Trio Accanto und Zafraan Ensemble im Heimathafen, Ensemble Resonanz im silent green
Erfreulich wenig Rede beim diesjährigen Ultraschallfestival für neue Musik von Trends, Tendenzen etc. (es gehe neuerdings wieder zum Politischen/zum Subjektiven/zum Popjektiven usw). Das hat immer so etwas Bemühtes, zumindest im Blick auf die laufende Gegenwart. Stattdessen unterschiedlichste Musik, viel Reizvolles, zwischendurch etwas Ratlosigkeit, und zum Ende zwei mich begeisternde Werke italienischer Komponistinnen.
Der Heimathafen in Neukölln gehört seit einigen Jahren zu den Festival-Spielstätten. Um den atmosphärischen Saal täte es mir leid, wenn er dereinst rausflöge wie das Radialsystem, wo Ultraschall neuerdings nicht mehr stattfindet. Das Trio Accanto, das Freitagabend im Heimathafen auftritt, spielt in klassischer Jazzbesetzung Klavier/Sax/Schlagzeug und kann dabei Klänge entstehen lassen, die keine Grenze zu haben scheinen. Diese Weite kann auch gegens Nirgendwo pendeln, wie in Evan Johnsons Plan and section of the same reservoir mit systematischer Neigung zur Stille. Kein Fluss schwebt da knapp über dem Nixmehr, sondern nur einzelne Punkte. Es ist, als durchblätterte man ein Buch voll fast weißer Seiten, auf denen sich nur einzelne winzige Farbtupfer befinden, drei pro Seite vielleicht, und am Höhepunkt sieben. Das ist fein, das ist hypnotisch. Aber wehe, dir knurrt als Hörer der Magen. In der wiederkehrenden Stille von Mirela Ivičevićs Čar, das davor zu hören war, wusste man immerhin zuversichtlich, dass es sich um ein Nirgendnix anderer Art handelt: die Anspannung vor dem nächsten überfallartigen Energiestoß, Erwartung einer weiteren wahren Explosion. Ivičevićs Musik ist derart packend, weil sie eine direkte körperliche Erfahrung ist.
Auch in That Time von Rebecca Saunders, dem dritten Stück des Trio Accanto, ist der Wechsel von Stillstand und Entladung zentral. Aber hier ist die Eruption keine physische Naturgewalt, sondern hat eher was von hysterischem Anrennen, das in seiner Richtungslosigkeit zunehmend heftiger wird. Aktion von Beckett-Clowns.
Gar sieben Stücke, im Umfang von 7 bis 13 Minuten, gibt es im folgenden Konzert des Zafraan Ensemble. Und da ist gegen kein einziges Stück Gravierendes zu sagen, im Gegenteil, das sind alles makellose Arbeiten. Und doch kommt in mir zwischendrin dann einmal diese leidige Tendenz- und Trendfrage auf, oder allgemeiner die ein wenig traurige Skepsis, wo das alles nur hin soll und überhaupt hin will. Siebenmal gibt es verdienten freundlichen, betriebswarmen Applaus; Begeisterung nie. Oder ist dieser Eindruck nur eine Ungerechtigkeit aus gewisser Mittfestival-Erschöpfung am späten Freitagabend, so wie man auch mittwochs um 15 Uhr den totesten Punkt der Woche erreicht? Wie dem auch sei – aus dem vielen gekonnten Kleinklein scheinen mir Claire-Mélanie Sunnhubers Sieben Ausnahmen weit hervorzuragen: weil darin das Kleinklein eben nicht passiert, sondern weil dieses Stück das Kleinklein zur Methode macht. Sieben Miniaturen, jede prägnant und doch alles hörbar zusammengehörig durch ein ganz simples Schlagmotiv.
Um ein paar weitere Reize des Zafraan-Konzerts zu erwähnen: Da wäre das schrille Zirpen in Simone Movios Incanto XI. Da wäre das röhricht-rauschend-klinglige Effekthaschmich in Helga Arias Parras End run, das man doch sehr gerne hört. Und da wäre die Tatsache, dass die sieben Stücke alle aus der Zeit von 2010 bis 2016 stammen. Wiederaufführungen also, ein Prinzip, mit dem das Ultraschallfestival der Gegenwartsmusik-Wegwerfgesellschaft der ewigen Einmal-und-nie-wieder-Aufführungen systematisch etwas entgegensetzt. Und das ist dann eben doch die Voraussetzung dafür, dass Kunstwerke irgendwohin kommen können und werden.
Am Sonntag dann noch das längste Konzert des Festivals, zweieinhalb subterrane Stunden in der Betonhalle unter dem Weddinger silent green, einem ehemaligen Krematorium. Da kommt schon etwas auf, so eine gewisse … gewisse Stimmung. Rechtzeitig da sein und bis zum Schluss bleiben lohnt aber. Denn am Anfang und am Ende stehen zwei große Werke, die es in sich haben, ja, einen Hörer wie mich regelrecht erschüttern. Dazwischen gibt es zwar leichte Hänger, etwa Unfoldings der Geigerin Sarah Saviet und des Pianisten Joseph Houston, worin im Flügelkorpus liegende E-Bows eine Aura von Glasharmonika oder singendem Weinglas verbreiten. Aber ist das als Komposition wirklich mehr als Klangschalenwellness? Am Handwerk von Rebecca Saunders und Enno Poppe besteht hingegen kein Zweifel, trotzdem will ihr Gemeinschaftswerk Taste mich auch nicht ganz froh machen. Erstaunlich konventionelle Elemente finden sich darin (Violinsingen, expressives Vibrato), denen sich die schlauen Komponisten aber nicht überlassen mögen. Immer wieder setzt das mit einer Figur wie aus Brahms‘ Wiegenlied ein, aber meinereins schläft dann doch aus anderen Gründen weg. Gibt es ein Zuviel an Gegenwartsprofessionalität? Dankbar durchlebt man da den Energielevel eines Meisters wie Iannis Xenakis, in dessen Mathematik immer Schreien steckt. Sein Dikhtas von 1979 ist aus Gegenwartssicht Klassik, und auch diese Präsenz tut einem Festival gut. Ein kurzes Kontrabassstück von Giacinto Scelsi gibt’s hier zudem, in einem anderen Konzert ist Lachenmann zu hören.
Wie Unfoldings und Taste ist Xenakis‘ Dikhtas ein Werk für Klavier und Violine, das Saviet und Houston sehr kompetent aufführen. Den Rahmen des Konzerts und zugleich seine absoluten Höhepunkte bilden hingegen reine Streicherbesetzungen des Ensemble Resonanz. Der Klang der zwanzig Streicher in Francesca Verunellis In margine ist wie gedrosselt, auf zehn Prozent reduziert, er gliche einer Verlangsamung und Zeitlupe, wären nicht die Frequenzen so hoch. Doch langsam sinken sie über die Dauer von fünfzehn Minuten hinab, Sinken in ein Singen von tiefer Traurigkeit, ja tatsächlich in etwas wie: Andacht.
Schließlich Clara Iannotta (eine Komponistin, die furchtbarerweise an gehörzerstörender Otosklerose leidet) mit ihren ergreifenden Memory Jolts – Flashes of Pink in the Brain. Eine nervöse, teils beängstigende Klangwolke. Mit „16 Streicher“ sind hier keineswegs nur klassische Streichinstrumente gemeint. Wobei das Streichen über Becken zu den angenehmeren, das Streichen über die Ecken eines Kartons zu den entschieden unangenehmeren Klängen gehört. Mit der gelegentlichen Selbstgefälligkeit des ewigen Styroporquietschens in der Gegenwartsbetriebsmusik hat das nichts zu tun. Am Ende der Memory Jolts empfindet man sich als Hörer verloren in einem sehr weiten Raum.
Diese beiden Werke von Verunelli und Iannotta gehören für mich nicht nur zu den Höhepunkten des Ultraschallfestivals 2023, sondern vermutlich zu den berührendsten Musiken, die ich am Ende des Jahres 2023 erlebt haben werde.
Viele Konzerte des Festivals sind direkt auf auf der Ultraschall-Webseite nachhörbar. Schön.
Zum Konzert des Trio Accanto / Zafraan Ensemble / Ensemble Resonanz
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