Wiederaufnahme Korngolds „Das Wunder der Heliane“ an der Deutschen Oper

Während professionelle Kritiker sich mit der offenbar ziemlich vereisten Strauss-Rarität Daphne an der Staatsoper Unter den Linden auseinandersetzen müssen, kann man sich als ungebundener Empfindungsausdrücker einer anderen Rarität zuwenden: An der Deutschen Oper Berlin wird Erich Wolfgang Korngolds Mysteriumsschocker Das Wunder der Heliane wiederaufgenommen. Der Genuss dieses Werks von 1927 wird zugegebenermaßen durch zwei Handicaps getrübt, aber nicht vergällt. Denn seine üppigen Reize sind dennoch im besten Sinn betäubend.

Das erste Handicap besteht darin, dass das Textbuch ein Machwerk ist, sprachlich wie inhaltlich. Was nicht heißt, dass es uninteressant wäre: diese verquaste Übersteigungsweiherlichkeit über Lichtbringer, Nacktheitswunder und, na klar, Todüberwindung durch Liebe (Handlung im Detail). Expressionistischer Menschheitsschmu zum Quadrat, nach dem Stück Die Heilige des tragisch junggestorbenen Hans Kaltneker (1895-1919), der neben Tuberkulose auch an schwerer Parsifal-Verehrung litt. Aus Kaltnekers Vorlage bastelte ein gewisser Hans Müller-Einigen für Korngold das Libretto, aus dessen Gesegnet die Segnende! noch munter Wagners Erlösung dem Erlöser! grüßt. Haupthandicap an der ganzen Sache ist natürlich nicht die Quatschigkeit, sondern das Desinteresse und die fehlende Anteilnahme, der uns die Figuren ratlos überlassen. Denn selbst in Wagners, Verdis oder Straussens größten Quatschigkeiten identifizieren wir uns doch mit wem und leiden mit. Von den herzzerreißenden Opern Janáceks zu schweigen, die wenige Jahre vor der Heliane entstanden.

Handicap Nummer zwei ist die Inszenierung von Christof Loy, an der an sich nichts falsch oder schlimm ist. Nur ist der große holzgetäfelte Raum voller grauer Anzüge und mit viel Rumsteherei ein Einheitsbühnenbild, das nicht einheizt, im absoluten Gegensatz zum gewaltigen Schillern und Schwallen der Musik. Die Inszenierung verweigert sich einfach der Suche nach einer adäquaten Antwort auf Wucht und Überwältigung der Musik und auch dem ausgeflippten Religionswahn der Handlung. Nachahmungen oder auch wilde Videoprojektionen aus Fritz Langs Metropolis würden sich geradezu aufdrängen, die Berührungspunkte sind ja frappant: abstruse moralische Fabel in bedenklicher Mesalliance mit großer Staatsaffäre, Volksmassenchoreographien, Erlöserfiguren, Scheiterhaufen.

Während der Metropolis-Unfug durch seine visionäre Bildsprache von der Lächerlichkeit erlöst (und in der Filmgeschichte unsterblich) wurde, ist es bei Korngolds Wunder der Heliane die eigenwillige musikalische Größe und Breite. Und der wird die Aufführung mit dem Dirigenten Marc Albrecht aufs Wunderbarste gerecht. Allein für die nicht endenden Orchesterräusche und die schamlosen, begeisternden Chöre des dritten Akts lohnt es. Da übersteht man auch gleich zwei (!) Auferweckungen Toter unbeschadet. Und dass es bei Korngold statt Leitmotiven Leitharmonien gibt, das ist doch was. Eigentlich hat es überhaupt keine Melodien in der ganzen Oper; und doch ist es sinnlich luxuriös, ja maßlos. Oder es schlängeln sich, wenn der Klang sich verschlankt, betörende Flötentöne um den Alabasterleib der Heliane.

Nicht Korngold klingt wie Filmmusik, sondern Filmmusik klingt wie Korngold; natürlich in der harmonischen Fülle reduziert gegenüber dem hier zu erlebenden Opernschaffen dieses Komponisten und großen Strauss-Rivalen, der nach seiner Vertreibung durch die Nazis in Hollywood mehr als reüssierte, aber im Musiktheaterrepertoire nach 1945 (zwischen Nazi-Erbe einerseits, doktrinärem „Fortschritt“-Zwang andererseits) kaum wieder heimisch wurde.

Was den Sängern abverlangt wird, ist in und über den wogenden und sogenden Orchesterklangwogen allein schon eine athletische Leistung. Wobei Marc Albrechts umsichtige Disposition sehr hilft. Der beeindruckenden Hauptdarstellerin Sara Jakubiak ist als Dreingabe im ersten Akt gar ein mehrminütiges splitternacktes Singen auferlegt, das sie souverän meistert. Intensiver Ausdruck steht bei ihr über purem Schönsang. Dem kultivierten Tenor von Mihail Culpajevs, wegen dessen Erkrankung der ursprüngliche Wiederaufnahme-Termin vier Tage zuvor ausfallen musste, ist eine gewisse Reserviertheit noch anzuhören, aber er steht alles durch, nur im finalen Duett verschwindet seine Stimme zeilenweise im Irgendwo. Besonders ansprechend ist in der handlungsleitenden symbolischen Dreiecksbeziehung die Leistung des Baritons Jordan Shanahan als liebeloser, Liebe ersehnender, Liebe hassender Herrscher des namenlosen Reichs. Spürbar werden hier, über dunklen Orchesterfarben, Brüche und psychologische Abgründe, während Psychologie dem Werk sonst ganz fern ist. Da ist plötzlich ein Mensch, der uns angeht. Zwischen nervigem Lichtbringer und überkandidelter Wunderfrau! Und wenn man in dem ganzen berauschenden Werk etwas sucht, das über den puren Genussrausch und die Hörwollust zu uns spricht, dann mag es eben das sein, was im dritten Akt aus der Schwulstorgie hervortritt: Bejahung, ja Apotheose von Liebe auch und gerade in ihrer ganzen schnöden Körperlichkeit.

Zur Kritik aus dem Premierenjahr 2018

Zwei weitere Aufführungen am 8. und 11. März

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