Collegium 1704, Les Arts Florissants und Jean Rondeau beim Barock-Festival in der Philharmonie
Drei sehr verschiedene Konzerte am zweiten (und letzten) Wochenende des Barock-Festivals, jedes auf seine Weise beeindruckend: trimagisch, ja geradezu trismegistisch. Den Anfang macht am Freitagabend das tschechische Collegium 1704 im Kammermusiksaal. Auf dem Programm steht unter anderem ein Bachkonzert (BWV 1060, c-Moll) mit den Solo-Instrumenten Oboe und Violine, während gleichzeitig die Berliner Philharmoniker im Großen Saal ebenfalls ein Bachkonzert mit Oboe spielen (BWV 1055R). Kuriose Selbstkannibalisierung. Das Barock-Festival ist ja eine Veranstaltung der Stiftung Berliner Philharmoniker, die Reihe „Originalklang“ in gebündelter Form, und das Collegium 1704 geladener Gast der Hausherr/*/frauschaft. Ohne dem Orchester, Dirigent Roth und vor allem Albrecht Mayer nahezutreten, den aufregenderen, quickigeren Bach gibt’s ziemlich gewiss bei den tschechischen Spezialisten.
Schon bei Heinichen schießt der Glückspegel im Kammermusiksaal durch die Decke. Heinichen? Who the f*** is Heinichen? Na, Johann David Heinichen(1683-1729), Dresdner Hofkomponist und einflussreicher Generalbass-Theoretiker. In seinem feurigen Concerto G-Dur (Seibel 214) spielen sich erste Geige und Oboe die Bälle zu, dass es die reine Freude ist.
Zumal das Collegium 1704genauso spielt: feurig und freudig, überall lächelt und lacht es im Orchester. Das Prager Originalklang-Ensemble, auf Einladung der Stiftung Berliner Philharmoniker zu hören, strahlt kompetente Begeisterung und begeisterte Kompetenz aus. Note to self des Konzertgängers: Wie schön ist der (aus naheliegenden Gründen) seltene Anblick einer Geigerin mit lackierten Fingernägeln.
Der Dirigierstil von Václav Luks, zugleich Gründer des Ensembles, ist gewöhnungsbedürftig: zackig, schnaufend, tanzend, mit Neigung zum Stampfen, dessen Wucht der Hörer sich auch durch Augenschließen nicht entziehen kann. Später sieht man ihn sogar bei Solo-Arien mitsingen. Er prägt den Klang des Ensembles hörbar, die Einsätze heftig akzentuiert, manchmal knallend, die Schlüsse fast abgerissen. Der Hochdruckklang mit seiner unbedingten Betonung des Dynamischen erinnert an Teodor Currentzis und dessen MusicAeterna, auch wenn Luks das dämonische Charisma des Permer Griechen abgeht; was kein Nachteil sein muss. Vielleicht fehlen gelegentlich Schattierungen und Nuancen, aber mitreißender geht’s nicht.
Auch in Johann Sebastian Bachs Messe g-Moll BWV 235 brennen die Darmsaiten. Diese zusammenparodierte Musik klingt so unbesinnlich, dass es jeden Vergeistigungsmuffel entzücken muss: stürmisch das Gloria (irritierenderweise in g-Moll), furios die Schlussfuge im Cum Sancto Spiritu. Die Solisten, hervorragend aus dem sehr ausgewogenen Chor Collegium vocale 1704 besetzt, singen in so inbrünstiger, lodernder physischer Verzückung von Jesus Christus, dass man sich fragt, ob diese Messe jugendfrei ist.
Unbestrittener Höhepunkt des Abends ist dann die grandiose einstündige Missa Omnium Sanctorum a-Moll ZWV 21 (1741) von Jan Dismas Zelenka, dessen merkwürdigem, fantastischem Schaffen sich das Collegium in besonderer Weise widmet. In der ersten Reihe des A-Blocks sitzt ein sympathisches männliches Paar in Zelenka-T-Shirts, sponsors of the Collegium, wie sich im Gespräch nach dem Konzert herausstellt. Das ist mal gut angelegtes Geld und verdient wohlwollende Blicke von höchster Stelle:
Zelenkas letzte Allerheiligen-Messe, vier Jahre vor seinem Tod komponiert, ist mit ihren permanenten Tremoli und Wirbeln von derart erschütternder Intensität, dass sie einen lange verfolgt. Zu Beginn des Kyrie schießen die Streicher in die Tiefe, wie hier in einer Utrechter Aufführung eindrucksvoll zu hören:
Das zweite Kyrie Eleison beginnt mit weiten Intervallen der Sopran-Abteilung, die sich Halbton für Halbton zusammenschieben. Das himmelschreiende Credo ist halb (Chor-)Fuge, halb italianisierendes Concerto, in dem vom bordunischen Theorbe-Brummen bis zum ätherischen Cello-Diskant alle Facetten und Timbres des Glaubens beleuchtet werden. Einen dissonanten Ohrwurm wie das Crucifixus hat man kaum je gehört. Wie aus unendlicher Ferne sich nähernd klingt das kurze Benedictus, in dem weibliche Stimmen mit langen Tönen über bewegten Streichern schweben. Das Agnus Dei, vom Bass inbrünstig gesungen, ist mit seinem bizarren Schreittanz im 3/4-Takt der größtdenkbare Kontrast zum Agnus Dei des Countertenors in Bachs h-Moll-Messe, sieben Jahre und 100 km Luftlinie entfernt entstanden.
Hopfen und Malz verloren bei dem, der sich da nicht bekehrt; wenn nicht zum HErrn, so doch zu Jan Dismas Zelenka und dessen irdischem Stellvertreter anno 2016, dem Collegium 1704.
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