Nein, am betrüblichen Deckenteilsturz im Foyer ist nicht der Sänger schuld, jener Baritenor, der die scheinbar natürlichen Obergrenzen seines Stimmfachs sprengt. Auf dem Weg zu Michael Spyres im Kammermusiksaal passiert der Konzertgänger eine weiträumige Absperrung neben der Treppe, an die noch Putzstücke angelehnt sind. Ein Glücksfall, dass das nicht in Andrangzeiten herunterfiel, in Zeiten des ohnehin grassierenden Abonnentenschwunds. Aber wie gesagt, der Sänger ist unschuldig. Nach dem Konzert wird er noch erzählen, dass er als junger Mann, der aus Missouri kam, auch als construction worker arbeitete. Doch dass er sich auch noch des Berliner Konzertsaalverfalls annähme, wäre zu viel verlangt. Denn an diesem Abend hat der Hochkunstschwerstarbeiter Spyres (am Vortag sang er noch in Antwerpen, am Vorvortag in London!) genug Außerordentliches geleistet.
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Trismegistisch
Collegium 1704, Les Arts Florissants und Jean Rondeau beim Barock-Festival in der Philharmonie
Drei sehr verschiedene Konzerte am zweiten (und letzten) Wochenende des Barock-Festivals, jedes auf seine Weise beeindruckend: trimagisch, ja geradezu trismegistisch. Den Anfang macht am Freitagabend das tschechische Collegium 1704 im Kammermusiksaal. Auf dem Programm steht unter anderem ein Bachkonzert (BWV 1060, c-Moll) mit den Solo-Instrumenten Oboe und Violine, während gleichzeitig die Berliner Philharmoniker im Großen Saal ebenfalls ein Bachkonzert mit Oboe spielen (BWV 1055R). Kuriose Selbstkannibalisierung. Das Barock-Festival ist ja eine Veranstaltung der Stiftung Berliner Philharmoniker, die Reihe „Originalklang“ in gebündelter Form, und das Collegium 1704 geladener Gast der Hausherr/*/frauschaft. Ohne dem Orchester, Dirigent Roth und vor allem Albrecht Mayer nahezutreten, den aufregenderen, quickigeren Bach gibt’s ziemlich gewiss bei den tschechischen Spezialisten.
WeiterlesenMärchenkess: Gala- und Kinderkonzerte an der Staatsoper und beim DSO
Jedes Kinderkonzert ist ein Galakonzert: Da wird im Publikum mitdirigiert, mitgewippt und mitgetanzt im Sitzen und im Stehen (eingeübt instruiert von der blauberockten Tänzerin Lea Hladka und ihrem Partner Christoph Viol in Rot). Und noch höher steigt der Festpegel, weil es das erste rbbKultur-Kinderkonzert seit fast zwei Jahren ist. Da war das zullende Baby, das jetzt wie ein listiges respice finem aus Reihe 17 oder 22 zu hören, als am Ende der Prinz seine schöne Aschenputtelin heimträgt, noch gar nicht geboren. Es ist Sergej Prokofjews Cinderella, die das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) dem jungen, jüngeren und jüngsten Publikum vorstellt, klangschön und engagiert wie eh und je.
WeiterlesenErwartbar unerwartet: John Eliot Gardiner, Vladimir Jurowski & die Ihren
Zu den erwartbaren Höhepunkten beim Musikfest Berlin gehören die Konzerte von John Eliot Gardiner und Vladimir Jurowski mit ihren jeweiligen Ensembles. Was nicht heißt, dass alles, was da in der Philharmonie kommt, erwartbar wäre – im Gegenteil: Erwartbar ist, dass man überrascht wird. Und belehrt und beglückt.
WeiterlesenTrosthoffend: Berliner Neujahrskonzert in der Philharmonie
In Wien ist bekanntlich alles feiner als in Berlin, vom Dialekt bis zu den Radwegen; allein die Neujahrskonzerte sind, seien wir ehrlich, hierzustadt besser. Dank der seit Jahren bewährten Alliance von RIAS Kammerchor und Akademie für Alte Musik!
WeiterlesenLorbeerig: Emmanuelle Haïm bei den Berliner Philharmonikerinnen
Dirigentinnen-Alarm in Berlin! Am Sonntag wird Karina Canellakis das RSB leiten, am Donnerstag steht Mirga Gražinytė-Tyla im Konzerthaus am Pult, am 30. 10. dirigiert Oksana Lyniv die Staatskapelle. Für sie alle gilt dasselbe wie dieser Tage für Emmanuelle Haïm bei den Berliner Philharmonikerinnen (Achtung, Männer sind im ganzen Text mitgemeint): Sie ist nicht da, weil sie eine Frau ist. Vor ein paar Jahren hätte man sogar gesagt, sie sei da, obwohl sie eine Frau ist. Diese Zeiten scheinen zum Glück halbwegs vorbei, der Frauenmangel an den Pulten ist mittlerweile jedem, der kein Grauselzausel, peinlich. (Hier übrigens eine schöne Playlist von Corina Kolbe mit Aufnahmen von Dirigentinnen.)
WeiterlesenKonzertgänger auf Reisen: AGRIPPINA im Prinzregententheater
Nach drei Tagen Bayreuth unbedingt den kalten Entzug vermeiden! Darum macht der Konzertgänger noch einen Zwischenstopp in München, wo im Prinzip ja das ganze Jahr Opernfestspiele sind. Als Berliner schämt man sich hier immer etwas, da der Münchner auf natürlichere Weise vornehm zu sein versteht; in Berlin ist alles Feine vulgär. Nochmal ein anderes, krasseres Kaliber aber sind die vornehmen Römer, zumindest die von einst – mit anderen Worten: Händels frühes Meisterwerk AGRIPPINA im Prinzregententheater.
Was für ein schönes, nobles Haus. Ist doch massiver gebaut als die mythische Bayreuther Festspielscheune. In den Toiletten allerdings riechts hier, kaum zu glauben, strenger noch als an der Deutschen Oper Berlin.
WeiterlesenSüdrosig: Wiener Philharmoniker mit Welser-Möst spielen Brahms
Sympathischer Trigger, das Zitat des Wiener Philharmoniker-Gründers Otto Nicolai ins Programmheft zu drucken, demzufolge im Wiener einfach mehr musikalisches Blut sei als im Berliner, der Süden halt mehr Talent habe. Der Halbsatz davor verleiht dem Satz freilich den Ruch des Obskuren: In Berlin ist wohl mehr Ordnung… So ändern sich die Zeiten. Aber ganz unmusikalisch sind die südlichen Philharmoniker dennoch nicht geworden. Das beweist auch ihr rosiges Johannes Brahms-Programm mit Franz Welser-Möst. Es läutet das Abschlusswochenende der Wiener-Hommage im Konzerthaus am Gendarmenmarkt ein.
Der Wien-Besuch bringt also zwei Auftritte berühmter, aber in Berlin recht seltener Dirigenten mit sich. Weiterlesen
Doppelmessiast: RSB spielt „El Niño“ von John Adams, DSO „Messiah“ von Händel
Ja is denn heut schon Weihnachten – feinabgestimmte Programmplanung, wo gibts denn sowas? In Berlin sonst kaum, hier lief ja schon mal der Don Giovanni in der Staatsoper und gleichzeitig 600 Meter weiter in der Komischen Oper. Nun aber kann man an einem einzigen Wochenende überschneidungslos zwei wildwuchernde Heilands-Oratorien erleben: am Samstagnachmittag und Sonntagabend Händels Messiah in der Philharmonie, dazwischen am Samstagabend John Adams‘ El Niño im Konzerthaus. Ersteres mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und dem RIAS Kammerchor unter Robin Ticciati (mehr dazu unten); letzteres mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester und dem Rundfunkchor unter Vladimir Jurowski. Weiterlesen
Heißkeuschig: Händels „Theodora“ als Potsdamer Winteroper
Stupend, was den Homo sapiens aufzuheizen vermag: etwa glühende Märtyter-Schmonzetten. Erst recht, wenns um heiße Märtyrerinnen geht. Eine besonders glühende bietet die diesjährige Potsdamer Winteroper mit Georg Friedrich Händels Theodora von 1750. In der Friedenskirche am Eingang zum Park Sanssouci wird das Oratorium auf den scheinmarmornen Laufsteg geschickt. Und Bewegung ist sinnvoll, auch wenn die Temperaturen an Bord des Kirchenschiffs nicht so arg sind, wie der Name Winteroper verheißt. Vielleicht liegts auch am Glühwein, den man sich, da keine Pause, vor der Tür einschüttet. Wolldecken muss man jedenfalls nicht mitbringen, höchstens bei der Kleiderwahl bedenken, wo in puncto Fröstelschutz des Menschen Achilleszehe liegt. Weiterlesen
Fegend: Akamus, Emmanuelle Haïm, Sandrine Piau mit Rameau und Händel
Wenn Rameau kommt, pfeift’s im Kamin der Musikgeschichte. Rameauneurs nannte man seine von den Lully-Treuen geschmähten Anhänger: Schornsteinfeger (ramoneur). Hat der grandiose Teodor Currentzis deshalb bei seinem Rameau-Projekt so mit der Licht-Metaphorik genervt? Die Akademie für Alte Musik führt jedenfalls im Konzerthaus einen feineren, aber ebenso wirksamen Besen, die Dirigentin Emmanuelle Haïm ist eine famose Oberkehrerin und die Sopranistin Sandrine Piau ohnehin der heißeste Feger auf jedem Dach. Die Anna Magnani des Barockgesangs, hat Alfred Brendel sie genannt, und ein Fan sagt: bestangezogene Sängerin überhaupt.
1.1.2017 – How strange: Händels „Theodora“ mit RIAS Kammerchor, Akamus, Justin Doyle
Nach dem Jahr 2016 zögert man, leichtfertig zu schreiben: Das Neujahrskonzert des RIAS Kammerchors und der Akademie für Alte Musik habe den Krach der vorangegangenen Nacht aufs Schönste sich verflüchtigen lassen. Denn zum Krach der vergangenen Nacht gehört Istanbul, gehören auch die Echos aus Aleppo, vom Breitscheidplatz, aus Nizza, Brüssel, Orlando…
Traurigerweise passt es also ganz gut, dass in der Philharmonie am 1. Januar 2017 kein feenleichtes Werk wie im vergangenen Jahr auf dem Programm steht, sondern gewichtige, tragische Musik: Georg Friedrich Händels Oratorium Theodora HWV 68 (1750). Es geht um das Leid der antiochischen Christen, die der römische Statthalter in Syrien zur Verehrung Jupiters und des Kaisers Diokletian zwingen will – und man denkt unweigerlich an die heute verfolgten und vertriebenen Christen im Orient, an die gepeinigten Syrer und auch an die arglosen Feiernden im Reina, die Homosexuellen im Pulse, die Glühweintrinker auf dem Breitscheidplatz. Und die vielen Flüchtlinge, deren Hoffnung auf ein besseres Leben bei uns oft auf Hass und Häme stößt.
25.9.2016 – Glückfruchtend: Ton Koopman und Avi Avital mit dem DSO
Die Glückskombi schlechthin heißt Ton Koopman und Avi Avital, wie sich in diesem nachgerade befruchtenden Konzert zeigt.
Johann Nepomuk Hummels Mandolinenkonzert G-Dur (1799) mag ein im Großen wie im Kleinen recht übersichtlich gebautes Werk sein, mit so ebenmäßigen Perioden, dass man im Kopfsatz schon 4/4-Takt-Überdruss verspüren könnte. Zudem sind die Klangfarben der (Nachtrag: unverstärkten) Mandoline ja nicht unbegrenzt. Aber Avi Avital spielt sie mit solch mitziehendem Schwung, dass man sie vom ersten bis zum letzten Ton für die Königin der Instrumente hält.
29.2.2016 – Cäcilianisch: Collegium vocale Gent und Akademie für Alte Musik spielen Händel
Wie ein gleißender Lichtstrahl bricht der Chor herein: From harmony, from heavenly harmony, this universal frame began. Das originalklingende Collegium Vocale Gent, das in der Berliner-Philharmoniker-Reihe Umsungen im Kammermusiksaal auftritt, ist ein Chor von bemerkenswert hellem Klang, selbst die tiefen Männerstimmen haben einen fast kindlichen Charakter; jedenfalls ungeheuer durchhörbar.
Georg Friedrich Händels Ode for St. Cecilia’s Day HWV 76, 1739 als Lückenfüller für zu kurze Programme komponiert (und wie im Programmheft zu lesen großzügig bei Georg Muffat kopiert) , ist ein Werk aus dem ein wenig aus der Mode gekommenen Genre der Cäcilienode, zu dem auch Henry Purcell beigetragen hat. In Händels Ode tritt der Chor erst am Schluss wieder auf. Dazwischen tänzeln, wie es sich in einer Ode an die Heilige der Musik gehört, nacheinander die Instrumente des Orchesters einzeln hervor. Das ist pures Glück, wenn es die Solisten der Akademie für Alte Musik sind: Jan Freiheit am Cello, Andrea Theinert an der Traversflöte, ein ebenfalls vorzüglicher Trompeter, den der Konzertgänger nicht namentlich identifizieren kann der Trompeter Franz Landlinger (danke an Akamus für die Auskunft) und schließlich Robert Nassmacher an der Orgel, dem Instrument der Hl. Cäcilia höchstpersönlich. Die Macht der Musik, zeigt uns Händel, ist vielfältig: Sie kann uns zu zartesten Gefühlen animieren wie zu heftigster Kriegswut anstacheln. In schönster barocker Unbefangenheit lässt Händel zu Cäciliens Gesellschaft auch Orpheus, den biblischen Urmusiker Jubal, Mars und Pan auftreten.
Aber das schönste aller Instrumente ist ohnehin… die menschliche Stimme. Die schwedische Sopranistin Klara Ek ist nicht nur ein Koloraturwunder, sondern führt uns durch alle Freuden und Leiden der menschlichen Seele und rührt uns zutiefst, wenn sie am Schluss unbegleitet von der last and dreadful hour singt. Der kurzfristig eingesprungene Tenor Nicholas Mulroy hat eine sehr bewegliche, in den tiefen Passagen recht leise Stimme; er singt, proklamiert und agitiert überaus textverständlich, so dass kein Hörer den Text mitlesen muss.
Aber die Heilige Cäcilia ist mit gutem Grund eine Frau!
Beide Solisten hören, wenn sie pausieren, mit solch sichtbarer Freude der Musik zu, dass es selbst den verstoffeltsten Hörer anstecken muss.
Die Musiker werden sehr umsichtig angeleitet vom Dirigenten Marcus Creed, der ebenfalls kurzfristig eingesprungen ist. Da offenbar momentan die Seuche umgeht (wie der Konzertgänger auch in der eigenen Familie erlebt), muss man einmal den relativ niedrigen Hustenpegel im Publikum loben. Die Akademie für Alte Musik und die Reihe Umsungen haben offenbar ein kultiviertes, geistig piekfeines Publikum; was etwas ganz anderes ist als die soziale Selbstzufriedenheit, die man beim Publikum der Berliner Philharmoniker mitunter erlebt.
Vor diesem grandiosen Lobpreis der heiligen Tonkunst gibt es die Begräbnismusik für Königin Caroline „The Ways of Zion do mourn“ HWV 264 (1737). Obwohl ebenfalls vorzüglich musiziert, ist es doch ein ziemlich gravitätisches, ja behäbiges Stück. Der flächige Klang mag bei der Beerdigung mit über 100 Beteiligten in Westminster Abbey beeindruckend wuchtig gewirkt haben, in dieser schlanken Form im Kammermusiksaal klingt es doch etwas dünn. Dem Instrumentalpart merkt man das Skizzenhafte an. Dafür hat der Chor aus Gent hier mehr, wenn auch weniger Interessantes, zu singen.
Alles, was man musikalisch in dieser Komposition vermisst, bietet die Cäcilia-Ode dann im Überfluss. Der Chor hat dort wenige, dafür um so hellere Momente. Das grandiose Collegium vocale Gent ist herzlich willkommen wiederzukommen, gern mit einem Programm, in dem es sich selbst stärker in den Mittelpunkt stellt.
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Reich: Sommermusik von Veracini bis Cranberries in Südtirol
Auch in Südtirol wird der Konzertgänger nicht ausschließlich zum Berggänger. Obwohl hier, wie sein eingeborener Schwiegervater bescheiden zu sagen pflegt, nicht gerade die Achse aus dem Globus kommt, muss der hochkulturbeflissene Urlauber nicht darben. Im Gegenteil: Kurz vor seiner Heimkehr nach Berlin, wo das Musikfest auf ihn wartet, blickt der Konzertgänger nicht nur auf schwindelerregende Wanderungen, steigungsreiche Radtouren und eiskalte Weihernachmittage zurück, sondern auch auf einen reichen Musiksommer.
Der Brunecker Verein Cordia organisiert nicht nur jedes Jahr einen Sommerkurs mit dem für Berliner Ohren glückverheißenden Namen Akademie für Alte Musik, zu dem sich Musiker aus aller Welt treffen, um sich in historischer Aufführungspraxis fortzubilden und abschließend ein gemeinsames Konzert zu geben: in diesem Jahr ein famoses Beethoven-Programm unter der Leitung von Jos van Immerseel (2.8. in Toblach).
Am 4.8. trat das Ensemble Cordia selbst auf, in der urigen Rainkirche am Schlosshang von Bruneck mit einem ausgefallenen Barockprogramm: zwei spritzige Ouvertüren von Francesco Maria Veracini und zwei aufregende, völlig unhändelhafte Symphonien von William Boyce – so lebendig und kraftvoll musiziert, dass es den eigentlichen Höhepunkt des Programms fast in den Schatten stellte, Händels Silete Venti. Der rauschende Auftritt der Sopranistin Roberta Invernizzi, die dem wütenden Wehen des Orchesters energisch Einhalt gebot, verfehlte trotzdem nicht ihre Wirkung, zumal auf die schwer beeindruckte Tochter des Konzertgängers.
Fast noch mehr nach ihrem Geschmack war die Matinée der Schwestern Reinhilde und Tamara Gamper, die als Wonderful Strings (Zither und Violine) am 16.8. in der Alten Turnhalle Bruneck ein buntes Programm von Renaissance-Musik über Südtiroler und irische Folklore bis zu Cranberries und Police spielten: Die Gamper-Schwestern sind hervorragende Instrumentalistinnen, die auch sehr gut singen können und, wie nicht verschwiegen werden darf, fantastisch aussehen. Unterhaltung im besten Sinne, an die der Konzertgänger wehmütig zurückdachte, als wenig später in seinem Dorf verschwitztes Herrengebumper der Freddy-Pfister-Band die Bergruhe entweihte.
Das Theresia Youth Baroque Orchestra, das junge Musiker aus aller Welt im Zeichen des Pirols in Rovereto versammelt und mehrmals im Jahr durch Italien tourt, machte am 21.8. im Grand Hotel Toblach halt, einem Lieblingsort des Konzertgängers in Südtirol. Das Programm unter Leitung von Chiara Banchini beschwor nicht den Geist Gustav Mahlers, sondern den alles andere als wehmütigen Spirit von Carl Philipp Emanuel Bach und Luigi Boccherini. Ausgepowert von der langen Anfahrt mit dem Fahrrad, war im Konzert an Schlaf nicht zu denken! Zumal historische Aufführungen wie für Kinder gemacht sind: Die Instrumente klingen interessanter, die Klaviere haben geheimnisvolle Kniehebel, und kein Konzert vergeht, ohne dass einem Geiger mit lautem Knall die Saite reißt.
In CPE Bachs Concerto per clavicembalo e fortepiano Es-Dur (1788) kommt sogar Fin de siècle-Stimmung auf, wenn auch nicht im mahlerschen Sinn: Das Aufeinandertreffen von Cembalo (Olga Pashchenko) und Hammerklavier (Assen Boyadjiev) ist ja die Begegnung eines untergehenden Instruments mit seinem Nachfolger, der seinen Siegeszug erst antritt – eine sehr heitere Schwermut. Boccherinis 27. Sinfonie D-Dur (1789) ist dagegen ein beglückendes, ausgewogenes Werk, das sich vor Haydn nicht zu verstecken braucht. Besonders zu Herzen gehend das Andante; im Menuett brilliert die junge erste Geigerin. Keine Ahnung, warum man in Deutschland noch immer recht ignorant gegenüber Boccherini ist; dass das nicht immer so war, beweist die Tatsache, dass Friedrich Wilhelm II. diese Sinfonie in Auftrag gab.
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