Himmelhochjauchzen à la berlinaise: nichts zu meckern heute. Wahrscheinlich ist das sogar die beste, rundeste Premiere der Saison an der Deutschen Oper. Besetzung hervorragend, Orchester gut in Schuss, Inszenierung schlüssig. Und das Werk, DER ZWERG von Alexander Zemlinsky, eine arge Angelegenheit im besten Sinn.
Und das, obwohl Tobias Kratzers Regie der Sache über die biografische Schiene kommt. Da könnte man an sich zweierlei fragen: Erstens allgemein, was einen das heute noch anginge, dass Zemlinsky nur einssechsundfuffzig war und eine Frau ihn mal hässlich fand. Zweitens konkret, ob die inszenierten Auftritte von Komponisten in ihren Opern nicht abgenudelt sind. Der arge Hallodri Wagner in Koskys Bayreuther Meistersingern blieb zuletzt in bestürzender Erinnerung – ebenfalls im besten, d.h. schlimmen Sinn.
Kratzer hat nun dem 1922 uraufgeführten Zemlinsky-ZWERG (Handlung) ein Orchesterstück von Arnold Schönberg vorangestellt: die Begleitungsmusik zu einer Lichtspielscene von 1930. Und während man sich die Scene bei Schönberg sonst dazu denken muss, weil es den Film zur Musik nie gegeben hat, sehen wir hier eine haar-, glieder- und seelensträubende Scene zwischen Klavierlehrerin Zemlinsky und seiner Schülerin Alma (geborene Schindler, später verliebt-verlobt-verheiratet-verwitwete Mahler und Werfel, unverheiratete Kokoschka usw). Almas vulvarosige Matronenlibido im maus- bis aschgrauen Klaviersalon treibt den als allzu klein und hässlich verlachten Lehrer in wahnsinniges Begehren und argen Selbsthass. Etwa so wars wohl auch in Zemlinskys frühem Leben anno 1900. Schade, dass man von den widerwärtigen antisemitischen Zerrbildern, die die junge Alma ihren Alex noch hässlicher empfinden ließen, als er vielleicht war, mehr aus dem Programmheft als von der Bühne erfährt. Aber die Pein kommt trotzdem rüber.
Und zwar, weil Kratzers Regie nicht nur schmissig und klug ist, sondern auch musikalisch. Schönbergs Lichtspielscene ist ein zentraler Klavierpart eingeschrieben, der sich auf der Bühne auf die beiden (scenisch prima chargierenden) Pianisten Adelle Eslinger als Alma und Evgeny Nikiforov als Zemlinsky aufteilt. Überzeugend ist Kratzers Idee, Schönbergs Zwölfton-Komposition und Zemlinskys Farbrausch-Spektakel jeweils anti-intuitiv zu bebildern: Schönberg nämlich historisch akkurat, also im Stil des frühen 20. Jahrhunderts. Damit hört man die Schönberg’sche Musik vielleicht irgendwie anders, mit einer Art Wiener Melos. Umgekehrt dazu versuchen wir, den ZWERG nicht zu farbenreich und dekadent auszustatten. Das funktioniert, und so greifen Schönberg und Zemlinsky hier hintereinander weg ideal ineinander.
Donald Runnicles dirigiert die üppige Zemlinsky-Musik nicht mit dem aufnebelnden Farbschaumschläger, sondern sozusagen mit der Schaumkelle, die das handfeste Drama aus dem Brodeln heraushebt. Nur anfangs droht das Orchester die Singstimmen zu verschlingen. Dann aber klingelt diese Musik trotz des unbesoffenen Herangehens, schwelgt und gickert, berührt und hinkt, und sie barmt auch, etwa im traurigen Englischhorn-Thema. Sie erweist sich als ungemein sprechend und dramatisch höchst wirkungsvoll. Am eindrucksvollsten aber ist das Grollen und Knarzen aus dunklen Orchester-Abgründen. Es tritt in der Mitte des Satzes hervor, wenn der Haushofmeister (Philipp Jekal) singt: Das Schönste – ist scheußlich. Und schlägt brutal über der Welt zusammen, wenn am Ende der Zwerg, der sich heldisch und von der Prinzessin geliebt wähnte, seines Spiegelbilds gewahr wird. Das ist die erwartete Katastrophe, die uns Schönberg bereits angekündigt hat und die Zemlinsky ungeheuer geschickt, mit Suspense, zweimal fies hinausgezögert hat.
Die Regie stellt einen „echten Zwerg“ auf die Bühne, nämlich den Darsteller Mick Morris Mehnert, der übrigens in keiner Weise hässlich oder verunstaltet ist, im Gegenteil, aber librettogemäß eben kleinwüchsig. Projektion eines vorgeblichen Mangels. Fratze oder Freak ist hier zum Glück nicht notwendig, um die ja durchaus problematische Konstellation auf die Bühne zu bringen. Mehnert spielt (und wie!), aber gesungen wird die Rolle vom Tenor David Butt Philip – ebenfalls und wie! Das durchschlagende Strahlen dieser Stimme ist traumhaft, aber mehr noch ihr verblendetes Hoffen: eine meisterhafte, tief bewegende Interpretation. Von einer Komik aber auch manchmal, bei der einem das Lachen knarzend im Hals usw, etwa wenn der Zwerg zum heldentenoralen Möchtegern-Siegmund wird: Wo ich hintrete, flieht das Weh! Tja, Frohwalt möcht er wohl sein, aber Pustekuchen. Bevor dann der endgültige Hammerschlag niedersaust, singt er zart und ergreifend Wie schön es Abend wird.
Die Regie beschränkt sich keineswegs auf die plakative Gegenüberstellung von Selbstbild („herrlicher Sänger“) und Fremdbild („scheußlicher Krüppel“), sondern setzt sie konsequent und packend in Bewegung. Butt singt nur anfangs vom Rand, dann aber umkreisen sich der Sänger und der furiose, unermüdlich kämpfende und verzweifelnde Darsteller zusehends, bis sie in einer atemberaubenden Konfrontation aufeinandertreffen und sich gegenseitig – sich also selbst auslöschen. Ein Mensch in zwei Gestalten.
Elena Tsallagova als Infantin Donna Clara, welche den Zwerg zum 18. Geburtstag „geschenkt“ bekommt, ist dagegen mindestens zwei Menschen in einer Gestalt. Ein enormer Sopran in einem schlanken Körper: von falscher Wärme (dieses zirpende Wohin denn flieht mein Freund?…) und vergifteter Lyrik einerseits, zeigt sie doch die Brüche im Herzen der bösartigen Luxusgans, die ja bald begreift und vielleicht auch bereut, was sie da anrichtet – und es doch tut. Den Zwerg der Arglist verdächtigend, richtet sie ihn arglistig zugrunde. Mitleidlos sind die drei Damen vom Gefühlegrill Flurina Stucki, Amber Fasquelle und Maiju Vaahtoluoto (die Zofen der Infantin) und der von Jeremy Bines einstudierte bös glitzernde Frauenchor. Bewegend menschlich und vorbehaltlos mitfühlend ist allein die Dienerin Ghita, die die Sopranistin Emily Magee mit großer Wärme und hilflosem Wohlklang interpretiert.
Die nüchterne, helle Bühne (Rainer Sellmaier) stellt die verletzliche Seele der Hauptfigur schmerzhaft schutzlos aus. Anfangs ist das eine private Konzertbühne des Hofs; die Musiker aber werden mit ihren Bögen nach dem Zwerg stechen, der sie zu dirigieren suchte, und ihre Instrumente zerstören. Ein Künstlerdrama hat Zemlinsky nämlich aus dem privaten Sexkomplex auch noch gemacht. Mit roher Gewalt schmeißt der Zwerg schließlich die Büsten der an der Wand aufgereihten Komponisten zu Boden, auch dieses heftige Bumpern und Knallen ist musikalisch aufs Argsinnigste eingefügt. Doch trotz des Schnussknalls, mit dem am Ende die alleinige Zemlinsky-Büste an die leergefegte Wand gestellt wird, führt das alles weit übers Privatunglück des Komponisten hinaus. Das Schöne ist scheußlich. Die Gesunden aber vernichten, was sie für krank halten; und sind doch selbst die Kränksten. Wenige Jahre nach Zemlinskys Zwerg entstand Tod Brownings noch heute verstörender Film Freaks, in manchem verwandt und doch völlig anders. An Kraft und Komplexität aber gleichen sich der Filmklassiker und Zemlinskys Oper, die es in dieser rundum gelungenen Produktion wieder zu sehen gibt am 27. und 30. März sowie am 7. und 12. April.
Kritik-Links: Herr Schlatz recht zufrieden. Barbara Wiegand für BR Klassik auch. Amling (Tagesspiegel) und Luehrs-Kaiser (Kulturradio) eher skeptisch.
Herr Selge, Sie wissen ja, wie es gemeint war, aber im TSP wurde ja ins gleiche Horn gestoßen. Kritik in allen Ehren, aber was die beiden von gegeben haben, läßt mich an der Kompetenz dieser beiden Herrn, nicht zum ersten Mal zweifeln
Alles in Ordnung. Selbstverständlich dürfen Sie die Verrisse verreißen!
Natürlich bin ich auch mit Ihnen oder mit Schlatz nicht immer einer Meinung, aber das was die beiden sich geleistet haben, hat mit Seriosität nichts mehr zu tun.
Ja ja und nochmal ja……….. es war ein grandioser Abend.
Nur einen gibt es, dem hat es nicht gefallen, und das ist der eitle und selbstgefällige Herr und vermeintlicher Kritiker, von dem verschlafenen Hauptstadtsender. Ein größere Unverschämtheit habe ich von dieser Person noch nicht gelesen. Hätte ich Hausrecht an der DO, der hätte bei mir Hausverbot
Na, lieber Herr Mohrmann, Ihr Furor in Ehren, aber zum Glück werden für verreißende Kritiker keine Hausverbote verhängt… Aber so wie dem Kritiker die Aufführung missfallen darf, darf natürlich dem Leser der Kritiker missfallen.