Konzertgänger auf Reisen: „Lohengrin“ in Bayreuth

Als der Konzertgänger eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem Frankfurter-Allgemeine-Bayreuther-Festspiele-Korrespondenten verwandelt. Als solcher hatte er (in Vorbereitung dieser Bayreuther Gesamterlebnis-Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung) das Vergnügen, dem neuen Lohengrin beizuwohnen. Denn ein Vergnügen war es, in fast jeder Hinsicht.

Der, nach Alvis Hermanis‘ Absprung, relativ spät an Bord gekommene Regisseur Yuval Sharon betont Elsas Emanzipationsgeschichte, als die er die Auflehnung gegen das Frageverbot versteht. Der Erfolg zeigt sich darin, dass Elsa in einer völlig blauen Welt am Ende orange wird (Achtung, Komplementärfarbe).  Diese Idee führt im dritten Aufzug zu nicht unerheblichen Bild-Text-Scheren und kollabiert in der doch sehr verblüffenden Wiedererscheinung des Thronerben Gottfried als knallgrüner Kermit der Frosch.

Aber das klingt allzu mäklerisch. Der Ansatz wirkt, so zusammengefasst, brachialer und plakativer als er ist. Denn es dominiert das pure Optische, in Gestalt der Visionen des Künstlerpaars Rosa Loy und Neo Rauch. Der Regisseur scheint hier eher das dritte Rad am Biciclett. Loy/Rauchs Inszenierung ist voller Poesie und Spannung, und alles ist aus der Musik heraus gedacht. Blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung sei laut Nietzsche das Vorspiel mit den soundsovielfach geteilten Streichern (was auf Ligetis Atmosphères vorausweise, wie es manchmal heißt), und überaus blau, von opiatischer, narkotischer Wirkung ist die Bilderwelt der Inszenierung. Die Ansiedlung in einem seltsam autoritären Insektenmilieu verfremdet Wagners Nationalrummelschlagseite vorteilhaft. Der beflügelte Zweikampf in hoher Luft zwischen Lohengrin und Telramund ist hübsch.

Elektrizitäts-Metaphorik spielt eine Rolle, aber zum Glück nicht im Sinne von Oper als Kraftwerk der Gefühle, sondern als Fundus, aus dem die ulkigsten Requisiten zum Einsatz kommen. Eher Umspannwerk der Gefühle?

Theatervollblüter werden bemängeln, dass es an Personenführung mangele. Man stakst so herum, der Einzelne stakst, die Masse stakst. Neo Rauch ist kein Personenführer, überhaupt kein Führer, sondern ein Maler. Das zeigt sich am eindrucksvollsten in der ersten, nächtlichen Hälfte des zweiten Aufzugs, der Szene zwischen Ortrud und Telramund (und später Elsa). Ein großes, wolkiges Gemälde, vor dem sich manchmal unten Bilder verschieben, wie im mehrdimensional zweidimensionalen Barocktheater; doch noch stärker wird das Gemälde verändert durch die minimal bewegten Darsteller, die gleichsam zu changierenden Lichtimpulsen werden. Ein verzaubertes Gemälde. Großartig.

Anja Harteros füllt Sharons gedanklichen Ansatz mit sängerischem Leben: Im ersten Akt noch etwas angestrengt wirkend, zeichnet sie eine Elsa ohne Lieblichkeit, eine starke dramatische Persönlichkeit. Das stellt Wagners Drama vielleicht auf den Kopf, aber es steht. Piotr Beczała, der als Einspringer den Luftikus Roberto Alagna ersetzt, der den Text nicht gelernt hat, ist weder Einspringer noch Ersatz, sondern sowas von erste Wahl. Weich, geschmeidig, legato, quasi südländisch, aber eben kein Armen-Italiener aus dem Osten. Die Gralserzählung macht er zum Zeugnis eines Martyriums.

Der Heerrufer Egils Silins verkörpert seine Rolle perfekt, wie auch der zurecht allseits gepriesene Georg Zeppenfeld als König und der hervorragende Chor. Großes Aufsehen erregte das Comeback von Waltraud Meier als Ortrud, eine intensive sängerische Ehrenrunde vor dem Ruhestand, der eine wohlverdiente Welle der Sympathie entgegenschlug, selbst wenn Meiers Höhen kein reines Vergnügen mehr sind. Problematisch schien Tomasz Konieczny als Friedrich von Telramund, ein Sänger von enormer Wucht, aber doch auch wüstem Klangbild.

Christian Thielemann leuchtete. Schien der sphärische Anfang noch einen Tick zu wohlsortiert, fand die Musik in einen ruhigen, freien Fluss: subtil und theatralisch zugleich, was von tiefer Vertrautheit zeugt, aber keiner Routine.

So kurz die ersten nächtlichen Eindrücke. Beim Verlassen des Festspielhauses bläut der Himmel zur blauen Stunde, als hätte Neo Rauch ihn gepinselt. Jetzt erstmal die seriösen Kritiken und Tiefenanalysen kommen lassen; und am Sonntag nicht vergessen, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit der großen Bayreuth-Reportage zu kaufen!

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8 Gedanken zu „Konzertgänger auf Reisen: „Lohengrin“ in Bayreuth

  1. Und wie war’s? Hitzemäßig, akustisch, atmosphärisch? Ich war tendenziell positiv gestimmt, sogar sehr hübsch, fand aber auch vieles halbgar. Das ist eben das Manko, wenn Leute nicht Wagner-Regisseure sind, sie denken, alles was sie machen ist ein Geistesblitz, dabei hat es Karajan genauso schon vor Jahrzehnten gemacht. Neo Rauchs Bilder, den Maler mag ich sehr, kamen mir aufgesetzt vor. Was Rauchs Ästhetik mit Blitz und Trafo zu tun hat, verstand ich nicht. Aber da ist man auf dem Tablett natürlich benachteiligt. Wenn Sie von „Loy/Rauchs Inszenierung“ sprechen, was ist denn er Anteil von Sharon?

    • Ich kann mir vorstellen, dass die Gemälde auf dem Bildschirm nicht wirken. Permanente Schnitte zerstören ja so schon jede Opern- und Konzertübertragung, hier wohl erst recht.
      Neo Rauch erzählte, dass sie bewusst nur 3 oder 4 Lohengrin-Inszenierungen gesehen haben, den Vorgänger von Neuenfels natürlich, Werner Herzog… klar zwiespältig, aber Unbefangenheit tut auch gut m.E. Sharons Anteil kann ich schwer beurteilen. Rauch beschrieb ihn als sehr zurückhaltend, er sei ganz vom vorgefundenen Bühnenbild ausgegangen. Ich habe ihm diese Emanzipations-Chose zugeschrieben, aber mag falsch liegen.
      „Loy/Rauchs Inszenierung“ v.a. im II. Aufzug, wo ja alle Personenbewegungen aus dem Bildlichen kommen.
      Akustik hinreißend, vor allem dringen die Sänger leichter durch. Heiß, aber dann doch nicht so heiß wie allseits behauptet. Insgesamt fand ichs erstaunlich entspannt.

  2. wieder einmal ein ECHT-SELGEscher Kommentar, und fein-Selgesch differenziert beobachtende szenisch-musikalische Delikatesse!!!! NICHT von THOMAS BERNHARD entliehene(und nirgendwo bekennende) Stilmittel wie die Bruckner-liebe-ergüsse!!!!! freumichschon auf die Frankfurter Ergänzung…..
    gruß,
    krenn

    • Dem stimme ich zu….
      Ich habe die Übertragung größtenteils im Radio gehört und stimme der Kritik auch zu. Verstehe nicht, warum die Meier sich das sich und dem Publikum antut. Habe sie in den letzten Jahren auch als Klytemnästra und Santuzza gehört, war wirklich kein Vergnügen. Die Ortrud 2015 habe ich glücklicherweise krankheitshalber versäumt. Habe nur von demjenigen, der die Karte hatte, ähnliches gehört. Der Telramund war auch ziemlich indiskutabel. Beczala war wirklich Klasse, und Fr. Harteros, die ich sehr schätze, sollte die Partie wirklich nur noch dort singen, und von Wagner die Stimme lassen

      • Gerade die Forumsbeiträge gelesen, danke für den Link. Foren sind spezielle Biotope, da treffen sich spezielle Leute (Herr Mohrmann, Sie sind aber nicht UwePaul????). Na, na, na, Herr Mohrmann, nicht so schnell alle über einen Kamm geschoren. Das Spannende bei Wagner ist, dass er voller Widersprüche ist. Das Nationale zur Zeit der Komposition des Lohengrin war die liberal-demokratische Einheitsbewegung und nicht Bismarck, Wilhelm II oder Nazis und das kann man doch guten Gewissens anhören, wobei längst nicht alles an Bismarck schlecht war. Die wehrhaften Männerchöre gehören nun mal zum Lohengrin. OK, ich komme ins Schwadronieren. Wo ich den Kommentar im Forum gerade lese, ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, was Herr Selge mit „Armen-Italiener“ meint?

      • Oh, in dem Forum gehts ja zur Sache. Tja, mit Wagnerianern ist nicht zu spaßen. Danke für Ihre heroische Verteidigung, Herr Mohrmann. Aber Naziland wollen wir nicht geschrieben haben, bitte. Es gibt sone und solche, Österreich ist ja ein wundervolles Land, mit gewissen Abstrichen halt, aber wir haben in Deutschland nun wahrlich selbst genug Doofvolk.

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