Ultraschall-Festival 1. und 2. Tag

Konzerte des DSO, des RSB und des SWR-Experimentalstudios

Mit zwei vielseitigen, teils prachtvollen Orchesterkonzerten sowie einem interessanten elektronischen Spätabendtermin eröffnet das diesjährige Ultraschall-Festival für neue Musik, endlich wieder in halbwegs normalen postpandemischen Umständen. Man geht einfach so ins Charlottenburger Haus des Rundfunks. Auf dem Programm am Mittwoch und Donnerstag stehen beim Deutschen Symphonie-Orchester (kurz DSO) und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) sage und schreibe acht verschiedene Komponistinnen; Männer sind mitgemeint. Dabei stehen die beiden Werke, die mich am wenigsten interessieren, an den gegensätzlichen Enden der Skala heutigen Komponierens – hier Autoreferenzialität der Musikgeschichte, dort explizites Engagement hinaus in die Welt.

Die Beharrlichkeit, mit der der sympathische Österreicher Bernhard Lang seit vielen Jahren aus den Zellen großer Werke der Musikgeschichte seine Monadologien pfriemelt, nötigt Respekt ab. Der Untertitel „für Arnold“ seiner halbstündigen Monadologie VII von 2009, die am Schluss des DSO-Eröffnungskonzerts steht, bezieht sich dabei nicht auf Arnie Schwarzenegger, sondern verweist auf Schönbergs Kammersinfonie, aus der vier Themen zum Material werden. Das Problem dabei scheint mir keineswegs, dass „man nie weiß, was von Schönberg ist, was von Lang“, wie der missmutige Tagesspiegelkritiker befindet (wobei es schon wieder sympathisch ist, dass der immerhin professionelle Rezensent so frei eingesteht, dass er Schönbergs Kammersinfonie nicht kennt). Mich frustriert eher der Eindruck des allzu selbstbezüglichen Klassikprofitums und irgendwie auch das mechanisch Genügsame in diesen nicht endenden Loops. Allerdings, vergnüglich ist es, wenn auch ein klein wenig undringlich, außer für Arnold-Ultras, und für den Komponisten: Er versteht sein Komponieren auch als Selbstbefreiung nach Jahren der universitären Musikanalyse. Das hat natürlich schon wieder was, Schönbergs Themen als Ohrwürmer eines durchgedrehten Musikprofessors!

Das Programm des RSB am nächsten Tag ist in sich schon Bekenntnis. Dirigierte beim DSO der renommierte Neue-Musik-Altmeister Lothar Zagrosek (vorzüglich!), so steht beim RSB die junge Susanne Blumenthal am Pult und dirigiert, ebenfalls vorzüglich, Musik einer Ukrainerin, einer Belarusin und auch eines Russen. An seinem Abscheu gegen den russischen Angriffskrieg gegen das Nachbarland hat Sergej Newski keinen Zweifel gelassen, und auch sein Stück Stufen der Ideen lässt keinen Zweifel an seiner Haltung: Im Mittelpunkt steht die Rezitation eines flammenden Lew Tolstoi-Rants gegen jede Art von Patriotismus, vor allem den der großen, mächtigen Länder. Vollkommen austreiben solle Russland seinen Kindern jeden Patriotismus, so Tolstoi, gelesen von Jakob Diehl. Freilich wird vielleicht ein Ukrainer, der gerade sein Land um den Preis des eigenen Lebens vor der Vernichtung zu schützen sucht, eine andere Meinung zum Thema „Patriotismus“ haben. Das ist aber dem Werk, das bereits 2021 entstand, nicht vorzuwerfen, sein Standpunkt eines klar oppositionellen Russen ist aller Ehren wert. Musikalisch aber befriedigt es mich weniger, weil der Streichersatz (als feines Katzenjammerständchen beginnend, in utopischer Höhe endend, zu Tolstois Hoffnung der Kindergotteswerdung des Menschen) dann doch eher begleitend und etwas illustrativ bleibt.

Aber rund um die als Hauptstücke gedachten Werke von Lang und Newski stehen lauter Stücke voller Klangsinn, eine große Schatzkammer! Alle festivalfreundlich zwischen 10 und 15 Minuten. Etwas skeptisch höre ich noch Liza Lims Mary/Transcendence after Trauma, ein Mariä Empfängnis-Stück mit pulsierendem Herzschlag und gediegenen Mischklängen, klanglich attraktiv und effektvoll „wie Filmmusik“, aber doch auch ein bisschen esoterischer Schwulst. Schlicht großartig finde ich hingegen Carola Bauckholts Cellokonzert Brunnen mit der umwerfenden Solistin Séverine Ballon. Jogurtgläser und Bohrmaschinen-Zuspieler sind keine Selbstzwecke, sondern pure Spielfreude. Irgendwie soll es auch einen Jean Paul-Bezug geben, na gut, so mag man im humorigen und einnehmend ratschenden Drive des Ganzen den Doktor Katzenberger im Technoclub sehen, allwo sich durchaus auch allerlei Dämonisches ereignet. Und doch entsteht aus dem ganzen Vergnügen am Ende gar sowas wie Transzendenz, mehr als bei Lim, die sie doch vor sich herträgt.

Auch in Malin Bångs avgår, pågår verbindet sich in einer akustischen Stadtwanderung durch Göteborg das Transzendierende mit dem Komischen. Anna Korsuns in einem anderen Raum ist sehr atmosphärisch, streckt den Klang über große Weite in Höhe und Tiefe und bis in den überraschenden Schluss eines ukrainischen Volkslieds aus dem Smartphone. Korsuns Stück ist eine Traumwandelei, der ich stundenlang zuhören könnte.

In Oxana Omelchuks Harmoniemusiken ist dagegen eminenter Druck im Kessel, Dampf und Rhythmik, etwas Strawinsky und etwas Broadway, bei kurzen Marsch-Umschlägen mag man an Mahler denken und beim Weggleiten in Klangflächen vielleicht an Charles Ives. Jedenfalls hat Omelchuks Komposition hörerfreundlichen Schwung und hohe Ereignisdichte. Ebenso beschwingt, aber auf ganz andere Weise ist Kristine Tjøgersens Between Trees, dem Titel gemäß voller Wind und Klöppeln und hereinrufender Käuze, aber doch alles andere als simpel naturalistisch. Zwischen heiterem Blubbern am Rand des Klangs und kurzen Aufschwüngen zu vollen, ja betörenden romantischen Bläsermischungen findet sich alles in dieser herrlich unaufgeräumten Komposition. Sogar eine Art großer Orchester-Apotheose, doch ohne dass das Stück dafür seine Schrulligkeit aufgäbe. Tjøgersen ist an den ersten beiden Abenden klare Publikumsfavoritin.

Im Anschluss an das Donnerstagskonzert gibt es im Kleinen Sendesaal noch ein Gastspiel des legendären SWR-Experimentalstudios mit eigenem Ensemble. Wobei die Umzingelung durch Lautsprecher ebenso wichtig ist wie die kompetenten Instrumentalisten. Mir geht es freilich so, dass – bei aller Sympathie, bei allem Interesse – die grenzenlosen Möglichkeiten des Elektronischen nicht entfernt an den Reichtum der zuvor gehörten klassischen Orchesterklänge heranreichen. Li-Ying Wus The truth will set you free kostet sich wie die kleine Raupe Nimmersatt durch alle Soundmöglichkeiten, wirkt dabei aber etwas ästhetisch unentschlossen. In Roque RivasBlumentanz gibt es eine große Steigerung, aber keinen rechten Sog, da sich das Stück doch in etwas abgedroschenen Gesten rasenden Cellotums (toll vollführt allerdings von Daniela Shemer) erschöpft; die Elektronik fügt über allgemeinen Klangwandteppich wenig hinzu. Marta Gentiluccis Auf die Lider gefällt mir sehr in den suchenden Vertonungen von Lyriksplittern (mit der charismatischen Sopranistin Gan-ya Ben-gur Akselrod). Und im längsten Werk des Nachtprogramms, Detlef Heusingers 4 CROSSROADS, ist die kompositorische Komplexität eher ahn- als begreifbar. Aber allein mit dem Theremin-Sound ist es nostalgischer LSD-Sound vom Feinsten, auch wenn mir unbedröhnt im überbeleuchteten Aufführungssaal letztlich das gewisse Etwas fehlt.

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