Kargfarbig: KHO mit Valčuha spielt Schostakowitsch und Schubert

Da würde die Afd den Saal verlassen: Dina Pronitschewa, Überlebende des Massakers, 1946 bei ihrer Aussage im Kriegsverbrecherprozess von Kiew gegen 15 deutsche Polizeiangehörige.

Guter Zeitpunkt, um Dmitri Schostakowitschs „Babi Jar“-Sinfonie zu spielen: kurz vor dem Holocaustgedenktag. Und kurz nachdem im bayrischen Landtag gewählte Abgeordnete demonstrativ den Saal verließen, weil sie die Rede der 86jährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Charlotte Knobloch, nicht ertragen wollten. Knobloch wird seitdem von Afd-Fans bedroht.

Dabei ist Schostakowitschs 1962 entstandene 13. Sinfonie b-Moll, die das Konzerthausorchester unter Juraj Valčuha spielt, natürlich keine ausdrückliche „Holocaust-Sinfonie“ (wenn es so etwas überhaupt geben kann). Fast verstört ist man, wenn das Werk sich nach dem ersten Satz, der u.a. das Massaker von Babi Jar reflektiert, viel kleiner scheinenden Themen widmet, der Rolle des Humors in der Diktatur etwa, der Tristesse eines sowjetischen Lebensmittelladens oder den möglichen „Karrieren“ unter der Herrschaft der Lüge.

Aber so wie der erste Satz kein Requiem für die jüdischen Opfer ist, sondern die Selbstbefragung eines Russen über sein Verhältnis zum Judentum, sind die Folgesätze, ob sarkastisch oder depressiv, ebenfalls Ausbruch schmerzvoller Todestiefe. Es ist großartig, wie das Konzerthausorchester sich nicht mit wohligem Schwelgen im Zu-Tode-Betrübtst-Sinn des späten Schostakowitsch begnügt. Dass das KHO eine ganz besondere Schostakowitsch-Tradition hat, meint man zu hören, auch wenn es mittlerweile ein recht junges Orchester ist. Und der slowakische Dirigent Juraj Valčuha, über den es noch nicht mal einen deutschen Wikipedia-Artikel gibt (hat der keine Agentur?), der aber Erster Gastdirigent am Konzerthaus ist und vielleicht mal Chef wird, wenn der 78jährige neue Chef Eschenbach nicht mehr mag oder soll: Dieser Valčuha wurde ein Jahr nach Schostakowitschs Tod geboren.

Karikatur des Pogroms von Bialystok 1906, das in Jewtuschenkos Gedicht eine Rolle spielt

Unter ihm holt das messerscharf phrasierende Orchester raus, was nur geht: Mussorgsky-Sound geradezu, der karg und farbig zugleich scheint. Das Sacre-Schnattern, wenn die aufgebrachten Zecher schallend lachen: Tötet die Juden! (Denn der Babi-Jar-Text des Dichters Jewgeni Jewtuschenko, das muss 1962 ungeheuerlich gewirkt haben, spricht zu seinem Publikum über die Judenpogrome von Russen und den stalinistischen Antisemitismus ebenso wie über den systematischen Völkermord der Deutschen, der in einer Identifikation des lyrischen Ichs mit Anne Frank zum Ausdruck kommt.) Der Zusammenstoß von celestafunkelnder Sehnsucht nach Umarmung und dröhnender Angst. Das gehetzte Ratschen und das schrille Fiepsen der Holzbläser im zweiten Satz. Und wenn im dritten Satz die einstimmigen tiefen Streicher den typisch schostakowitschschen Weite-Landschafts-Adagio-Beginn spielen, wird der „Laden“ zur Bühne des Endzeitlichen. Die Bassklarinette begleitet das schweigende Ankommen der Frauen, das Klappern der Kannen klingt wie die Totenuhr – die feinen Hörner des KHO aber sind der Atem der Frauen, der Wärme im Laden verbreitet.

Als Dreh- und Angelpunkt erscheint weniger der berühmte Babi-Jar-Kopfsatz, sondern der vierte, der unter dem Titel Ängste alles um ihn Liegende spiegelt.Aus hohem Tubaklang und rollendem Paukennebel steigen diese geisterhaften Ängste auf. Und wenn am Ende des letzten Satzes der von zwei Flöten eingeführte Ohrwurm, wiegende Streicher, Celesta und der einzige Schlag einer Röhrenglocke zu hören sind, ist das eine äußerst beunruhigende stille Apotheose.

Männerchor WE (Abk. „Windischeschenbacher Eichendorffgesangsgemeinschaft“)

YL ist die sinnige Abkürzung des finnischen Männerchors, der hier zu hören ist: ausgeschrieben heißt er Ylioppilaskunnan Laulajat. Nun gut, wie sich „Rottweiler Münstersängerknaben“ für Italiener läse, sollte man auch nicht fragen. Sibelius schrieb viel für den 1883 gegründeten YL, der hier meist einstimmig zu hören ist: keine Jammerlappen sind das, die gegen Frauenparkplätze prozessieren, sondern echte finnische Mannsbilder, auch und gerade vokal. Wirklich begeisternd aber ist der Bass des Solisten Dmitry Belosselskiy: edel, maskulin, voluminös, klangschön, genau und emotional, eine russische Stimme aus dem Traumbilderbuch.

Dem Programmheft liegen die deutschen Texte bei, wünschenswert wären daneben die russischen – oder noch besser, da es in dieser deklamierenden Sinfonie ja um die Verständlichkeit jedes Worts geht, simultane Übertitel.

Vor Schostakowitsch spielt das Orchester noch Franz Schuberts 3. Sinfonie D-Dur. Und zwar sehr schön, immerfort kreisend, mit reizendem Allegretto, entzückendem Techtelmechtel von Fagott und Oboe im Trio und tagheller Schluss-Tarantella. Nur die Programmierung mit DSCH 13 erschließt sich nicht. Durch Licht zur Nacht, per astra ad aspera? Jugendlicher Aufbruch versus lebensabendliche Verzweiflung? Wirkt alles konstruiert. Plausibler scheint, dass im Notenarchiv (wie in Konzertgängers CD-Regal) Schu gleich neben Scho steht.

Trotz dieser Unrundung mal wieder ein sehr hörenswerter Abend mit dem Konzerthausorchester. Die Qualität dieses manchmal unterschätzten Teams zeigt sich, wie im Fußball, auch in den Abgängen zu allerersten Adressen: Die Geigerin Suyoen Kim (an diesem Abend nicht dabei) wechselt ins Artemis Quartett. Die hervorragende Konzertmeisterin Sayako Kusaka bleibt hoffentlich. Mit ihr als erster Geige gibt es das besprochene Konzert noch zweimal am Freitag und Samstag. Außerdem kommt DSCH 13 nochmal beim DSO am 2. Februar mit Ingo Metzmacher (und Messiaen statt Schubert).

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8 Gedanken zu „Kargfarbig: KHO mit Valčuha spielt Schostakowitsch und Schubert

  1. Au weia,
    jetzt geht das Gejammer der Halb- und Ganznazis hier auch los. Diese Verharmlosungen und Verdrehungen einfach peinlich und lächerlich. Als wenn Anhänger dieser braunen Ideologie Ahnung von Kultur haben.
    Na ja, jeder blamiert sich so schlecht er kann. Sie können es besonders schlecht. Hier werden Sie keine Anhänger finden, gibts in Ihren Kreisen keine entsprechenden Seiten, wo Sie Ihre Billigpropaganda ablassen können?

    (Anmerkung: Dieser Kommentar bezieht sich auf untenstehende Kommentare von Hagen Enke.)

  2. Lieber Herr Selge,
    wie immer Danke für den Text, es tut mir jetzt nur noch mehr leid, nicht dagewesen zu sein. Ich habe diese Sinfonie vor 2 Jahren mit dem DSO gehört und das hallt immer noch (mal) in mir nach.
    Mit dem Antisemitismus und der rechtsradikalen Partei, die ihn wieder stark machen will, haben Sie selbstverständlich Recht.

    • Es ist traurig, dass kultivierte Menschen auf gesellschaftlichem Gebiet so borniert und blind sind und die Ideologeme der Medien nachbeten: Die AfD ist keine rechtsradikale Partei! Und gleich gar nicht ist sie für Antisemitismus verantwortlich, da sollte man eher islamische Kreise beobachten. Schostakowitschs Kunst wird durch solche unqualifizierten Einlassungen desauviert. Schade.

      • Es ist witzlos, permanent den Satz zu wiederholen, diese Gruppierung sei nicht rechtsradikal, während die Afd sich jeden Tag durch ihre Worte und Taten selbst richtet. Auch die größte Unzufriedenheit mit unserer Regierung ist keine Rechtfertigung dafür, in voller Vorsätzlichkeit die Büchse der Pandora aus Hass auf Minderheiten zu öffnen und sich dabei überdies mit Nazi-Nostalgikern wie Höcke unter eine Decke zu legen. Für einen bürgerlichen, konservativen Menschen ist die Afd ein Igitt, ein verworfener Haufen wie Npd, Pegida und dergleichen.
        Und damit ist es mir genug. Es gibt im übrigen reichlich trübe Gegenden im Internet, wo Afd-Fans sich gegenseitig ihrer Liebenswürdigkeit und Rechtschaffenheit versichern können (und dann weiter Gift verspritzen gegen Juden, Muslime, Schwule, Frauen und wen weiß ich noch). Ich werde hier keine weiteren Diskussionen zu diesem Thema führen.

  3. Lieber Herr Selge, das ist einfach nicht wahr. Eine rechtsstaatliche Partei für etwas verantwortlich zu machen; wofür sie nicht verantwortlich ist; ist schon arg; aber sie auch noch in Verbindung zu bringen mit einem der furchtbarsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts, das ist schlicht infam. Und Schostakowitsch hat so ein Polemisieren knapp über der Grasnarbe gleich gar nicht nötig.

  4. Lieber Herr Selge, sie wissen, wie sehr ich sie und ihre Beiträge schätze; aber mit der Kontextuierung des ersten Absatzes bin ich ganz und gar nicht einverstanden. Hier werden Sachen vermengt, die sich im Zusammenhang betrachtet ganz anders lesen. Liebe Grüße und nach wie vor voller Neid auf die von ihnen besuchten Konzerte, ihr Hagen Enke

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