Der Bayreuther Festspiele vierter Tag, und für den Konzertgänger der letzte; am fünften Tag, will heißen heute, erscheint seine epische Bayreuth-Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Der Vormittag im Richard-Wagner-Museum der Villa Wahnfried ist die rechte Einstimmung vulgo Einklemmung für die folgenden Meistersinger von Nürnberg in der Inszenierung von Barrie Kosky, die letztes Jahr großes Aufsehen erregte. So reizvoll, jede auf ihre ganz Weise, alle bisherigen Aufführungen waren – diese hier legt sich wie ein schwarzer Koloss auf die Seele. Gerade weil sie so fürchterlich leichtfüßig ist.
Sie beginnt schreiend komisch, in der Villa Wahnfried, Richard geht mit den Hunden Molly und Marke Gassi, packt Pakete aus und verscheucht Schwiegervater Franz Liszt vom Klavier, um selber beim Vorspiel mitzuklimpern. Das Timing ist fantastisch, die Pointendichte extrem. Schnell wird die Zuordnung deutlich: der Meister wird spielerisch-träumend zum Hans Sachs, Liszt zu Veit Pogner, der seine Tochter Eva/Cosima zum Preis aussetzt usw. Der anwesende Dirigent Hermann Levi aber, jüdischer Wagnerianer der ersten Stunde, wird verdonnert, den Beckmesser zu mimen. Da bliebe einem – wenn einem diese Phrase nicht im Hals steckenbliebe – das Lachen im Halse stecken.
Dennoch bleibt es komisch, Kosky schreckt vor keinem Kalauer zurück – nicht mal davor, den Lehrjungen David die Lehne streicheln zu lassen, wenn er von seiner geliebten Lene singt. Dass aber dann Wahnfried sich am Ende des ersten Aufzugs in den Bühnenrückraum verzieht und der Schwurgerichtssaal erscheint, in dem die Nürnberger Prozesse stattfanden: Das ist eine weitere von vielen, immer schwärzeren Pointen. Die nächste, rabenschwärzeste ereignet sich, als man gerade das Gefühl hat, der zweite Aufzug fädele sich trotz Gerichtssaal-Setting in konventionellere Bahnen ein, mit dem üblichen Schuhehämmern, verhinderten Ständchen usw. Man amüsiert sich leidlich. Doch da bekommt der bloßgestellte Beckmesser eine schaurige Judenfratzenmaske aufgesetzt, und aus der Höhe sinkt ein entsetzlich riesiger Judenkarikaturballonkopf herab, der bald die ganze Bühne füllt: Entsetzlich ist das anzusehen, völlig unerträglich.
Schließlich, im Verenden der Beckmesser-Musik, sackt der riesige Judenkopf in sich zusammen, wie ausgelöscht. Aber er sackt nicht ganz ein. Die Kippa mit dem Davidstern bleibt stehen. Und wir hören aus der Ferne den Nachtwächter: Lobet Gott den Herrn. Diese ganze Sequenz ist gewiss das, was dem Konzertgänger in vier Tagen Bayreuth am heftigsten an die Nieren ging.
Die Festwiese findet dann im Kriegsverbrechergericht statt. Und Wagner-Sachs singt leidenschaftlich sein Nürnberg an und fragt mit ausgebreiteten Armen: Gott weiß, wie das geschah? Lange Stille. Eh das Spiel sich weiterdreht.
Und zwar auch klanglich flott. Dass Dirigent Philippe Jordan das ganze Werk so unpompös, luft- und lustspielerisch nimmt, ist musikalisch wunderbar und macht alles nur noch schrecklicher. Unbeschwerte Meistersinger gehen nicht, so leicht sie auch klingen mögen, und hier in Bayreuth schon mal gar nicht.
Unter den Sängern ist darum als erster Johannes Martin Kränzle zu nennen. Jeder Beckmesser-Darsteller muss den Spagat vollbringen, einerseits witzig zu sein, andererseits den Gedemütigten nicht preiszugeben. Hier aber ist der Spagat extrem, und Kränzle gelingt er mit Bravour. Die weiteren sängerischen Attraktionen sind drei Männerstimmen: Michael Volle singt den Wagner/Hans Sachs sehr lyrisch, manchmal fast liedhaft, dennoch mit bewundernswerter Ausdauer. Und ein doller Komödiant ist er obendrein, wie er grandios chargierend im Vorspiel zeigt. Günther Groissböck, der zwei Tage zuvor als Gurnemanz begeisterte, gestaltet auch in der Rolle des Liszt/Veit Pogner überragend.
Und dann ist da noch Klaus Florian Vogt, dieses Tenor-Unikat. Jan Brachmann verglich den Klangeindruck seiner Stimme gar einmal mit Heintje, und das war nicht despektierlich gemeint. Vogts klarer, heller Tenor ist wie aus einer anderen Welt: Er leuchtet morgenlich im rosigen Schein. Von paradiesischer Unschuld, aber auch ein bisschen wie ein Humanoid. Eine Wunschprojektion Wagners hier, junges Alter Ego. Das passt perfekt.
Daniel Behle als immer besser werdender David und Wiebke Lehmkuhl als Magdalena stehen kaum nach. Erhebliche Abstriche leider bei Emily Magee als Eva, das wirkt durcheinander, im Quintett viel zu laut. Die kleinen Meistersingerrollen überzeugen, Andreas Hörl und Timo Riihonen bringen tolle, auch sehr komische schwule Noten ins Männergebündel. Der von Eberhard Friedrich geleitete Chor ist wiederum wunderbar.
Diese Buhrufer gegen Barrie Kosky: Sehen die nur seinen Ansatz kritisch, nicht zu Ende gedacht? Oder wollen die einfach das Gift und Grauen von der Rezeptionsgeschichte der Meistersinger weghaben? Aber der Zuspruch für Kosky ist lauter. Man spürt etwas. Man spürt, dass diese Meistersinger für Bayreuth etwas Epochales sind. Und man spürt sie auch Stunden später noch in den Nieren.
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Habe jetzt ihre Bayreuther Berichte in Ruhe durchgelesen. Ich bezeuge meinen großen Respekt allein schon für die physische Anwesenheits-, gedankliche Weiterverarbeitungs- sowie Schreib-Leistung.
Zwei oder drei Bayreuther Zwickl im Biergarten zwischen den heißen Stunden im Festspielhaus und dem nächtlichen Schreiben erleichtern Letzteres (auch wenn sie das Ergebnis vielleicht nicht verbessern).
Toll, so habe ich es letztes Jahr im Tv auch empfunden, obwohl absolut kein Meistersingerfan.
Sollte das auf der bestimmten Seite zur Kenntnis genommen werden, wird von den verknoecherten „Experten“wieder Gift und Galle gespuckt werden:-)
In dieses Forum schau ich nicht mehr rein, seit ich gelesen habe, dass da einer unwidersprochen schreiben kann, der Lohengrin-Regisseur Sharon könne als Jude halt nicht verstehen, was der heilige Gral bedeutet. Zum K…..