Ein paar nächtliche Notizen zum eben erlebten neuen TANNHÄUSER, mit dem die Bayreuther Festspiele eröffneten – meinen ausführlichen Bericht vom Festival gibts dann am Wochenende in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG.
Tobias Kratzers Regie ist eine Sensation hinsichtlich Geist, Tempo, sehr großer Komik und nachhaltigem Schrecken. Tannhäuser im Clownskostüm on the road im alten Zitrön-Bus mit der hibbeligen, verliebten Venus am Steuer, begleitet vom kleinwüchsigen Oskar mit Blechtrommel (Manni Laudenbach) und der dunkelhäutigen Dragqueen Le Gateau Chocolat: ein rasantes Leben nach dem Jung-Wagner-Motto Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen. Aber schon nach wenigen Minuten gibt es einen Toten und Tristesse bei Burger King. Das klingt überladen, erlebt sich aber gewaltig schlüssig und mitreißend. Denn es geht nicht (nur) um Wagners Lebensspagat zwischen Revolutionärstum und Großmeister-Arrivesse, sondern um den Zwiespalt von Rebellion und Anpassung überhaupt.
Und zum ersten Mal überhaupt interessiert der Konzertgänger sich wirklich für das Schicksal dieses Typen da zwischen zwei Weibern. Und auch für diese beiden lebendigen, leidenschaftlichen, liebenden, verletzten Frauen. Fernab das alles vom verklemmten Sexualmurks à la „Nuttengöttin vs Heilige Langeweile“.
Kratzer bringt überdies das Kunststück fertig, das Festspielhaus selbst einzubeziehen, ohne dass es zu peinlicher Selbstbespiegelung würde. Im Gegenteil, wie die Venus und ihre beiden Helfer mitten im zweiten Akt den Grünen Hügel bzw den „Sängerkrieg“ entern, das ist umwerfend komisch und ungeheuer klug. Der Gedanke, die Venus mal leibhaftig beim Sängerstreit erscheinen zu lassen, wirkt frappierend. Kratzers Wechselspiel mit Filmpassagen im ersten und zweiten Aufzug ist kein Selbstzweck, sondern schlägt einen dramatischen Funken nach dem anderen. Der dritte Akt schließlich ist hochgradig verstörend.
Einige alte Hasen sagen, dies sei ihr bester Tannhäuser ever. Aber ohne die starke Sängerriege wäre das alles ja nichts. Stephen Gould berührt in dieser Rolle den Konzertgänger wie kaum je zuvor – durch sein ergreifendes Spiel, aber mehr noch natürlich durch seinen präzisen und dabei alles durchlebenden Gesang. Das Preislied im ersten Akt, das manchmal unsäglich und vulgär klingen kann, ist hier frei von Geschmetter und wütend aufbegehrendem Bellen, vielmehr flehentlich und voller Verzweiflung. Die Gestaltung der Romerzählung ist allererstes Kaliber; von unübertrefflicher Grausamkeit diese neutrale Kälte, mit der das Papst-Zitat hier beginnt.
Die Frauen sind stark, wobei die Venus der Einspringerin Elena Zhidkova, die wohl leider nur einmal zu hören sein wird, darstellerisch fast noch stärker wirkt als sängerisch. Diese Venus ist übrigens auch mal unglaublich sexy, aber eben viel mehr – eine echte Frau, ein Mensch. Der Sopran von Lise Davidsen als Elisabeth wirkt am Anfang fast zu gewaltig, nämlich zu laut. Aber welche Glut dann auf einmal in dieser Elisabeth ist, welche Wut, welche Verletzungen! Das ist schon sehr aufregend. Alle üblen Klischees, die in dem schematischen Gegensatz der beiden Frauen fast unvermeidlich scheinen, werden hier umschifft, mit großem Gewinn für das Stück.
Herausragend ist schließlich der Wolfram von Markus Eiche – sehr männlich, sehr markant, sehr abgründig. Dass Wolframs Liebe zu Elisabeth in dieser Tannhäuser-Inszenierung endlich mal eine Art Erfüllung findet: Ja, das wird zum letzten Albtraum an diesem oft äußerst komischen Abend.
Zuletzt: Valery Gergievs mit Skepsis erwartetes Dirigat ist einigermaßen stabil, ohne besonders individuell oder charakteristisch zu wirken. Ob es wirklich Gergievs Dirigat ist, weiß man bei diesem Dirigenten ja nicht so genau. Es ist ein Termin unter sehr, sehr vielen. Aber es ist (von wem auch immer) vernünftig geprobt worden, wie schon die ausgewogene Klangmischung von Blech und Streichern im Vorspiel zeigt. Dieser Anfang verspricht allerdings orchesterseits mehr, als dann eingelöst wird. Doch die Sänger kommen (dank wem auch immer) ordentlich zur Geltung. Manchmal wackelt auch was in der Koordination. Besonders viel jedenfalls bleibt orchesterseits nicht in Erinnerung. Ob die zwar nicht massiven, aber auch nicht einzelnen Buhrufe einer gewissen Blässe des Dirigats gelten oder der Person Gergiev, ist schwer zu entscheiden. Nächstes Jahr dirigiert er nicht wieder in Bayreuth.
Riesenjubel für den bombigen Kratzer und die topkarätigen Sänger und nicht zuletzt den hervorragenden Chor.
Sonntag FAS kaufen nicht vergessen, dann gibts noch viel mehr ums ganze Bayreuther Drumherum und Untendrunter und Obendrüber.
Aber ging der Trash nicht etwas zu weit?
Ich finde ja, zumindest im 2. Akt, den 3. habe ich noch aufgezeichnet, werde ich heute mir anschauen.
Finde ansonsten die Insznierung auch großartig, aber im 2. Akt waren die mit dem Gehampel störend.
Bleibe bei meinem musikalischen Eindruck, Eiche nichts besonderes und Milling hatte am Ende des 2. Aktes auch so leichte Schwierigkeiten, aber nicht sehr störend
„Und zum ersten Mal überhaupt interessiert der Konzertgänger sich wirklich für das Schicksal dieses Typen da zwischen zwei Weibern. Und auch für diese beiden lebendigen, leidenschaftlichen, liebenden, verletzten Frauen.“ Ging mir im Prinzip auch so. Was die Wirkung von Akt 2 angeht, hatten Sie vermutlich den besseren Gesamtblick.
Im zweiten Aufzug war es wichtig, dass man selbst entscheiden und nach Gusto wechseln konnte, ob man auf die Bühne oder auf die Projektion darüber blickte. Kann mir vorstellen, dass da durch vorgegebene Schnitte jede Wirkung verloren geht. „In echt“ war es unglaublich.
Kann natürlich sein, das der Eindruck am Fernseher schlechter war, nehme an auf der Bühne kam das besser rüber, hier war es störend mit den Aufnahmen von der Seitenbühne.
Aber verstehen tue ich das Gehampel der beiden im 2. Akt nicht wirklich
Venus schleicht sich in den Sängerkrieg ein, um die Chose zu stören und ihren Ex wiederzugewinnen. Inhaltlich und musikalisch für mich total schlüssig, und live funktioniert das mit echter Bühne + Film darüber perfekt. Dass es im Stream nicht geht, weil da der Blick des Zuschauers durch die Schnitte bevormundet wird, das kann ich mir vorstellen.
Am Anfang möchte eine der besten Sängerinnen erwähnen, nämlich,Katharina Konradi. Ein Hirte mit ausdrucksvoller Stimme und symphatischem Spiel ! Manni Laudenbach und Le Gateau Chocolat sind ausdrucksvolle Darsteller. Das unverdiente „Buh“ für Letztgenannten zeugt von Menschenverachtung und ewiger Gestrigkeit. Eine Schande. Stephen Gould stimmlich verlässlich und souverän wie immer, jedoch mit Gänsehaut- erzeugendem Spiel. Lise Davidsen ein Lichtblick im Wagner-Olymp ! Anhören-Ansehen. Frau Zhidkova toll im Spiel jedoch stimmlich etwas uneinheitlich. Lampenfieber ? Bei Herrn Eiche fehlte mir der balsamisch sonore Ton, aber auch er ist ein überzeugender Darsteller. Alle anderen Protagonisten festspielmäßig erfreulich. Den Chor zu loben hieße Eulen nach Athen tragen,fantastisch ! Valery Gergievs Dirigat ? Abgesehen von der vielversprechenden Ouvertüre ein eher kapellmeisterhaftes, gemütliches Unternehmen. Der Maestro hat wohl nicht viel von der kommödiantischen bis todtraurigen Handlung, sprich Regie, mit bekommen.
Stimmt, die Konradi als Hirte sehr gut! Auch sonst stimme ich Ihnen zu, außer bei Eiche, das Fehlen des „balsamisch Sonoren“ war für mich eher eine Stärke.
Die beiden Darsteller waren toll! In der Tat superpeinlich, gegen die Drag zu buhen. Aber die überwiegende Mehrzahl auch der älteren und alten Festspielbesucher, die ich gesprochen habe, war äußerst angetan und überhaupt nicht ablehnend.
Bei der Ouvertüre dachte ich auch „Wow“. Danach, naja. So katastrophal wie jetzt teilweise besprochen (BR Klassik) fand ichs dann aber auch wieder nicht.
Kurz gesagt, meine Eindrücke vom Live-Streaming von, während ich darauf warte, die Produktion am Sonntag live zu sehen. Schöne Inszenierung, voller Ideen, die den Kontrast zwischen Sünde und Erlösung sehr gut zeigt. Vor allem der Chor, angeführt von dem genial Eberhard Friedrichs, war herrvorragend. Lisa Davidsen ist wirklich gut, einige fixitè in die Hochtönen wurden durch eine Phrasierung von außergewöhnlicher Ausdruckskraft kompensiert. Markus Eiche ist ein Sänger der Extraklasse und Milling singt auch sehr gut. Valery Gergiev etwa unsicher im ersten Akt, viel besser ab dem Ende des zweiten. Gould wie Tannhäuser ist engagiert, bekommt aber nicht viel. Die Venus ist nicht sehr interessant.
Gould fand ich so gut wie nie. Gergiev gefiel mir am Anfang besser als im weiteren Verlauf.
Die Inszenierung kann ich ja erst morgen beurteilen. Musikalisch lt. meinem Radioeindruck etwas anders, das Dirigat war größtenteils langweilig, uninspiriert, manchmal zu laut manchmal zu leise. Das macht jeder Kapellmeister besser, die Sänger sehr sehr gut, allerdings war Eiche für mich, neben Keenlyside, der schlechteste Wolfram der letzten Zeit. Da ist ja Brück noch um Längen besser
Eiche scheint die Gemüter zu spalten. Ich fand ihn stark. Bei Gergiev liegen wir, glaube ich, gar nicht so weit auseinander.