aufführung in der Philharmonie mit der Dirigentin Karina Canellakis und dem Deutschen Symphonie-Orchester wieder zeigt, ein Werk von divinatorischer Schönheit und überirdischem Witz.

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Fastenschwankig: Yefim Bronfman im Boulezsaal

Ein Gutes zumindest hat das deutschsprachige Karnevalswesen hervorgebracht: Robert Schumanns Faschingsschwank aus Wien. Das Intermezzo daraus, Satz 4, spielt Yefim Bronfman gern als Zugabe. Jetzt ist es mal als Teil des ganzen Faschingsschwanks zu hören, zwischen Bartók, Ustwolskaja und Schubert. Stellenweise hat man allerdings den Eindruck, Bronfman habe auf diesen Klavierabend so viel Bock wie ein Flensburger auf Helau und Alaaf. So fühlt sich der Rosenmontags-Abend im Pierre-Boulez-Saal schon ein bisschen wie Fastenzeit an.

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Mestorein: Belcea Quartett spielt Mozart, Bartók, Mendelssohn

Nach ein paar Tagen alter Musik auch wieder Freude über die vollkommene Intonationsreinheit eines Streichquartetts. Die ist bei einem guten Ensemble natürlich nicht Ziel, sondern bloß Bedingung erfüllten Musizierens – erst recht bei einer Hausnummer wie dem Belcea Quartett, dem Ensemble in Residence des Pierre-Boulez-Saals. Der Ton ist rein, aber der Sinn ist trüb, ja mesto in diesem novemberabschiedlichen Programm mit Mozart, Bartók, Mendelssohn.

Die vier Musiker (man ist versucht zu schreiben: Corina Belcea und drei Männer) sitzen je rechtwinklig einander zugewandt in der Mitte des Saals, ein Streichquadrat. Wie neulich das JACK-Quartett im Kammermusiksaal spielen sie alle vom Tablet, während die Partitur-Mitleser im Auditorium noch am Gedruckten kleben, den Bleistift zwischen Zeige- und Mittelfinger. Weiterlesen

Kratzfeeallürig: Il Giardino Armonico verkuppelt Vivaldi mit dem dreckigen Halbdutzend

Have a new look at Vivaldi!

Nicht lang ists her (für manch einen noch gar nicht), da galt Vivaldi als die Steigerung von Telemann: öd, öder, Antonio. Wie konnte das passieren, da noch dem frühen Musikhistoriker John Hawkins Wildheit und Ungezwungenheit als Kennzeichen Vivaldis galten? In der lesenswerten Novelle Barockkonzert des kubanischen Schriftstellers Alejo Carpentier erlebt ein mexikanischer Reisender im venezianischen Ospedale della Pietà eine elektrisierende nächtliche Jam Session Vivaldis mit Scarlatti, Händel und einem dunkelhäutigen Diener. Die „moldauisch-österreichisch-schweizerische“ Musikreisende Patricia Kopatchinskaja ist nun on the road mit Giovanni Antoninis Giardino Armonico, der so kompetent wie open minded musikgärtnert: zwecks Vivaldi-Re-Elektrifizierung. Auch wenn Puristen und Muffel argwöhnen, hier würde Vivaldi auf den elektrischen Stuhl gesetzt. Weiterlesen

Spinnredlich: Berliner Philharmoniker, Hrůša, Zimmermann spielen Dvořák, Martinů, Janáček

Das Repertoire wird besichtigt.

Das 20. Jahrhundert ist rappelvoll von interessanten Violinkonzerten, die Alternativen und Abwechslungen zu den sechs immergleichen Repertoire-Schlachtrössern der berühmten Komponisten B1, B2, B3, M.-B., T. und S. bieten. Die Berliner Philharmoniker machten sich bereits beim Musikfest mit dem selten zu hörenden Werk des Komponisten Z um Repertoire-Erweiterung verdient. Nun ist der mit Bernd Alois weder verwandte noch verschwägerte Geiger Frank Peter Z. zu Gast und spielt das hörenswerte 1. Violinkonzert von Bohuslav M. An einem sehr tschechischen Abend, dessen Protagonisten die Sonderzeichen á, č, í, ř, š, ů auf die Zungenwaage werfen, dass dem schwerfälligen deutschen Pronunziationsvermögen ganz flatterzungig wird.

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Weltenfarbig: Kodály, Bartók, Rimsky-Korsakow mit Gilbert Varga und Dezsö Ránki im Konzerthaus

Wenn schon Klassik, dann Oper, ist eigentlich das Motto der Tochter des Konzertgängers, aber für die Scheherazade macht sie eine Ausnahme. Denn diese Sinfonische Suite op. 35 von Nikolai Rimsky-Korsakow ist doch farbenprächtiger, sinnenfroher, kinderphantasiekatapultierender als jedes Musiktheater.

Ja, für die wunderschöne Scheherazade nimmt sie sogar das ausgiebige Vorspiel in Kauf – und nachdem sie es offenen Ohrs angehört hat, beschließt sie, es durchaus gern in Kauf genommen zu haben. Der Dirigent Gilbert Varga (den man nicht erwähnen kann, ohne zu erwähnen, dass er der Sohn von Tibor Varga ist, was doch etwas ungerecht ist) erfindet im Konzerthaus das Rad der Programmgestaltung nicht gerade neu, man könnte sich diesen Ablauf auch in einem Konzert anno 1950 vorstellen: Ouvertüre-oder-Tanzsuite-Dings, Solokonzertbums, Sinfoniedingsbums – der Klassiker schlechthin.

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Selbstverständlich brillant: Berliner Philharmoniker, Rattle, Barenboim spielen Dvořák, Bartók, Janáček

Fortsetzung von Simon Rattles Abschiedstournee im eigenen Haus, zugleich durch Zeit und Raum: diesmal Schlenker nach Ostmitteleuropa (Prag, Budapest, Brünn), 1886 bis 1926. Dritte Aufführung, Samstag 19 Uhr. Der Konzertgänger aber vergisst Zeit und Raum, wenn es Janáčeks Sinfonietta gibt – ganz egal, was davor und danach und rundherum ist.

Im Konzert der Berliner Philharmoniker gibts ein Davor: nämlich Bartók mit keinem geringeren Gast als Daniel Barenboim und noch davor Antonín Dvořáks Slawische Tänze opus 72, das ist die zweite Sammlung der Erfolgsstücke. Weiterlesen

Wehwellig: Robert Helps, Brahms, Bartók bei Spectrum

Spät starten die Spectrum Concerts in die Saison, aber sie tuns, und bessere Kammermusik wird man in Berlin schwerlich finden – selbst wenn der erwartete Höhepunkt gar nicht mal das aufregendste Stück des Abends wird. Ein Nachtstück, ein Herbststück, ein Frühlingsstück im Kammermusiksaal. Weiterlesen

Wollend: Patricia Kopatchinskaja & Iván Fischer mit Sibelius & Bartók im Konzerthaus

50dddab938844c06e7b894ab0874dfb9Forderung: Jede Geigenschülerin im Laufe ihres Geigenschülerindaseins mindestens einmal zu Patricia Kopatchinskaja schicken. Nicht weil sie da die sauberste Bogenführung sähe oder hören würde, wie makellose Intonation geht oder süffiges Vibrato oder historisch korrektes Stilbewusstsein. Sondern weil sie da die Frage vor den Latz geknallt kriegte: Was ist dein Stil? Was willst du von der Musik?

Mit Jean Sibelius‘ Violinkonzert d-Moll op. 47 verabschiedet sich PatKop von der hochoffiziösen Würde als Staatsviolinistin-in-residencia des Konzerthauses. Da weht einen teils ein eisiger Wind an, so ungewohnt klingt das alles. Weiterlesen

Erstlich: Michelangelo String Quartet im Boulez-Saal

Pompeii_-_Casa_dei_Vettii_-_PentheusZerreißen müsste der Konzertgänger sich können! An der Komischen Oper feierte eine Mussorgsky-Rarität Premiere, an der Deutschen Oper Götz Friedrichs legendärer Ring Derniere, zehn andere Köstlichkeiten nicht zu vergessen … ach, und im Pierre-Boulez-Saal gibt’s nichts Geringeres als ein Quartettfestival. Nach dem Staatskapellen-Streichquartett (da war der Konzertgänger im Rheingold) und einem Haydn-Marathon des famosen Hagen Quartetts (da war Walküre, seufz) spielt das Michelangelo String Quartet drei grundverschiedene Erstlinge. Beethoven, Bartók, Smetana. Am Abend zwischen Walküre und Siegfried. Weiterlesen