Während professionelle Kritiker sich mit der offenbar ziemlich vereisten Strauss-Rarität Daphne an der Staatsoper Unter den Linden auseinandersetzen müssen, kann man sich als ungebundener Empfindungsausdrücker einer anderen Rarität zuwenden: An der Deutschen Oper Berlin wird Erich Wolfgang Korngolds Mysteriumsschocker Das Wunder der Heliane wiederaufgenommen. Der Genuss dieses Werks von 1927 wird zugegebenermaßen durch zwei Handicaps getrübt, aber nicht vergällt. Denn seine üppigen Reize sind dennoch im besten Sinn betäubend.
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Innovationsgipfelnd
RSB und DSO erproben neue Konzertkonzepte und Konzeptkonzerte
„Innovative Formate“ sind für manch emsigen Konzertgänger eher Drohung denn Verheißung. Trotzdem, man will nicht borniert sein, also imma rin inne jute Innovationsstube. Denn jene beiden vortrefflichen Berliner Orchester, die ohnehin häufig die originelleren, mutigeren Programme bauen als die berühmten Philharmoniker-Kollegen, präsentieren zum „World Earth Day“ Unbekanntes wie auch Wohlvertrautes auf ungewohnte Weise: das Rundfunk-Sinfonieorchester erdwühlend mit Vladimir Jurowski im Haus des Rundfunks, und in der Philharmonie das Deutsche Symphonie-Orchester gipfelstürmend mit Andris Poga anstelle des erkrankten Robin Ticciati sowie (nanu?!?) Reinhold Messner.
WeiterlesenJubiläsmiert: 75 Jahre DSO
Okay, zwei Jahre Pandemie (Sie werden davon gehört haben), aber mal anderes Thema: 75 Jahre DSO. Am Anfang hieß es RIAS-, dann Radio-, seit 1993 Deutsches Symphonie-Orchester. Zum Jubiläum gibt es trotz allem, was leider gerade ist, eine Art Festkonzert in der Philharmonie. Mit hohem Westalgie-Faktor, sogar Eberhard Diepchen ist da! (Er trägt FFP2, im Gegensatz zu amtierenden Senatoren, die mit „medizinischer Maske“ dasitzen wie arme Leut.) Im bunten Programm – dennoch bemerkenswert wenig gefällig, viel kaum Bekanntes – sind alle Westalliierten vertreten; sofern man Antonín Leopold Dvořák jetzt einfach mal als US-Ameříkáner durchgehen lässt.
WeiterlesenGratfunzend: DSO, Ticciati, Uchida spielen alles Mögliche
Wann ist ein Programm überprogrammiert? Robin Ticciatis Additionen beim Deutschen Symphonie-Orchester wandeln manchmal auf dem Grat zwischen thrilling und too matsch. Zwei Vorspiele und Liebestode rahmen das Programm in der Philharmonie, wobei die Vorspiele von Richard Strauss‘ Don Juan auf direktere Weise ejakulativ sind als Wagners. Zwangsvorstellung eines riesigen sich aufrichtenden Gemächts beim hochsausenden Thema der Sinfonischen Dichtung. Aber Ticciati erigiert das Tongebäude vorzüglich und prachtvoll.
WeiterlesenFeenbärtig: KHO, Fischer, Schiff kündigen die Wiener an
Konzert mit Verwien-Aroma™: Sind, adventlich metaphert, die Wiener Philharmoniker in der ihnen gewidmeten Hommage im Berliner Konzerthaus das Christkind, so ist das gastgebende Konzerthausorchester das Johannestäuferlein, mit Iván Fischer als Zacharias und András Schiff als Elisabeth (vgl. Lukas Kapitel 1). Lediglich auf dem Papier droht dem Eröffnungsprogramm der Wiener-Hommage bedenkliche Schieflage, weil im ersten Teil einmal Fettiges und einmal Gewichtiges sitzt, im zweiten Teil dann jugendlich Schwungvolles. Aber Dirigent Iván Fischer wuppt alles ins Gleichgewicht.
Dabei ist es rein äußerlich der alttestamentliche Standard-Ablauf Ouvertüre (Strauss), Solokonzert (Brahms), Sinfonie (Schubert). Weiterlesen
Herzkernig: Saisonauftakt Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko
Zum Auftakt Galopp direkt in Kern und Herz. Denn da ist ja schon wieder dieses Kakeln im Walde: Die spätromantischen Schinken, ja, die seien gewiss Kirill Petrenkos Herzenssache, aber wie’s eigentlich um seinen Musikgeschmack stehe und zumal ums ominöse deutsche Kernschinkenrepertoire. Nun also Saisoneröffnung der Berliner Philharmoniker mit Louis van Beethoven, das ist unzweifellosfrei Kernschinkenrepertoire, und mit Richard Strauss, berlinerphilharmonischem Herzschinkenrepertoire. Weiterlesen
Schleierhaft: Anmerkungen zur neuen „Salome“ an der Staatsoper Unter den Linden
1. So wie nach der Schleier des Nichtwissens-Theorie des Philosophen John Rawls die Erbauer einer wirklich gerechten Gesellschaftsordnung nicht wissen dürften, wo ihr Platz in dieser künftigen Ordnung sein wird, so sollten die Verantwortlichen einer Opernhaussanierung einem Schleier des Nichtwissens unterworfen sein, auf welchem Platz sie im fertigsanierten Opernhaus sitzen werden. Es könnte ihnen, wenn sie die falschen Entscheidungen treffen, also passieren, dass sie im siebenundzwanzigsten Rang ganz linksaußen sitzen werden, sichtbehindert auf engen Stühlen zwischen zwei schnaufenden Falstaffs, wo man sich so behaglich fühlt wie Jochanaan in der Zisterne. Weiterlesen
Lädiert: Strauss‘ „Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper Unter den Linden
Schön und recht pfiffig, dass die heimgekehrte Staatsoper Unter den Linden den anfangseuphorischen Andrang nutzt, um als eine der ersten Wiederaufnahmen eine Inszenierung des alten Abo-Schrecks Hans Neuenfels auf die sanierte Bühne zu hieven.
Und passt die aus unvereinbaren Gegensätzen verquickte Ariadne auf Naxos von Richard Strauss nicht ganz besonders in diesen Historienhybrid von Lindenoper, der in seiner seltsamen Disproportionalität das Gegenteil des Gewünschten bewirkt: nämlich statt Kontinuität das Lädierte des Hauses hervorzuheben?
Anfangsvoll: Robin Ticciati beim DSO mit Rebel, Larcher, Strauss
Jede Menge Anfang: Zwei Werke mit den dollsten Beginnen der Musikgeschichte rahmen das Konzert, mit dem Robin Ticciati als neuer Chefdirigent beim Deutschen Symphonie-Orchester antritt. Zu diesem Anlass gibts sogar ein zehntägiges „Mini-Festival“. In der Philharmonie sind Kulturministerin Monika Grütters und der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert dabei, Dunja Hayali, Aribert Reimann und Christian Tetzlaff im Pulli. Tetzlaff in Block A, Reimann in B Reihe 3, der alte Fuchs weiß, wo man am besten hört. Weiterlesen
14.9.2016 – Sorgfältig ekstatisch: Bayerisches Staatsorchester, Kirill Petrenko, Frank Peter Zimmermann spielen Ligeti, Bartók, Strauss
Selbst eingefleischte Richard-Strauss-Muffel wie der Konzertgänger können dieser Sinfonia Domestica nicht widerstehen, die das Konzert des Bayerischen Staatsorchesters beim Musikfest Berlin in der Philharmonie beschließt. Die Kluft zwischen dem privaten Sujet und den musikalischen Mitteln des Werkes (womit nicht die Größe des Orchesters gemeint ist, sondern die pompöse Klangsprache) ist und bleibt zwar bizarr, ja lächerlich. Sinfonische Dichtung Ein Eheleben. Der Konzertgänger kann nie umhin, sich bei den instrumentalen Potenzierungen des dritten Themas ein 60 Meter großes Frankensteinbaby „Bubi“ vorzustellen.
Aber das Bayerische Staatsorchester zeichnet sich unter Kirill Petrenko durch eine so hinreißende Klangkultur aus, dass alles egal wird. Weiterlesen
29.5.2016 – Rar: Christoph Eschenbach und Iskandar Widjaja beim DSO
Raritätensonntag in der Philharmonie: Nachmittags spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester, nach einem Gezi-Park-Klavierkonzert von Fazil Say, Alexander Zemlinskys Seejungfrau (der Konzertgänger war familiär verhindert), abends das Deutsche Symphonieorchester ein Violinkonzert und eine Symphonie, die kein Schwein kennt. Das ist schon mal ein Verdienst von Christoph Eschenbach.
Ein zweites Verdienst ist es, dass er einen vielversprechenden jungen Solisten mitbringt, sogar einen echten Berliner Jungen: Iskandar Widjaja. Einige Fans sind zu sichten und zu hören (in Indonesien scheint er schon eine Berühmtheit zu sein), vereinzelte Jubelrufe bereits, als er das Podium betritt. Trotz Starpotenzial strahlt er eine sympathische Schüchternheit aus. Henryk Wieniawskis Violinkonzert d-Moll (1862/1870) spielt er mit gesteigertem Vibrato und warmem Klang, was bei diesem wohlklingenden Virtuosenvehikel ganz richtig ist. Trotz großer Geste scheinen Widjaja noch mehr die stillen, gefühlvollen Töne zu liegen, wie er im zweiten Satz mit langem Strich beweist. (Sein, durchaus angenehmer und der Konzentration förderlicher, leiser Ton mag auch mit dem Instrument von Geissenhof zu tun haben.) Das Zingara-Finale dagegen feurig, rasant und tänzerisch, die Füße dicht vor dem Moonwalk.
In Robert Schumanns ebenfalls nicht hyperkomplex komponierter, aber sehr rührend zwischen äußerlicher Pracht und äußerster Zerbrechlichkeit changierender Fantasie für Violine und Orchester C-Dur op. 131 (1853, kurz vor Schumanns Zusammenbruch) kommen Widjajas leise Qualitäten noch besser zur Geltung, dank Fritz Kreislers (den Schumannfreund nicht nur erfreuender) Überarbeitung von 1937 auch die virtuosen Fähigkeiten.
Gerahmt werden die beiden Violinstücke von einem hyperaktiven, knalligen, teils ohrenbetäubenden Till Eulenspiegel von Richard Strauss zu Beginn des Konzerts und einer sehr lohnenden Seltenheit am Schluss, die sich ein Teil der indonesischen Fans leider nicht mehr anhört: Paul Hindemiths Symphonie in Es, 1940 im amerikanischen Exil komponiert. Hörbar besser geprobt als Strauss (bei dem die Orchestergruppen für sich durchaus überzeugten, allen voran die Hörner), herrscht bei Hindemith statt schillernder Klangfarben eine spröde, archaische Begeisterung, die nach erstem Befremden einen enormen Sog entfaltet: Härte ist hier eine Tugend – zumal wenn sie so perfekt austariert klingt wie beim DSO. Der große zweite Satz weitet sich nach fast bluesartigem Trompeten-Intro monumental wie ein Brucknersatz. Außerordentlich die flirrenden Mittelinseln des dritten und der sardonisch rumpelnde Witz des vierten Satzes.
Überraschend überzeugendes Plädoyer für ein kaum mehr gespieltes Werk. Man sollte ab sofort jede 7. Aufführung von Schostakowitschs Fünfter durch Hindemiths Es-Symphonie ersetzen.
Nachtrag: Die Geigenlehrerin der Tochter des Konzertgängers weist darauf hin, dass vielleicht kein Schwein, aber jeder gute Geiger das Wieniawski-Konzert kennt.
20.5.2016 – Unvollendete letzte Liebestod-Verklärung: Kent Nagano beim DSO
Vier letzte Lieder in der Philharmonie: Das erste letzte Lied heißt Tristan, das zweite Verklärte Nacht, das dritte Unvollendete, das vierte Vier letzte Lieder. Kent Nagano kombiniert bei seinem Maibesuch beim Deutschen Symphonie-Orchester wohltönend tiefstsinnige Evergreens, in denen es um die letzten Dinge geht.
Dabei wagt Nagano, der seriöseste und sympathischste aller Dirigenten, sich sonst auch todesmutig in höllische Niederungen wie Kinderkonzerte und Einkaufszentren – letzteres vor wenigen Tagen beim Symphonic Mob an einem Ort, dessen Name den Kulturfreund schaudern macht:
Dort stand Verdi auf dem Programm, nicht Wagner, obwohl ein Liebestod im Shopping-Center ja auch was hätte. Und so viel fehler am Platz als in einem Symphoniekonzert wäre er da auch nicht. Kein Geringerer als Richard Wagner selbst mag Vorspiel und ‚Liebestod‘ (vulgo Verklärungsszene) aus ‚Tristan und Isolde‘ schon konzertant gegeben haben, in den Ohren des Konzertgängers hat es trotzdem etwas Unverfrorenes: Man erwartet eben die Stimme des jungen Seemanns, da blasen Klarinette und Hörner bereits zur Transfiguratio praecox.
Trotzdem hat ein konzertanter Tristan-Auszug einige Vorzüge, Musiker wie Zuhörer-Ohren sind beim Liebestod noch frisch, und das Orchester klingt glanzvoller, wenn es nicht aus dem stickigen Graben heraufdumpft. Was beim grandiosen DSO besonders viel wert ist: Es geht das Vorspiel recht breit und mit ungewohntem kleinen Wackler im Holz an, aber sehr klangschön und äußerst deutlich. Dass sich keine rechte Ergriffenheit einstellt, sondern das Publikum in den Schlusston hinein röchelt und klatscht, liegt nicht an der Orchesterleistung, sondern ist der zwangsläufig ernüchternden Natur des Opern-Exzerpts geschuldet.
In angemessene Stille führt hingegen Arnold Schönbergs Verklärte Nacht (in der Fassung für Streichorchester). Nach dem Liebestodquickie wirkt die unendliche Melos- und Eros-Reise umso entgrenzender. Das Streichorchester ist klangvoll wie ein vollbesetztes Symphonieorchester, zugleich transparent wie ein Sextett. Die Stimmführer glänzen allesamt solistisch, aber das Ensemble spielt insgesamt so flirrend aufgefächert, dass man nie den Eindruck von Kammermusik verliert. Mag die Verklärte Nacht auch von Tristan-Anleihen triefen, kommt einem Wagner nach dieser Musik auf einmal höchst unfein vor.
Noch die Kontrabässe, die das mysteriöse Motto von Franz Schuberts h-Moll-Symphonie anstimmen, der Unvollendeten, klingen wie der Verklärten Nacht entstiegen; wenn dieses Motto die Durchführung fast allein trägt, dann aber erst in der Coda wiederkehrt, entsteht eine faszinierende Durchdringung mit Schönbergs Musik. Die Flöten hat man selten so leidensvoll seufzen gehört wie hier, und die leise Klarinette (Stephan Mörth) im zweiten Satz klingt wundervoll. Noch faszinierender ist die Wandlungsfähigkeit des DSO insgesamt, das die Unvollendete vor nicht langer Zeit in perfektem Roger-Norrington-Sound spielte, sie nun aber unter Nagano in mittlerem Tempo und mit teilweise massiven Klangballungen angeht; auf ganz andere Weise ebenso vollendet. (Der Konzertgänger bevorzugt Norrington, aber das ist Geschmackssache.)
Richard Strauss‘ Vier letzte Lieder gab es beim DSO vor einigen Jahren an einem Karsamstag in einer derart missratenen Aufführung, dass es hohen Erinnerungswert hatte (was aber nicht am Orchester lag). Auch sie klingen diesmal, zum Glück, ganz anders: Die Schwedin Miah Persson hat keinen umwerfend schönen, eher leicht metallisch timbrierten Sopran und anfangs auch etwas Mühe mit genauen Einsätzen, aber sie überzeugt doch mit sehr beweglicher Stimmführung sowie Durchsetzungskraft. Und durch höchste Leidenschaft! Als eine Art Finale der Unvollendeten sind die Vier letzten Lieder hier sehr originell angesetzt. Das Orchester schillert und strahlt ohnegleichen; wie die weite Klanglandschaft Im Abendrot leuchtet, ergreift nicht nur den, der David Lynchs Wild at Heart gesehen hat. Konzertgänger’s dream jedoch: dass eine Sängerin wie Miah Persson, statt betrübte Blicke aus der emotionalen Konfektionswarenabteilung in den Raum zu werfen, eine darstellerische Präsenz wie Laura Dern entwickelte. Dann käme man als Hörer nicht mit heiler Haut aus einem solchen Konzert. So verlässt man das Programm von vier Werken, in denen es von den letzten und allerletzten Dingen gesungen hat, irritierend unbeschwert. Schön war es zweifellos.
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