Verunruhigt: Saisoneröffnung Spectrum Concerts

Andere musikalische Institutionen starten dieser Tage in die Rückrunde, die Spectrum Concerts Berlin hingegen eröffnen die Saison. Dafür ist weder Spleen noch ein julianischer Konzertkalender verantwortlich, sondern die ein Leben lange Mühsal dieser Reihe, sich an ebendiesem zu halten, dem Leben nämlich: Ein halbes Jahr Pause gabs mal, drum beginnt die 32. Saison erst nach 31,5 Jahren. 2020 wird ein Jahr der großen Besetzungen, mit Quin-, Sex-, ja Oktetten. Im Eröffnungskonzert im Kammermusiksaal der Philharmonie gibts sogar Vigintiduette und zwei besondere Violinkonzerte.

22 Musiker also in Edward Elgars früher Serenade für Streichorchester e-Moll von 1892, eine Schar junger Musiker ergänzt die bekannten Spectrum-Mitglieder. Dass die ungewohnt großen Besetzungen heute Abend „kein Grund zur Panik“ sind, wie der Spectrum-Gründer Frank S. Dodge bei der Begrüßung betont, macht diese hübsche Musik hörfällig. Höchstens dass es ein bisschen gleichförmig fließt; wird wohl eher am Werk liegen als am fehlenden Dirigenten, die Geigerin Latica Honda-Rosenberg und der Cellist Jens Peter Maintz regeln das hinreichend. Und als nach dem Allegro piacevole ein Handy klingelt, wird es wohl Elgar selbst sein, der sich sehr zufrieden mit dem samtigen Ton und der noblen Melancholie zeigen möchte; die Dame nimmt das Gespräch aber nicht an.

Da zieht Karl Amadeus Hartmanns Concerto funebre schon ganz andere Ausdrucksregister. Kein Wunder, dieses Stück für Violine und Streicher entstand 1939, ein Werk der Trauer, der Klage, der Anklage. Und auch der moralischen Integrität des Komponisten. Musik der Trauer nannte Hartmann das Stück ursprünglich, aufgeführt wurde es seinerzeit in der Schweiz, und man sollte es vielleicht öfter mal statt der Metamorphosen von Strauss aufführen. Boris Brovtsyn spielt die Sologeige, deren Part zwischen Choral-Anklängen und Totentänzelei changiert. Brovtsyns gebückte Haltung mit im 90-Grad-Winkel gebücktem Kopf ist der Schrecken aller Geigenlehrerinnen, seine blauen Socken in Slippers der Alb aller Outfitberater, aber was solls. Denn sein Klang ist berückend – so fahl wie intensiv und dabei doch völlig unverschwiemelt und klar, dank vollkommener Intonation und konzentrierten, fast intimen Herangehens. Wenn die Streicher Brovtsyns Ton tragen, ist es manchmal, als ginge die Geige über Glas. Verstreute Scherben, natürlich.

Hörenswert auch Andrzej Panufniks 1971 für Yehudi Menuhin geschriebenes, sehr gesangliches Konzert für Violine und Streichorchester, Musik voller Witz und Eleganz, für den Hörer komponiert, nicht gegen ihn. Wundersam wiegend der zweite Satz, das zentrale Adagio: stellenweise wie eine Berceuse für Fortgeschrittene, das Eindringen in Traumregionen ist schon mitkomponiert – in jene Höhenluft, wo die Töne durchsichtig werden, und in schwadende Tiefe und auch in jene seltsame Sphäre, wo beides sich vereinigt.

Wie mehr Hartmann, so wünscht man sich auch mehr Panufnik im Konzertleben.

Zum Schluss, wie um das Programm symmetrisch zu runden, noch etwas Serenadenhaftes. Aber es ist dann doch eine Asymmetrie, denn Béla Bartóks Divertimento für Streicher ist alles andere als ein Spiegelbild von Elgar. Schon vor den explizit beängstigenden Einbrüchen wirkt dieses 1939 für das Ensemble des Mäzens Paul Sacher komponierte „Vergnügen“ teils durchfurcht, verzackt, beunruhigt. Die Nachtmusik des Molto adagio in der Mitte ist bartóksche Herrlichkeit, die Koordination des Streicherensembles scheint optimal. Auch ohne Dirigent; bei diesem Stück ist das schon sehr beeindruckend. Ein Vigintiduett tatsächlich.

Das nächste Spectrum-Konzert findet am 20. April statt, mit zwei kammermusikalischen Hauptstücken von Brahms und Messiaen sowie Werken einer ganz besonderen Komponistin, nämlich von Ursula Mamlok, die 1939 als Jugendliche aus Berlin floh und 2006 als 83jährige wieder hierher zog. Ihr später Umzug hatte auch damit zu tun, dass ihre Musik in Deutschland endlich Resonanz fand. 2016 starb sie, in den Jahren davor wurde sie bei Spectrum regelmäßig aufgeführt und war auch häufig im Publikum zu sehen, eine feine alte Dame in Block A, Reihe 1.

Abos sind übrigens noch buchbar, die laufen dann (für Freunde des antizyklischen Planens) bis November. Und ein Buch über drei Jahrzehnte Spectrum Concerts ist auch erschienen:

Weitere Kritiken: Schlatz, Goldberg, Herzfeld

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