3.5.2016 – Keusch: Klaus Florian Vogt ist „Lohengrin“

Parsifal am Karfreitag ist dem Konzertgänger ein No-Go, aber auf Lohengrin zu Himmelfahrt lässt er sich ein. Er muss jedoch mit Argusaugen auf seine Frau achten, die am liebsten lauthals bejahen würde, wenn der goldenen Kehle des schwanbeflügelten Klaus Florian Vogt die gestrenge Frage entschwebt: Wenn ich im Kampfe für dich siege, willst du, dass ich dein Gatte sei? 

Sie steht nicht allein mit dieser Versuchung, so manche Frau (und mancher Mann) in der Deutschen Oper verspürt sie – von keuscher Glut entbrannt wie Elsa im zweiten Aufzug. Vogts künstlerische Vielfalt in Ehren, aber er ist auf die Welt gekommen, um Lohengrin zu sein. Kein Wunder, dass die kriegswunden Brabanter wieder und wieder auf diesen Verführer hereinfallen; denn als Verführer präsentiert Kaspar Holtens sehenswerte Inszenierung von 2012 diesen Lohengrin.

Rein musikalisch liegt aber gar nichts Anzügliches darin, denn für Vogts heldische Knabenstimme (zu der Jan Brachmann in der FAZ vor einigen Jahren gar Heintje assoziierte) drängt sich ebenfalls obiger aus der Mode gekommene Begriff auf: keusch. Wenn man noch die jüngste Barockopern-Ausgrabung von René Jacobs im Ohr hat, klingt zwar selbst der kantabelste Wagner wie wüstes Gebelle. Zudem hat Lohengrin ja so manche kompositorische Untiefe, etwa die üble Modulation in der Wiederholung des Frageverbots oder das peinlichste Ich liebe dich der Operngeschichte. Aber das und noch viel mehr, auch gefühlte fünf Stunden C-Dur-Fanfaren, nimmt man gern in Kauf für Vogts himmlische Gralserzählung. Nein, für jedes Wort aus seinem Mund.

Die anderen Sänger sind fast egal, trotzdem seien hervorgehoben der kurzfristig eingesprungene, luzide aus dem Mundwinkel singende Günther Groissböck als Heinrich der Vogler und die umwerfend hysterische, gehässige, schleimige, Angst und Lachen machende Ortrud von Anna Smirnova. Bei Manuela Uhl (Elsa) und Simon Neal (Telramund) wechseln Licht und Schatten. Solides, aber magiefreies Dirigat von Axel Kober. Den zuverlässigen Chor hat man schon zauberhafter, subtiler gehört. Bei der zweiten Aufführung am Sonntag wird alles etwas gefestigter klingen.

Meine umfassende, tiefenanalytische Kritik heute bei Bachtrack.

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6.12.2015 – Maximalinvasiv: „Aida“ an der Deutschen Oper

Es ist leicht, gegen diese Aida zu sein. Trotzdem fühlten der Konzertgänger und seine Frau sich genötigt, zumindest zur Pause (nach dem II. Akt) angesichts des Buhschwalls vom Rang zu den Bravo-Rufern zu halten. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte.

Der Regisseur Benedikt von Peter (dessen Name von der beleidigten Eleonore Büning in der FAZ bewusst verschwiegen wurde, um ihn zu bestrafen) nennt sein Konzept großspurig musikalische Raumarchitektur: Das Orchester wird hinten auf der Bühne platziert, vorne singen nur die drei Hauptfiguren dem Publikum direkt ins Gesicht (es gibt sogar eine Rampe bis in  Reihe 8), während der Rest der Solisten vom Rang und aus dem Off tönt. Das eigentliche Ereignis ist der Chor, der im gesamten Raum inmitten des Publikums verteilt ist.

Das bringt Vor- wie Nachteile mit sich. Beginnen wir mit dem

Minus:

Am gravierendsten sind erhebliche musikalische Kollateralschäden. Während man sich im Vorspiel noch freut, das Orchester mal nicht aus dem Loch zu hören, schlägt der Effekt ins Gegenteil um, sobald gesungen wird. Es ist ein höchst seltenes Opernerlebnis, dass die Sänger das Orchester übertönen. Wo Verdi die Begleitung ganz schlank macht, bekanntlich an den schönsten Stellen (begonnen mit Numi, pietà), ist das musikalische Gefüge futsch. Wenn der Chor singt, findet Orchester nicht mehr statt. Nichts gegen den kompetenten Dirigenten Andrea Battistoni, der dem Chefdirigenten des Twin Peaks Symphony Orchestra ähnelt; er hält tapfer den bis in die letzten Winkel des Opernhauses verteilten Laden zusammen, indem er windmühlenartig mit den Armen rudert (wie die bewunderungswürdige Leiterin des Musikschulorchesters, in dem die Tochter des Konzertgängers spielt). Aber Kohäsion klingt anders. Ungetrübten Orchestergenuss gibt es nur in den Ballettszenen.

Die Nebenfiguren singen vom Rang, was okay klingt, aber auch mit Verstärker aus dem Off, was nicht okay klingt (schade um die schöne Stimme von Markus Brück als Amonasro). Die Bühne gehört ausschließlich Aida, Amneris und Radames. Ausgerechnet in der Schlussszene entfleucht auch die herumgeisternde Aida in die Loge: Die Idee, im Schluss nur eine männliche Illusion zu sehen, ist inhaltlich plausibel (die Regie setzt dann noch eins drauf und lässt als einzige Amneris sterben), aber musikalisch ist es ein herber Verlust, dass das Verschmelzen oder zumindest Aneinanderschmiegen der Stimmen ausbleibt.

Die drei Protagonisten singen solide, aber nicht herausragend, sind ja auch durch die Umstände der Inszenierung vor allem als Leistungssportler gefragt. Man vermisst zunehmend das hauchzarte Pianissimo. Alfred Kim ist als Radames aber durchaus packend. Tatiana Serjan als Aida scheint, wenn man ihrer Körpersprache glaubt, die ganze Chose nicht zu passen, beim Schlussapplaus redet sie mit verschränkten Armen aufgeregt auf ihre Nachbarin ein. Anna Smirnova als Amneris würde mit ihrer etwas schrillen Stimme am stärksten von größerer Distanz zum Publikum profitieren. Für Freunde des Belcanto ist hier wenig zu holen.

Aber Aida ist nicht Donizetti, sondern später Verdi; darum gibt es auch ein

Plus:

Dass Aida ein Zwitterwesen aus Massen-Ausstattungs-Oper einerseits und psychologischem Kammerspiel andererseits ist, wird oft als Dilemma dieser schrägen Oper beschrieben. Wenn die Regie nun alle kollektiven Mächte als geschlossenen, kaum mehr individualisierten Apparat in den totalen Raum schiebt und die Bühne den vereinsamten und völlig ohnmächtigen Figuren Radames, Amneris und Aida vorbehält (Zitate B. von Peter), durchschlägt sie diesen gordischen Knoten. Den Triumphmarsch hat man noch nie so verstörend erlebt wie hier, glanzvolle Horrormusik, die Radames als Verlorener ertragen muss, statt Orden Zeitungsschnipsel von syrischen Kriegsgräueln an die Brust geheftet. Fantastisch!

Den Chor so zu erleben wie hier ist grandios, von überall kommen die Stimmen und ergeben doch ein perfektes Ganzes. Man sitzt im Gesang, im guten wie im bösen: magisch und mystisch in den leisen Phta-Anrufungen, ohrenbetäubend bis über die Schmerzgrenze im Kriegsgeschrei und Triumphjubel. Ja, das ist keine Elefantenparade im Zirkus, sondern KRIEG.

So intensiv wie hier war die erste Hälfte der Aida wohl kaum je zu erleben. Aber sie hat eben auch eine zweite Hälfte, da wird das Konzept  problematischer.

Fazit:

Ein interessantes Regiekonzept mit bedenklichen musikalischen Nebenwirkungen, die durch die äußerste Intensität vor allem der ersten Hälfte teilweise wettgemacht werden. Eher kein Geschenk zum 75. Geburtstag der Schwiegermutter, die immer noch von der Arena in Verona schwärmt. Ebensowenig für den Belcanto- und Kohäsionspuristen. Wohl aber für den Theaterfreund, dem alles Laue ein Gräuel ist.

Aus kulturpessimistischer Sicht muss man wohl anmerken, dass Peter zu einer neuen Generation von Opernregisseuren gehört, die sich im Gegensatz zu den musikalisch viel gebildeteren alten Haudegen wie Hans Neuenfels auch an der Musik vergreift.

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