Hörstörung (26): Abstand total

Gut, so viel Abstand wie jetzt hätte der kurzmütige Konzertgänger sich niemals gewünscht, bei allem Ärger über rücksichtslose Mitbesucher. Aber durch diese größtmögliche Hörstörung müssen wir als verantwortungsvolle Bürger nun durch. Für viele Menschen gehts ja um Leben und Tod. Konzertpause heißt weitgehend Blogpause. Die Konzertgängerkinder wollen ja auch beschult und bespaßt sein und ein wenig Arbeit daheim getan. Und Live-Streamings sind für viele eine feine, tröstende Sache, das ist wunderbar; aber für notorische Echtraum-Erleber wie mich uninteressant.

Hübsch allerdings diese Neufassung von Beethovens Für Elise nach der zeitgemäßen Regel „Mindestens eine Terz Abstand halten!“, erstellt von Arno Lücker:

Und natürlich sei noch darauf hingewiesen, dass viele Buchhandlungen weiterhin geöffnet sind und einige jetzt auch Bücher nach Hause liefern – als Alternative zu den Onlineshops. Rufen Sie also ruhig mal im Buchladen Ihres Vertrauens an und fragen nach! Mein Roman Beethovn („das wohl originellste Buch zum Beethoven-Jahr“, schrieb gerade die Leipziger Volkszeitung) ist mittlerweile in der zweiten Auflage erschienen und überall lieferbar.

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Angst, Kleinmut und ein viraler Scherbenhaufen

Update zum Fall Lücker/Hope – für den Teil der Blog-Leserschaft, der nicht die Weltpresse verfolgt: Denn über die Sache mit dem Moderator, den das Konzerthaus Berlin wegen eines satirischen und/oder schmähenden Videos über Daniel Hope rausschmeißen will (siehe hier und hier), berichtet mittlerweile nicht nur BR Klassik, sondern auch die Londoner Times und die New York Times. Weiterlesen

Angstkleinlich: Ein Star schießt mit Kanonen auf Satirespatzen

Haarsträubender Vorgang am Konzerthaus Berlin: Offenbar weil der berühmte Geiger Daniel Hope sich über eine Satire (oder auch bloß Allerweltsblödelei) ärgert, wird ein unberühmter Dramaturg gefeuert. Darauf macht der Komponist Moritz Eggert in einem offenen Brief im „Bad Blog“ der neuen musikzeitung aufmerksam.

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12.9.2016 – Bered(e)t: Hinrich Alpers spielt 2x Ravels „Gaspard de la Nuit“

Den alten kantischen Widerstreit zwischen Pflicht (Pierre-Laurent Aimard und Tamara Stefanovich spielen alles für Klavier von Pierre Boulez) und Neigung (zweimal Gaspard de la nuit im Konzerthaus) löst der Konzertgänger, indem er stracks der Neigung folgt.

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4.4.2016 – 2 x 3 strophes: Johannes Moser spielt Dutilleux

Eine der löblichsten Einrichtungen im Berliner Musikleben ist die Reihe 2 x hören im Konzerthaus. Natürlich sind Gesprächskonzerte keine neue Erfindung, es gibt auch einige andere Formate, etwa im Radialsystem. Aber die Idee: ein Werk im ganzen zu hören, danach ein wenig voranalysiert und erklärt zu bekommen, dann das Werk ein zweites Mal zu hören, ist ein schönes, einfaches Konzept. Zumal dafür immer wieder namhafte Solisten in den Werner-Otto-Saal unter dem Dach des Konzerthauses hinaufsteigen, Tabea Zimmermann oder Igor Levit waren schon da. Wahrscheinlich nicht nur aus didaktischem Pflichtbewusstsein, sondern weil es auch einem Musiker gut tun muss, das stoffelige Wesen Hörer, ohne das es ja irgendwie nicht geht, am Ende etwas weniger unwissend zu wissen.

Diesmal ist der Cellist Johannes Moser zu Gast, ein Star, bei dem laut SPIEGEL das Klassik-Publikum rast. Er spielt die Trois strophes sur le nom de Sacher“ für Violoncello solo (1976) von Henri Dutilleux, der die Gourmets unter den Neue-Musik-Freunden rasen macht und auch den Avantgardemuffel becirct. Während die halbe Welt über Putins märchenhaft reichen Cellisten spricht (der jedoch nicht ganz sauber intoniert), offenbart Moser im Gespräch, dass er keinen festen Wohnsitz hat, gestern Amsterdam, morgen Neuseeland; und die Celli seien heutzutage auch so teuer, dass man sie besser nicht wie weiland Rostropowitsch im Casino verspielen sollte.

Leider neigt der Moderator Christian Jost (der sich selbst Kurator nennt) an diesem Abend zum selbstbespiegelnden Ad-libitum-Geplänkel, über all den Anekdoten und Erinnerungen und Komplimenten für Mosers Cellokünste kommt die Konzentration auf Dutilleux‘ Werk zu kurz. Nur gut, dass der wohltuend lockere, aber nicht zerstreute Moser immer wieder in medias res geht und kurzentschlossen die sechs aus dem Namen Paul Sachers abgeleiteten Töne vorspielt, die Dutilleux im Auftrag Rostropowitschs zur Grundlage seines Werkes nahm: Es – A – C – H – E- Re (=D). Wobei Jost zwischen jedem Ton noch einmal den Namen nennt, so dass der ohnehin sperrige Höreindruck schon wieder flöten geht. Später wird der Bezug auf Béla Bartóks von Sacher in Auftrag gegebene Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta mehr erwähnt als analysiert. Schade, dass Jost, der im Hauptberuf ja Komponist ist, beim Blick auf Dutilleux sein eigenes Metier ignoriert: Wie genau werden denn hier aus sechs beliebigen Tönen ganze Phrasen und schließlich ein zauberhaftes Werk? Darüber wüsste man gern mehr und Genaueres. Die Leinwand hinter den Gesprächssesseln wartet auf Notenprojektionen, bleibt aber dunkel. Der ehemalige Moderator der Reihe, Arno Lücker, der mittlerweile den Ableger 2 x hören klassisch verantwortet, hat mit seiner forcierten Flapsigkeit zwar manchmal genervt, aber immer vorgemacht, wie man mit Gewinn in eine komplexe Partitur blicken kann, ohne dass die Veranstaltung zum Seminar für verschrobene Spezialisten wird. Bei 2 x hören zeitgenössisch wäre das wieder wünschenswert, bei aller lobenswerten Niederschwelligkeit.

Sehr interessant aber, zum Vergleich Witold Lutosławskis dreiminütige Sacher-Variationen zu hören, mit ihren engschrittigen Figuren und kompakten Wirbeln ein überaus witziger Gegenentwurf zu Dutilleux‘ sehr klassisch strukturierten Sacherstücken: Deren erstes ist offenhörlich thematisch fokussiert, das zweite kantabel bis elegisch, das dritte lustig galoppierend. Schön sind sie auf jeden Fall. Im Gespräch erzählt Moser, dass er sich zu einer Einladung von Dutilleux vor einigen Jahren nicht traute, weil er die Trois strophes noch nicht drauf hatte, nur das Cellokonzert. Nun ist Dutilleux seit bald drei Jahren tot, und Moser hat die Trois strophes sur le nom de Sacher bestens drauf. Hier spielt er sie zum ersten Mal im Konzert. Und natürlich auch zum zweiten Mal. Man meint, dass er sie beim zweiten Mal besser spielt als beim ersten Mal. Ganz sicher hört man sie beim zweiten Mal besser – auch wenn man nicht recht weiß, warum.

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