Konzertgänger auf Reisen: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG bei den Bayreuther Festspielen

„Das Judenthum in der Musik, wie es dem Richard Wagner willkommen ist. Wenn es nämlich 25 Gulden für einen Sperrsitz bezahlt.“ Karikatur in der Zeitschrift Kikeriki, 1872

In ihrer Fokussierung auf die Person Wagner und dessen Judenhass mag Barrie Koskys eindrucksvolle Inszenierung der MEISTERSINGER VON NÜRNBERG, die am dritten Tag der Bayreuther Festspiele wiederaufgenommen wird, angreifbar sein. Aber sie packt einen und lässt nicht mehr los – und sie gewinnt noch, wenn man sie zum zweiten Mal sieht, anders als der Lohengrin am Vortag. Riesentheater ist das, ein Meilenstein, wie man es auch, aus ganz anderen Gründen, vom neuen Tannhäuser sagen wird, diese Prognose sei mal gewagt (mehr dazu in der heutigen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG – lesbar am Kiosk oder für 45 Cent bei Blendle).

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Konzertgänger auf Reisen: „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth

Meistersinger and Friends, am Flügel Veit Pogner

Der Bayreuther Festspiele vierter Tag, und für den Konzertgänger der letzte; am fünften Tag, will heißen heute, erscheint seine epische Bayreuth-Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Der Vormittag im Richard-Wagner-Museum der Villa Wahnfried ist die rechte Einstimmung vulgo Einklemmung für die folgenden Meistersinger von Nürnberg in der Inszenierung von Barrie Kosky, die letztes Jahr großes Aufsehen erregte. So reizvoll, jede auf ihre ganz Weise, alle bisherigen Aufführungen waren – diese hier legt sich wie ein schwarzer Koloss auf die Seele. Gerade weil sie so fürchterlich leichtfüßig ist. Weiterlesen

Konzertgänger auf Reisen: „Parsifal“ in Bayreuth

Der Bayreuther Festspiele zweiter Tag: Dirigent Semyon Bychkov erstmals auf dem grünen Hügel, mit der Wiederaufnahme des Parsifal. Flüchtige nächtliche Notizen: Das Debüt scheint gelungen, was Wunder bei einem so gestandenen Dirigenten. Logisch, dass das Orchester manchmal zurückhaltender klingt, risikoscheuer als beim gestrigen souveränen Thielemann-Dirigat des neuen Lohengrin. Der Chef kennt die Graben-Abgründe da ja genauer. Hier nun im ersten Aufzug butterweicher, breiter Strich, wunderschön. Klingt in Amfortas‘ Leidensszenen der Orchesterpart nicht fast nach Pathétique? Also, das hat was. Weiterlesen

3.5.2016 – Keusch: Klaus Florian Vogt ist „Lohengrin“

Parsifal am Karfreitag ist dem Konzertgänger ein No-Go, aber auf Lohengrin zu Himmelfahrt lässt er sich ein. Er muss jedoch mit Argusaugen auf seine Frau achten, die am liebsten lauthals bejahen würde, wenn der goldenen Kehle des schwanbeflügelten Klaus Florian Vogt die gestrenge Frage entschwebt: Wenn ich im Kampfe für dich siege, willst du, dass ich dein Gatte sei? 

Sie steht nicht allein mit dieser Versuchung, so manche Frau (und mancher Mann) in der Deutschen Oper verspürt sie – von keuscher Glut entbrannt wie Elsa im zweiten Aufzug. Vogts künstlerische Vielfalt in Ehren, aber er ist auf die Welt gekommen, um Lohengrin zu sein. Kein Wunder, dass die kriegswunden Brabanter wieder und wieder auf diesen Verführer hereinfallen; denn als Verführer präsentiert Kaspar Holtens sehenswerte Inszenierung von 2012 diesen Lohengrin.

Rein musikalisch liegt aber gar nichts Anzügliches darin, denn für Vogts heldische Knabenstimme (zu der Jan Brachmann in der FAZ vor einigen Jahren gar Heintje assoziierte) drängt sich ebenfalls obiger aus der Mode gekommene Begriff auf: keusch. Wenn man noch die jüngste Barockopern-Ausgrabung von René Jacobs im Ohr hat, klingt zwar selbst der kantabelste Wagner wie wüstes Gebelle. Zudem hat Lohengrin ja so manche kompositorische Untiefe, etwa die üble Modulation in der Wiederholung des Frageverbots oder das peinlichste Ich liebe dich der Operngeschichte. Aber das und noch viel mehr, auch gefühlte fünf Stunden C-Dur-Fanfaren, nimmt man gern in Kauf für Vogts himmlische Gralserzählung. Nein, für jedes Wort aus seinem Mund.

Die anderen Sänger sind fast egal, trotzdem seien hervorgehoben der kurzfristig eingesprungene, luzide aus dem Mundwinkel singende Günther Groissböck als Heinrich der Vogler und die umwerfend hysterische, gehässige, schleimige, Angst und Lachen machende Ortrud von Anna Smirnova. Bei Manuela Uhl (Elsa) und Simon Neal (Telramund) wechseln Licht und Schatten. Solides, aber magiefreies Dirigat von Axel Kober. Den zuverlässigen Chor hat man schon zauberhafter, subtiler gehört. Bei der zweiten Aufführung am Sonntag wird alles etwas gefestigter klingen.

Meine umfassende, tiefenanalytische Kritik heute bei Bachtrack.

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