Gratfunzend: DSO, Ticciati, Uchida spielen alles Mögliche

Wann ist ein Programm überprogrammiert? Robin Ticciatis Additionen beim Deutschen Symphonie-Orchester wandeln manchmal auf dem Grat zwischen thrilling und too matsch. Zwei Vorspiele und Liebestode rahmen das Programm in der Philharmonie, wobei die Vorspiele von Richard Strauss‘ Don Juan auf direktere Weise ejakulativ sind als Wagners. Zwangsvorstellung eines riesigen sich aufrichtenden Gemächts beim hochsausenden Thema der Sinfonischen Dichtung. Aber Ticciati erigiert das Tongebäude vorzüglich und prachtvoll.

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Schwön: Berliner Philharmoniker, Mitsuko Uchida, Amihai Grosz spielen Mozart, Walton, Kodály

William Walton (1902-83) / Quelle: Walton Trust

Das sei aber mal ein Bratschenkonzert, das alle Bratschenklischees vermeide, war neulich bei der Uraufführung eines (übrigens sehr schönen) modernen Bratschenkonzerts zu hören. Was aber sind eigentlich die Legionen von Bratschenkonzerten, die dem Bratschenklischee frönen?

Eine Antwort gibts bei den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle, der sich gutgelaunt durch seine Abschiedssaison dirigiert. Und sehr schön ist William Waltons Violakonzert (1929, rev. 1962) übrigens auch. Um nicht zu sagen schwön. Weiterlesen

10. Mai 2015: Glasharmonika, Mitsuko Uchida und Iván Fischer beim Mozart-Marathon im Konzerthaus

Der Weg ins Mozartparadies ist voller Disteln: Bevor der Konzertgänger mit seiner Tochter den 2. Rang erreicht hat, ist er dreimal geschurigelt worden. Zum ersten Mal von einer allseits bekannten Empfangsdame, zum zweiten Mal von einem Kartenverkäufer, zum dritten Mal von einer älteren Besucherin, die es ärgert, vor Konzertbeginn nochmal aufstehen zu müssen. Man fragt sich immer wieder, wie Touristen zumute sein muss, die auf den umwerfenden Alt-Berliner Charme nicht vorbereitet sind. Sei’s drum. Im Konzerthaus gibt es auch jede Menge freundlicher Menschen, außerdem eine Fülle von prima Kinderprogrammen, und es gibt Veranstaltungen für die ganze Familie wie diesen Mozarttag – den dritten Marathon für einen Komponisten nach Beethoven 2013 und Dvořák 2014.

Man müsste sich aufteilen können. Während Alexander Melnikov Mozartsonaten auf dem Hammerklavier spielt, besucht die Frau des Konzertgängers mit zwei Kindern das Wiener Glasharmonika-Duo, das magisch-schüchterne Ehepaar Schönfeldinger, das sein Publikum mit sonderbarsten KlängeFeatured imagen verzaubert. Konzertgängers Sohn lauscht gebannt Griegs Klavierstück Kobold, das er im Klavierunterricht übt und das hier faszinierend verzaubert klingt; und er darf sogar anfassen.

Im ausverkauften Großen Saal spielt gleichzeitig Iván Fischer mit dem Konzerthaus-Orchester die Serenata notturna D-Dur KV 239, keine Sommermusik, sondern eine Serenade für eine Winternacht 1776. Ein Streichorchester mit Pauke steht einem Streichquartett (mit Kontrabass statt Cello!) gegenüber. Dass Mozart sein unaufmerksames Publikum bei der Stange zu halten verstand, beweist der Praxistest: Immer wenn Konzertgängers Tochter sich hinzulegen und einzuschlafen gedenkt, zieht ein neuer solistischer Klangreiz ihre Aufmerksamkeit von neuem an: die Bratsche schrammelt drauf los, der Kontrabass heizt ein, die Pauke flippt aus. Der Konzertgänger hätte gern im 18. Jahrhundert gelebt (Zugehörigkeit zum richtigen Stand vorausgesetzt). Iván Fischer ist der perfekte Dirigent für solche witzige Musik. Eine schwarzgekleidete Frau auf der Orgelempore wiegt, schwingt und dirigiert selbstvergessen mit.

Ernster wird es mit dem Klavierkonzert c-Moll KV 491. 10 Jahre und musikalische Welten liegen zwischen der Serenade und diesem dramatischen, düsteren Stück. Konzertgängers Tochter ist begeistert nicht nur von der packenden Dramatik des Werks und Mitsuko Uchidas sanfter Fingerfertigkeit, sondern auch vom grünen Kleid, den goldenen Schuhen und der fernöstlichen Verbeugungskunst dieser einzigartigen Pianistin. Im herrlichen Larghetto schläft sie trotzdem kurz ein. Umso aufmerksamer hört sie die Bach-Zugabe, in der dann ein Telefon penetrant klingelt – es gehört ausgerechnet der selbstvergessenen Mitdirigentin auf der Empore; nachdem sie es, von 1865 Augenpaaren fixiert, endlich ausgeschaltet hat, schließt sie sofort wieder die Augen und versinkt erneut in wiegende Trance. Beneidenswert autogene Hörkunst!

Die „Jupiter“-Symphonie C-Dur KV 551 kann man gar nicht oft genug hören im Leben, zumindest wenn sie so packend gespielt wird wie hier. Der Konzertgänger hat den (nunmehr zwei) Kindern in seiner Begleitung vorher etwas über das Männliche und das Weibliche in den ersten Takten erzählt, und es trifft sich, dass Fischer so ein pädagogischer Dirigent ist: Er betont das markante Schleifermotiv und die sehnsuchtsvolle Streicherfigur so überdeutlich, dass die Fünfjährigen verstehend nicken. Genau richtig bei so einem Konzert! Fischer beim Dirigieren zuzusehen ist immer eine Riesenfreude, so schlaksig und hampelig das alles aussieht. Die Symphonie entwickelt den größtmöglichen Sog, alle Hörer vom Kleinkind bis zum Greis empfinden den Sturm des Glücks, den das himmlische Finale entfacht.

Mozartpostkarten verschickt, Mozartkutschen herumgeschoben, Melange getrunken. Bedauern, dass diesmal zu wenig Zeit war; Vorfreude auf den Bach-Marathon am 29. November.

Mozart-Marathon im Konzerthaus

Wiener Glasharmonika-Duo