Musikfest 2019: BBC Symphony Orchestra von A bis Z

„BBC“ stands for Beloved British Colourfulness

So eine Freude, in Zeiten des Brexit-Chaos (nichts daran ist lustig – eine Tragödie!) diese großartigen Musiker von der durch und durch europäischen Insel Großbritannien zu erleben. Das BBC Symphony Orchestra spielt unter seinem finnischen Chefdirigenten Sakari Oramo ein herrliches Programm von A wie Abba bis Z wie Zappa, genauer gesagt von Andriessen bis Zibelius: mit niederländischen, russischen, österreichischen und finnischen Komponist(inn)en. Die BBC-Musiker tragen Namen von Alzapiedi bis Zarb, und ein norwegischer Trompeter namens HH ist auch dabei.

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Musikfest 2019: Concertgebouw mit Tugan Sokhiev spielt Andriessen und Tschaikowsky

Schön, dass es sie überhaupt gibt. Aber dass die neuen Fahrradständer vor dem Haupteingang längst nicht ausreichen, zeigt sich besonders deutlich, wenn Besuch aus der Weltfahrradhauptstadt kommt. Dabei ist die Philharmonie schändlich unausverkauft, so als spielte hier die ADFC-Kapelle Wanne-Eickel und nicht eins der besten Orchester der Welt: das Amsterdamer Koninklijk Concertgebouworkest (was viel hübscher ist als „Royal Concertgebouw Orchestra“). Letztes Jahr mit Manfred Honeck war der Auftritt eher solide, vor zwei Jahren mit Gatti doch arg enttäuschend. Heuer aber dirigiert der geschätzte Tugan Sokhiev. Vor Tschaikowsky gibts den Niederländer Louis Andriessen, der dieses Jahr 80 wird, was die Berliner Musikwelt noch weniger jubiläumiert als den 150. Todestag von Hector Berlioz; außer eben beim Musikfest. Ist Andriessen ein guter Komponist?

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Vogelkundig: Aimard und Gardiner eröffnen das Musikfest mit Messiaen und Berlioz

Quelle: Bundesarchiv

Wo beginnen? Alle scheinen an diesem Wochenende auf einen Drücker loszulegen: Mahlers 8. im Konzerthaus, Eugen Onegin an der Komischen Oper… Das vielleicht Relevanteste gabs an der Peripherie des Klassikbetriebs, wo das Herz manchmal am heftigsten schlägt: im Heimathafen Neukölln unter Beteiligung von Hellersdorfer und Lichtenberger Musikschulen ein Musiktheaterstück über das Frauenorchester Auschwitz. (Dieses Mädchenorchester gibts nochmals am 19. und 20. September.)

Das Musikfest Berlin in der Philharmonie indes, der traditionelle Startbumps in den Berliner Klassikherbst, eröffnet gleich doppelt mit bunten Vögeln.

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Dunklicht: Ensemble KNM spielt „in vain“ von Georg Friedrich Haas

Segen oder Fluch für Georg Friedrich Haas‘ in vain, dass es regelmäßig zum Klassiker der neuesten Musik hochgejatzt wird? Im Epilog seines Buchs The Rest Is Noise über die Musik des 20. Jahrhunderts schreibt Alex Ross, das im Jahr 2000 entstandene in vain könnte der österreichisch-deutschen Musik einen neuen Weg weisen, und der vehemente Fürsprecher Simon Rattle nennt das Stück gar ein musikgeschichtliches new beginning. Gute Sache jedenfalls, dass dieser Ruf bei der zweimaligen Aufführung im Radialsystem für volles Haus sorgt. Es spielt das Ensemble KNM, dessen Existenz durch die Berliner Politik und Verwaltung derzeit offenbar massiv gefährdet ist – mehr dazu weiter unten.

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String riot: Klimakonzert der Staatskapelle mit Patricia Kopatchinskaja

Streichquartett der Apokalypse

Dies irae for future am Freitagabend: Dass das Orchester des Wandels sich an die aktuellen Schülerproteste angehängt hätte, kann man allerdings beim schlimmsten Willen nicht behaupten – seit 2009 gibt es diese Initiative der Berliner Staatskapelle schon. Vorbildlich konkret ist die Arbeit ihrer Stiftung NaturTon, etwa wenn sie mit dem Verein Eben!Holz das nachhaltige Wirtschaften im Instrumentenbau fördert. Die Einnahmen des 8. Klimakonzerts nun kommen der Renaturierung eines Auenwaldes in Moldawien zugute – von dort stammt Patricia Kopatchinskaja, geigende Stargästin des Konzerts im e-werk, das auch rein musikalisch ansprechend bis produktiv quälend gerät.

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Humanorganisch: Gérard Griseys „Les espaces acoustiques“ mit Vladimir Jurowski

Heimlicher Höhepunkt der Saison, und für die Anwesenden im Konzerthaus Berlin gar nicht so heimlich: Vladimir Jurowski führt mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) und dem ensemble unitedberlin das Spektral-Spektakel Les espaces acoustiques von Gérard Grisey auf. Wenn man nun pingibel darlegte, was es mit dieser „Spektralmusik“ auf sich hat, deren Opossum Magnum das Werk des 1998 gestorbenen Grisey darstellt – ja, da könnte einem die Lust aufs Hören gleich wieder vergehen. Im Blog von musica viva lässt sich das alles akkurat und durchaus unverquast nachlesen, aber es fehlt doch ein entscheidender Hinweis: nämlich dass das eine berauschende Klangerfahrung von überwältigender Schönheit ist.

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Undeutlich: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Moritz Eggert an der Komischen Oper

Hoppla, ausgerechnet Berlin versaut dieser Tage die Statistik. Die besagt nämlich, dass die an deutschsprachigen Opernhäusern gespielten Werke durchschnittlich 139 Jahre alt sind. Das hat der Komponist Moritz Eggert einmal im Badblog der neuen musikzeitung vorgerechnet. Kurz nach der Uraufführung der vielleicht etwas gestrigen, aber halt ausnehmend schönen Oceane von Detlev Glanert an der Deutschen Oper (noch bis Ende Mai zu erleben) legt die Komische Oper nun mit Eggerts M – Eine Stadt sucht einen Mörder gleich noch was Neues vor. Nach einem der packendsten Werke der deutschen Filmgeschichte, dazu ein cooler Komponist, Libretto und Regie von Barrie Kosky: Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Oder?

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Liebesverwunderlich: Detlev Glanerts OCEANE an der Deutschen Oper

Juhu, endlich mal wieder eine Berliner Opern-Uraufführung mit Pause sowie unverquaster Sprache! Letzteres dank Theodor Fontane, der eine zwölfseitige Skizze über eine Wasserfee hinterließ, die unter die Menschen gerät, und dank Hans-Ulrich Treichel, der daraus ein Libretto gezimmert hat, das er Sommerstück nennt. Und die Musik des Komponisten Detlev Glanert in der am Sonntag an der Deutschen Oper uraufgeführten OCEANE kann man auch prima anhören.

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Krakesk: Beckett/Feldmans „Words And Music“ an der Staatsoper

Morton Feldman und Samuel Beckett 1976 (zeitgenössische Darstellung)

Eine der seltsamsten Künstlerbegegnungen des 20. Jahrhunderts fand 1976 in West-Berlin statt, und zwar zwischen Samuel Beckett und Morton Feldman. Der halbblinde Feldman kam zu einer Beleuchtungsprobe (!) ins dunkle Schillertheater, schüttelte Beckett die Hand, genauer gesagt: versehentlich nur den Daumen und stolperte über einen Vorhang. Danach gingen sie essen, der dicke Feldman haute rein, der dürre Beckett trank nur ein Bier. Und dabei scheinen sie die ganze Zeit komplett aneinander vorbeigeredet und sich trotzdem, oder gerade deshalb, bestens verstanden zu haben. Das erfährt man aus Sebastian Clarens Feldman-Buch, aus dem ein Auszug im Programmheft zu der Produktion Words And Music der Staatsoper Unter den Linden abgedruckt ist.

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Von Abgründen und Begegnungen: Teheran-Berlin-Travellers

Am kommenden Wochenende findet in Berlin das Festival TEHERAN-BERLIN-TRAVELLERS statt: Der Iran und die Musik heute – ein neuer Frühling? In aktuellen Werken iranischer Komponisten treffen die Teheraner Improvisations-Avantgardisten der Yarava Music Group auf das ensemble unitedberlin. Aufregend und lehrreich dürfte das werden. Ich habe zu dem Festival (hier das Programm) einen Einführungstext geschrieben, den ich vorab hier veröffentliche:

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Ligetiös: Karina Canellakis und Pekka Kuusisto beim DSO

Sein Violinkonzert hat György Ligeti für Pekka Kuusisto geschrieben! Auch wenn er bei der Komposition kaum gewusst haben dürfte, dass es den Kuusisto gibt, der war da gerade sechzehn. 1992 war das, Montserrat Caballé und der tote Freddy Mercury besangen die Olympiastadt Barcelona – Jahr der bizarren musikalischen Ereignisse also. Ligetis Konzert aber ist, wie sich bei der Aufführung in der Philharmonie mit der Dirigentin Karina Canellakis und dem Deutschen Symphonie-Orchester wieder zeigt, ein Werk von divinatorischer Schönheit und überirdischem Witz.

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Übermorgendlich: „Die Stadt ohne Juden“ mit Musik von Olga Neuwirth

Bei diesem beklemmenden, befremdenden Filmdokument werden die Zeitfragen, welche das Festival MaerzMusik sich derart wortreich-allzu wortreich ins Thinking konzipiert hat, mal fürchterlich sinnfällig: Die Stadt ohne Juden, ein österreichischer Stummfilm von 1924 nach einem 1922 erschienenen Roman von übermorgen von Hugo Bettauer. Jahrzehnte verschollen gewesen, erst Anfang der 1990er Jahre in einem niederländischen Archiv und dann 2015 auf einem Pariser Flohmarkt wiedergefunden, mit Hilfe von 700 Privatpersonen per Crowdfunding vom Filmarchiv Austria restauriert, während in Europa die Flüchtlingskrise gärte und Politiker in Österreich und den USA Wahlen gegen Flüchtlinge gewannen. Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth hat eine ambitionierte, sinnliche, kluge und dennoch teils problematische Musik dazu geschrieben, die jetzt auch in Berlin aufgeführt wurde, im Haus der Berliner Festspiele.

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Flatterig: Fure, Janulytė und Neuwirth bei MaerzMusik

Zu den prägenden Jugenderfahrungen der Frau des Konzertgängers zählt das tagelange mysteriöse Flattergeräusch über dem Badezimmer der Studentinnen-WG. Schließlich untersuchte ein männlicher Übernachtungsgast einmal den Lüftungsschacht und fand Blut und Federn einer verendeten Taube. – Ungefähr so klingt der Beginn von Ashley Fures Bound to the Bow, das ein Programm der aktuellen MaerzMusik mit drei Komponistinnen und dem Konzerthausorchester unter Peter Rundel eröffnet.

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Zeitblubbernd: Eröffnung MaerzMusik mit Rzewski und Rădulescu

Nach der antiken Klepsydra ist eins der beiden Werke im Eröffnungskonzert der MaerzMusik benannt: einer der Sanduhr ähnlichen, nur eben feuchteren Wasseruhr. Das Plätschern und Blubbern von ablaufendem Wasser meint der Konzertgänger zu vernehmen, wenn er so durchs diesjährige Seminarprogramm des Festivals für klangbezogene Kunstformen (jede Menge Vorträge, Panels, Reading group etc.) und durch den Reader on Time Issues (Agamben, Diederichsen usf.) blättert. Einiges mag sich als aufschlussreich konkret herausstellen, etwa die „medienarchäologischen Zeitreisen“ der Tele-Visions. Dezente Schwerpunkte widmen sich z.B. den Komponistinnen Ashley Fure, Jennifer Walshe, Olga Neuwirth. Und die 30stündige Konzert-Exuberation The Long Now am nächsten Wochenende ist wieder Anker und Zielpunkt des Festivals.

Die Werke des ersten Abends im Haus der Berliner Festspiele sind wie klares Wasser – in einem dennoch strapazierenden Konzert, in dem der Durchlauf der Wasseruhr gelegentlich verstopft scheint.

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Arki abubu: Jörg Widmanns „Babylon“ an der Staatsoper

Kriegenburg, Widmann, Sloterdijk (v.l.n.r.) besichtigen eine Oper

Die Gedenkminute für den gestorbenen Michael Gielen vor der Premiere ist nicht nur die hustenloseste Minute der ganzen Saison, sondern auch der konzentrierteste Klang des Abends. Dabei wird die Stille ja auch später beschworen im wohl aufregendsten Auftritt überhaupt in Jörg Widmanns exuberantem Spektakulum Babylon, wenn das weite und schöne Gewölbe der himmlischen Stimme von Marina Prudenskaya als Euphrat im wallenden Flutenkleid sich an den Moment nach dem Rückgang der Sintflut erinnert. Da erschrickt der Himmel selbst vor der eigenen Tat, angeohrs dieser Stille, gleich einem Bett, in dem ein Kind gestorben ist. Glasharmonika und Akkordeon machen den Orchesterklang schwerelos. Ein wirklich anrührender Moment innerhalb einer Flutwelle von Sound und Gerede, die alles, was anrührend sein könnte, zu verschlucken droht.

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