Schlangenbeschwörend: Kirill Petrenko, Yuja Wang, Berliner Philharmoniker mit Dukas, Prokofjew, Franz Schmidt

Obwohl Kirill Petrenko ja mal einige Jahre Generalmusikboss der Komischen Oper war, haben die Auftritte des zukünftigen Chefs der Berliner Philharmoniker in Berlin derzeit etwas Unalltägliches, ja Rar-Auratisches. Und so ist auch dieses merkwürdige bis verschrobene Programm unalltäglich, rar, auratisch. Weiterlesen

Selbstverständlich brillant: Berliner Philharmoniker, Rattle, Barenboim spielen Dvořák, Bartók, Janáček

Fortsetzung von Simon Rattles Abschiedstournee im eigenen Haus, zugleich durch Zeit und Raum: diesmal Schlenker nach Ostmitteleuropa (Prag, Budapest, Brünn), 1886 bis 1926. Dritte Aufführung, Samstag 19 Uhr. Der Konzertgänger aber vergisst Zeit und Raum, wenn es Janáčeks Sinfonietta gibt – ganz egal, was davor und danach und rundherum ist.

Im Konzert der Berliner Philharmoniker gibts ein Davor: nämlich Bartók mit keinem geringeren Gast als Daniel Barenboim und noch davor Antonín Dvořáks Slawische Tänze opus 72, das ist die zweite Sammlung der Erfolgsstücke. Weiterlesen

Schwarzrosakindlich: RSB, Saraste, Vinnitskaya spielen Rachmaninow und Sibelius

Könnte man glatt ein bissl enttäuscht sein, dass die Pianistin Anna Vinnitskaya nur ein einziges Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow spielt und nicht alle, wie sie es vor knapp zwei Jahren mit Bartók machte. Allerdings hat Rachmaninow nicht drei geschrieben, sondern vier, und das 3. Klavierkonzert d-Moll op. 30 (1909) dürfte allein schon mehr Noten enthalten als alle von Bartók. Na, vielleicht nicht ganz, aber angeblich 55.000 für den Pianisten, wie man im Zusammenhang dieses Konzerts des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin in der Philharmonie erfährt: Rekord sei das unter den Klavierkonzerten. Wissen, das niemand braucht, trotzdem hübsch.

Im Publikum Wolfgang Thierse, der nach seinem Abschied aus der Politik zwanzig Jahre jünger aussieht. Anna Vinnitskayas Kleid ist zu 2/3 rosa und zu 1/3 schwarz, wie Rachmaninows Musik. Weiterlesen

Scheu: Schuberts „Winterreise“ mit Mark Padmore und Kristian Bezuidenhout

Diese Winterreise ist ein scheues Tier, das in eine Treibjagd gerät.

Denn der Tenor Mark Padmore, Artist in Residence der Berliner Philharmoniker, lässt sich bei Franz Schuberts schauerlichen Liedern von einem Hammerklavier begleiten, das der Pianist Kristian Bezuidenhout in ein so zartes wie animalisches Wesen verwandelt. Die Jagdhunde indes haben sich nicht nur in der Seele, sondern auch im Kammermusiksaal verteilt.  Weiterlesen

Instinktreflexiv: Dmitry Masleev im Pianosalon Christophori

Schöne Gelegenheit, einen aufgehenden Klavierstern noch in intimer Beleuchtung zu erleben: Der russische Pianist Dmitry Masleev spielt im Weddinger Pianosalon Christophori. Man hört nicht alle Tage einen aktuellen Tschaikowsky-Wettbewerbs-Sieger in so einer gleichermaßen sachlichen wie fancy Location. Noch dazu an einem Bösendorfer! Masleev spielt auf eigenen Wunsch hier. Spricht für seinen Instinkt und seine Reflexion. Denn es ist immer schmerzlich, einen hochbegabten Musiker im stimmungstötenden halbleeren Kammermusiksaal zu sehen. Der Pianosalon aber ist rappelvoll, und man darf während des pausenlosen Rezitals Bier trinken; leise, versteht sich. Weiterlesen

Blau: Víkingur Ólafsson im Pianosalon Christophori

Zwei Ereignisse, die das Menschengeschlecht voranbringen, ereigneten sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf Island: Erstens wurden Fußbälle auf die einsame Insel gebracht, zweitens Klaviere.

Um sich von der segensreichen Wirkung des Letzteren zu überzeugen, radelt der Konzertgänger an der schönen blauen Panke entlang zum Weddinger Pianosalon Christophori. Dort erwartet ihn ein tiefgestimmter, ja blauer Novemberabend: Das Klavierrezital von Víkingur Ólafsson bewegt sich in zweieinhalb Stunden nur einen Halbton aufwärts, von e-Moll nach f-Moll.

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Kombinationssicher: Nils Mönkemeyer und William Youn im Pierre-Boulez-Saal

Die Kombinationen machens, und mehr noch die Kombinationen der Kombinationen. Im Pierre Boulez Saal kombinieren der Bratschist Nils Mönkemeyer und der Pianist William Youn Altes und Neues, Mozart mit Sciarrino, Schubert und Brahms mit Boulanger, Chin, Pintscher. Vor allem aber kombinieren sie die Kombination Viola & Konzertflügel mit der Kombination Viola & Hammerklavier. Lauter Traumkombinationen sind das.

Aber am allerobertraumhaftesten ist die letzte. Mönkemeyers Bratsche und der Hammerflügel vom Bamberger Klavierbauer J.C. Neupert sind genau richtig aufeinander eingetönt. Weiterlesen

Hochdruckzugvoll: Anna Vinnitskaya spielt Prokofjew, Debussy, Chopin

Anna Vinnitskayas Hände ziehen die Töne aus dem Klavier. Sehr reizvoll, im Kammermusiksaal von links einen guten Blick auf die Tastatur zu haben (auch wenn wahre Pianomaniacs sich bekanntlich immer nach rechts setzen). Sie drücken die Töne. Sie müssen sie aber ziehen, sagte Alfred Brendel einmal zu einem Dilettanten, den er bei einem Besuch ans Klavier gebeten hatte. Was man darunter verstehen kann, lernt man bei Vinnitskaya. Dabei zieht sie paradoxerweise mit einer speziellen Form von Hochdruck, der durch den ganzen Körper zu fließen scheint.

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Schwön: Berliner Philharmoniker, Mitsuko Uchida, Amihai Grosz spielen Mozart, Walton, Kodály

William Walton (1902-83) / Quelle: Walton Trust

Das sei aber mal ein Bratschenkonzert, das alle Bratschenklischees vermeide, war neulich bei der Uraufführung eines (übrigens sehr schönen) modernen Bratschenkonzerts zu hören. Was aber sind eigentlich die Legionen von Bratschenkonzerten, die dem Bratschenklischee frönen?

Eine Antwort gibts bei den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle, der sich gutgelaunt durch seine Abschiedssaison dirigiert. Und sehr schön ist William Waltons Violakonzert (1929, rev. 1962) übrigens auch. Um nicht zu sagen schwön. Weiterlesen

Labyrinthesk: Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden mit Daniel Barenboim und Maurizio Pollini

Vielleicht das Schönste: Das erste Abokonzert in der vortags mit Pomp & Schmackes wiedereröffneten Staatsoper Unter den Linden fühlt sich nicht an wie eine zweite Pomp & Schmackes-Wiedereröffnungs-Sause. Sondern wie ein Abokonzert. Gut so, Kunst als Alltag, nicht als Staatsaffäre.

Natürlich schaut man sich dennoch vorher neugierig um. Tritt vorsichtig auf und traut sich gar nicht, irgendwohin zu fassen, nachdem man das mit den 400 Millionen gelesen hat. Nicht dass man achtlos irgendwohin patscht, und schon ist sie wieder weg, diese halbe Sekunde Extra-Nachhall! Über die das halbe Land sich mokiert, die aber für einen Musikliebhaber die Welt bedeutet. Weiterlesen

Flüchtig: Konzerthausorchester, Iván Fischer und Gustav Mahler spielen Gustav Mahler

Séance in der Philharmonie! Nicht nur das Konzerthausorchester verirrt sich beim Musikfest an diesen ungewohnten Ort, sondern Gustav Mahlers Geist erscheint höchstpersönlich. Und er findet sich dort schneller zurecht als Dirigent Iván Fischer, den man neulich bei Gardiners Poppea orientierungslos herumsuchen sah, bis das Personal ihn an seinen Platz in Block A führte. Gustav Mahler aber findet ohne Probleme den Steinway-Flügel, der für ihn vor dem wartenden Orchester aufgebaut ist. Weiterlesen

Rotstachlig: Igor Levit variiert Bach, Beethoven, Rzewski

Georgia_O'Keeffe,_The_Flag,_watercolor,_1918 (2)Respekt nicht bloß dafür, dass der Pianist Igor Levit „etwas Modernes“ spielt, noch dazu einen 60-Minuten-Klopper: Respekt erst recht für die Beharrlichkeit, mit der er seit Jahren für Frederic Rzewskis 36 Variations on „The People United Will Never Be Defeated!“ wirbt. Oder kämpft, müsste man wohl sujetgemäßer schreiben im Falle dieser Revolutionsmusik von 1975. Er kämpft/spielt das Stück auch in seinem zweiten Konzert im Kammermusiksaal. Im überreichen Doppelpack mit den Diabelli-Variationen, zwei Tage nach den Goldberg-Variationen (über die Bekannte des Konzertgängers des Lobes voll sind). Weiterlesen

Augenschließend: Beatrice Rana spielt Goldberg-Variationen

Canon_triplex_3Im Konzert gewesen. Verliebt.

Nicht in die Frau Beatrice Rana! Die wirkt zwar hinreißend, aber der Konzertgänger ist bereits verheiratet mit einer schlechthin vollkommenen Frau. Beatrice Ranas Klavierspiel aber weckt schon nach wenigen Tönen das unwiderstehliche Bedürfnis, die Augen zu schließen, um die Ohren so weit es geht zu öffnen. Der Konzertgänger gibt dem Bedürfnis nach und wird die Augen siebzig Minuten lang nicht mehr öffnen, bis zum letzten G mit dem himmlischen Vorschlag. Und das will bei einer so attraktiven Pianistin etwas heißen.

Denn schon die Aria von Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen BWV 988 kündigt an, dass das etwas Außergewöhnliches wird zum Abschluss des Berliner Klavierfestivals im Kleinen Saal des Konzerthauses. Rana spielt langsam, voller Anmut und Konzentration, mit fast sachlichen Verzierungen. Die Basslinie in der Linken, wo sich das Thema versteckt, hebt sie deutlich, aber ohne einen Anflug von Zeigefingerhaftigkeit hervor. Weiterlesen

Entspannt: Christian Zacharias spielt Schubert, Beethoven, Schumann

António_Carneiro_Claudio_ao_piano_by_Henrique_Matos_02Ein bisschen wie ein Musiklehrer schlurft Christian Zacharias beim Klavierfestival im Kleinen Saal des Berliner Konzerthauses auf die Bühne: Aber keiner jener Musiklehrer, die das halsstarrige Dummseinwollen der Schüler ausgemergelt hat, sondern einer, den die Schüler in seiner Schlaksigkeit mögen und bewundern, weil er kompetent und zugleich entspannt ist. Seine Schuhe glänzen nicht, die Hose schlottert, das Hemd hängt über den Bund, es ist vielleicht sein einziges. Eine äußerst sympathische Erscheinung.

Scheinbar tiefenentspannt spielt sich Zacharias auch ins Allegro ma non troppo von Franz Schuberts Sonate a-Moll D 537, so dass man sich zuerst fragt: troppo moderato? Weiterlesen