Zu den prägenden Jugenderfahrungen der Frau des Konzertgängers zählt das tagelange mysteriöse Flattergeräusch über dem Badezimmer der Studentinnen-WG. Schließlich untersuchte ein männlicher Übernachtungsgast einmal den Lüftungsschacht und fand Blut und Federn einer verendeten Taube. – Ungefähr so klingt der Beginn von Ashley Fures Bound to the Bow, das ein Programm der aktuellen MaerzMusik mit drei Komponistinnen und dem Konzerthausorchester unter Peter Rundel eröffnet.
Schön, dass das Konzerthausorchester bei der MaerzMusik mittut. Die Rundfunkorchester DSO und RSB sind pflichtgemäß immer bei der öffentlich-rechtlichen Avantgarde-Sause Ultraschall dabei. Aber bei welchen Neue-Musik-Festivals treten eigentlich Berliner Philharmoniker und Staatskapelle mal auf?
Das Podium im Konzerthaus ist rappelvoll bei Ashley Fures Bound to the Bow, gerade so, dass die Musiker nicht übereinander gestapelt sind. Aber eigentlich sind sie gestapelt, denn es gibt auch noch Elektronik (Daniel Weingarten), und die kommt von oben, zumindest wenn man im Parkett sitzt. Da meint man die rauschende Toilettenspülung in der Wohnung drüber zu hören, heftig knisternde Glühbirnen und auch einige Poltergeister. Anschwellende Klangströme, auf Dauer nicht eben faszinierend. Das riesige Orchester fungiert eher atmosphärisch, meist aber als bloße Impulsgeber für elektronische Klangdatenverarbeitung. Ein bisschen traurig stimmt einen diese Unterforderung der Musiker, und man fragt sich, ob die Zurverfügungstellung so riesiger Orchesterapparate der Kunst immer förderlich ist. Aber die Amerikanerin Ashley Fure, Jahrgang 1982, scheint schwer angesagt derzeit bei Förderprogrammen. Sie erforscht den kinetischen Ursprung des Klangs und legt damit den Fokus auf den physischen Akt des Musikmachens und die chaotischen Verhaltensweisen roher akustischer Materie, heißt es in der Künstlerinnenbio, und im Werkkommentar ist die Rede von Inspiration durch die Coleridge-Ballade The Ancient Mariner und einem an den Bug eines Boots gefesselten Albatros. Hat man immerhin nicht völlig falsch gelegen mit der flatternden Taube im Lüftungsschacht. Kinetische Energie.
Einlullendes Sounddesign ist dagegen das hier uraufgeführte Orchester-mit-Orgel-Stück Was there a Swan? von Justė Janulytė, die in Litauen offenbar Jahr für Jahr den Preis für das Beste Kammermusikwerk des Jahres gewinnt (Programmheft!). Aber dieses Stück ist eben, was es ist, und zwar sehr gekonnt und schlüssig und für den Konzertgänger darum sehr wohl faszinierend. Nur am Anfang droht ein bisschen Max-Richter-Flair, aber die einzelnen Klangereignisse sind doch erheblich komplexer. Vor allem ist der Orchesterklang vom Orgelton nicht übersoßt und zugrundegerichtet, sondern klug durchwirkt: beginnend mit einem hohen Klang, der Schritt für Schritt absteigt, so dass man immer spürt, wo man sich ungefähr befindet in dieser Klanglandschaft – und sich trotzdem oder gerade deshalb gern hineinlegt und die Zeit vergisst. Dass Janulytė im Werkkommentar das Sternenbild des Schwans hinzu exposiert, nimmt man gern mit, wie auch die weitere Flatterassoziation vom Schmetterling in einem Stück von Onutė Narbutaitė, einer von Janulytės „Leuchtturm-Komponist*innen“. Was there a Swan? klingt wie ein Flügelschlag in extremer Zeitlupe.
Und Olga Neuwirth. Für die könnte man eh mal einen Büstensockel im Konzerthaus freiräumen, um ihre Komponistinnenbüste da zu platzieren. Andererseits, das hat noch Zeit. Freitagabend wird bei der MaerzMusik im Haus der Berliner Festspiele Neuwirths Musik zum Stummfilm Stadt ohne Juden zu hören sein, das könnte aufregend werden. Zu ihrem hier gespielten Stück Masaot / Clocks without Hands von 2013/15 gibt Neuwirth mal eine Kommentarerzählung dazu, die man verdammt gern liest, von Gustav Mahler ist da die Rede und dem geträumten Großvater mit einem alten, krachenden Tonbandgerät in den Donauauen: Es sollte so sein, als würde man Geträumtes hören, als würde man selbst träumen beim Hören.
Ist auch so.
Die Donau fließt alles andere als ruhig hier, sie sprudelt und strudelt und flattert durch Zeiten und Räume. Ein bisschen, als hätte wer eine Mahlerpartitur in tausend Stücke geschnitten und wieder aneinander und auch übereinander geklebt. Und noch manches andere, sogar Goran Bregović kommt mal an Bord. Ein exkleckstizistisches Klingelklangelmuddel der Extraklasse ist das. Und hier ist auch das hochkompetente Konzerthausorchester unter Peter Rundel endlich mal mächtig gefordert! Und macht es bravissimös.
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Wollte und wäre auch gerne hin, war aber letzte Woche so genervt, weil ich dieses Konzert auf der Programmübersichtseite zwischen all den Ausstellungen, Installationen, Diskussionen mit kryptischen Bezeichnungen einfach nicht gefunden habe.
Aber natürlich schön, dass Sie so exklecksloquent berichten!