Konsistent einzykelnd: Hagen Quartett spielt Schostakowitsch

„Haben Sie ‚Zyklus‘ gesagt?“

Über die inconsistency des Berliner Kulturlebens in Pandemiezeiten kriegt sich der ältere britische Streichquartettkenner hinter mir im Pierre-Boulez-Saal kaum mehr ein. Ganz Unrecht hat er nicht, es ist zwar schön, ohne Maske im vollbesetzten Saal zu sitzen. Aber während uns tragisch verblendete oder auch bloß banal renitente Impfmuffel gerade ins nächste Desaster seuchen, wäre es schöner mit 2G-Regel statt des geltenden „3G“. Und auch eine genauere Kontrolle der Impfzertifikate wäre eine feine Sache – man kann und sollte die QR-Codes mal scannen, nicht bloß anschauen, lieber Boulezsaal (und liebes Konzerthaus am Vortag)!

Nevertheless, die Eröffnung eines kompletten „Schostakowitsch-Zyklus“ durchs großartige Hagen-Quartett ist ein Ereignis, für das man Gefahr in Kauf nimmt.

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Unaushaltbar: Abschluss der Quartett-Woche mit dem Hagenquartett

Höhepunkt zum Abschluss der irreführend benamsten, da zehntägigen Streichquartett-Woche im Pierre-Boulez-Saal: Das Hagenquartett spielt am Sonntagnachmittag Kurtág, Schostakowitsch und Beethoven. Kaum zum Aushalten, in mancherlei Hinsicht.

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9.5.2016 – Allerletzt: Hagen Quartett spielt Schostakowitsch und Schubert

Wie Odysseus den Hades, so betritt der Konzertgänger den Kammermusiksaal, wo nicht Letztes, sondern Allerletztes gespielt wird – im Mai, während draußen der Flieder blüht und die Bauchnäbel lächeln. Das Hagen Quartett hat sein Februarkonzert krankheitsbedingt in den Wonnemonat verschoben, aber die ursprünglich geplanten Haydn, Webern, Schumann durch ein winterliches Programm ersetzt: Schostakowitschs letztes Streichquartett mit sechs Adagios in es-Moll und Schuberts letztes Streichquartett mit ultimativ todesseliger Dur-Moll-Gleiche.

In Dmitri Schostakowitschs kurz vor seinem Tod geschriebenen 15. Streichquartett es-Moll op. 144 (1974) kommt die vielgepriesene Homogenität des Hagen Quartetts zunächst kaum zur Geltung – weil die vier Stimmen in diesem dem Ende entgegen brütenden Spätwerk kaum je zusammen spielen, sondern einzeln, unverbunden, entwicklungslos bleiben. In sechs ineinander übergehenden langsamen Sätzen wie Elegie und Trauermarsch – eine Überhöhung der Möglichkeit des getragenen Zeitmaßes, wie die Musikwissenschaft (Karl Schumann) lustig formuliert. Das allerdings in schmerzlich konzentrierter Klarheit: Die erste Geige leichenblass, die zweite aschfahl, die Bratsche sterbensmüde, das Cello totenbleich. Kurzum, wunderbar. Durchaus eine Geduldsprobe, die aber besteht, wer sich in Trance fallen lässt.

Unglaublich leuchten danach die G-Dur-Akkorde in Franz Schuberts 15. Streichquartett G-Dur D 887 (1826) – und unfassbar bedrückend klingt der stante pede folgende Umschlag in g-Moll. Noch niederschmetternder ist nur der umgekehrte Weg von g-Moll zu G-Dur in der Reprise des Kopfsatzes. (Ian Bostridge bemerkt in seinem Buch über die Winterreise, dass Dur bei Schubert immer trauriger ist als Moll.) Brüchiger, als das Hagen Quartett sie spielt, können Tremoli wohl kaum klingen; gläserner kein Gesang als erste Geige und Cello (Clemens Hagen) ihn singen. Der Primarius Lukas Hagen schwingt sich zitternd, doch traumhaft sicher, ja paradox warm in die eisigsten Flageolettregionen auf.

Winterreise-Flair auch im Andante. Und wenn im Scherzo die prägenden Tremoli scheinbar heiter werden, schüttelt es den Hörer durch und durch; überdies so perfekt gespielt, dass man fast erleichtert ist, als man dem aufs Äußerste geforderten Primarius einen hohen Ton verrutschen zu hören meint. Bezaubernd das Ländler-Trio in seiner extraterrestrischen Vollkommenheit. Die unendlich traurige Vorschlag-Fröhlichkeit des Finales, wünscht man sich, möge eben das sein: unendlich.

Wie kann der Flieder blühen, wenn Schubert tot ist?

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