Ukrainisch-umarmend

rsb, Jurowski, Alban Gerhardt spielen Werbyzkyj, Rubinstein, Smirnow und Tschaikowsky

Bei Vladimir Jurowski wird aus einem klaren politischen Statement gleich eine musikalische Weiterbohrung: Denn auf die ukrainische Nationalhymne, mit der nach spontaner Programmänderung das Konzert in der Philharmonie beginnt, spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin noch ein weiteres Werk ihres Komponisten Mychajlo Werbyzkyj, die gut gearbeitete Sinfonische Ouvertüre D-Dur, schmissig wie ein Stück von Suppé. Vor allem aber ergeben sich atemberaubende, in der Mitte geradezu verstörende Bezüge zum planmäßigen Rest des Programms, auf dem drei höchst unterschiedliche Werke russischer Komponisten stehen.

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Kurz und kryptisch* (7): RSB, Jurowski, Hope spielen Firssowa, Berg, Tschaikowsky

Heute ist Totensonntag, sagt Daniel Hope seine Zugabe an. Das Andante aus Erwin Schulhoffs Violinsonate von 1927 ist aber nicht nur hörenswert, weil der Komponist 1942 den Nazis zum Opfer fiel. Sondern auch, weil es einfach packende Violinmusik ist. Und natürlich auch aufgrund von Schulhoffs Nähe zu Alban Berg, dessen weltabschiedliches Violinkonzert Hope zuvor gespielt hat. Da klangen seine ersten „leeren“ Töne fast, als würde er gleich Fritz Kreisler spielen; aber dann wirft er sich mit Haut und Haar in diese Musik, ohne irgendwas zu glätten oder oberflächlich zu schwülsten.

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Fliegenfallend: Juraj Valčuha und Simone Lamsma

Erstmals wieder im Konzerthaus Berlin seit, Sie wissen schon. Ein bissl spooky ists schon, derart ausgedünnt im Großen Saal, jede zweite Reihe ausgebaut, je zwei von vier Plätzen in den verbleibenden Reihen bleiben frei. Andererseits, allein in der Loge mit meiner Marquise finde ich schon standesgemäß. Wenngleich die eingelegten OBI-Spanplatten über der verschwundenen ersten Logenreihe etwas subaristokratisch wirken; vor allem aber fehlen natürlich die diskreten Vorhänge vor der Loge, falls man, Sie wissen schon.

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Durwürmig: Mandelring Quartett spielt Schostakowitsch, Borodin, Tschaikowsky

Was bei bedeutenden Bands die legendäre Ausnahme (AC/DC, Oasis, Die Lochis), ist bei Streichquartetten quasi die Regel: Family Affairs. Ein Brüderpaar im Cuarteto Casals, gleich drei Geschwister im Hagen Quartett und im Mandelring Quartett. Letzteres ist nach der Straße benannt, in der das Elternhaus der Geschwister steht. Hieße es nach dem Familiennamen, wärs das Schmidt Quartett – das wär irgendwie nix. Wie organisch die drei Geschwister Schmidt gemeinsam mit dem Bratscher Andreas Willwohl musizieren, bewundert man umso intensiver, wenn man selbst zwei Söhne und eine Tochter hat, die gemeinsam mit einem Vierten vielleicht eher ein Streitquartett bilden würden. Oder ein Schreiquartett. Weiterlesen

Instinktreflexiv: Dmitry Masleev im Pianosalon Christophori

Schöne Gelegenheit, einen aufgehenden Klavierstern noch in intimer Beleuchtung zu erleben: Der russische Pianist Dmitry Masleev spielt im Weddinger Pianosalon Christophori. Man hört nicht alle Tage einen aktuellen Tschaikowsky-Wettbewerbs-Sieger in so einer gleichermaßen sachlichen wie fancy Location. Noch dazu an einem Bösendorfer! Masleev spielt auf eigenen Wunsch hier. Spricht für seinen Instinkt und seine Reflexion. Denn es ist immer schmerzlich, einen hochbegabten Musiker im stimmungstötenden halbleeren Kammermusiksaal zu sehen. Der Pianosalon aber ist rappelvoll, und man darf während des pausenlosen Rezitals Bier trinken; leise, versteht sich. Weiterlesen

Buntstrukturiert: Yevgeny Sudbin beim Klavierfestival

800px-Retrato_de_Domenico_ScarlattiDomenico Scarlatti fiele wahrscheinlich die Kinnlade auf den Jabot, wenn er im Konzerthaus säße und seine Nachbarin fragte, von wem denn diese hinreißenden Stücke seien, die der hagere junge Virtuose da spiele: Nocturnes, Fantasien, Etüden, unendlich nuanciert und durchgestuft in Klangfarben, Dynamik, Agogik und dabei ungeheuer dezent, von ferne an ein Cembalo erinnernd.

Fünf Sonaten von Domenico Scarlatti, wäre die Antwort der Nachbarin, auf einem modernen Konzertflügel gespielt.

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Glühend: Kirill Petrenko bei den Berliner Philharmonikern mit Mozart, John Adams, Tschaikowsky

Keine Hysterie am zweiten Tag, gut so. Nach den Berichten über Kirill Petrenkos erstes Icon_03027_Vhod_Gospoden_v_IerusalimKonzert seit seiner Wahl zum künftigen Chefdirigenten stand auch bei seinem Auftritt am Folgetag überkandidelte Euphorie zu befürchten wie bei einem SPD-Parteitag. Als bräuchten die Berliner Philharmoniker einen Erlöser! Aber zum Glück keine Klatsch-Ekstase vor dem ersten Ton, nur wohlwollender Applaus zur Begrüßung. Und am Ende gibt es zwar standing ovations, aber ohne dass Klatsch- und Bravo-Vordrängler die schreiende Stille nach dem Ersterben des letzten Pathétique-Tons zerstörten.

Bewies Petrenko im vergangenen Herbst mit dem Bayrischen Staatsorchester, dass er auch einem ätzenden Werk wie Strauss‘ Domestica Magie einzuhauchen vermag, ist sein Philharmoniker-Programm merkwürdig genug: Mozart, John Adams, Tschaikowsky. Worin besteht der Zusammenhang? Etwa in der klassikfernen Fünfzahl – bei Tschaikowsky der „Walzer“ im 5/4-Takt, in Mozarts Haffner-Sinfonie das irritierend fünftaktige erste Motto?

Was auf dem Papier beliebig scheint, erschließt sich dem Ohr.  Weiterlesen

Hörstörung (9): Eine Dame singt Tschaikowsky mit

Im zweiten, leider wieder einmal heillos zerhusteten und zerniesten Konzert des unverwüstlichen Dirigenten Zubin Mehta mit den Berliner Philharmonikern binnen weniger Tage (nach Shankar/Bartók am vergangenen Wochenende) kam es – nach einer prachtvollen und klangsatten Interpretation von Edward Elgars schwermelancholischem Violinkonzert h-Moll op. 61 durch Pinchas Zukerman – in Peter Tschaikowskys trotz aller Einwände immer wieder herzzerreißender 5. Sinfonie e-Moll op. 64 zu einer Hörstörung, wie man sie nun nicht alle Tage erlebt:

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28.1.2017 – Salonnostalgisch: Vogler Quartett und Jochen Kowalski à la russe

Russisches Wochenende im Konzerthaus: Während es im Großen Saal zwei Großviecher des russischen Repertoires gibt (formidabel, wie man liest), präsentiert das Vogler Quartett im Kleinen Saal phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind: in den Petersburger Salons des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

der_junge_tschaikowskiDass sich für diese exotische Fauna ein etwas anderes Publikum interessiert als sonst, zeigt sich bereits in Tschaikowskys 1. Streichquartett D-Dur op. 11, in dem jeder Satz enthusiastisch beklatscht wird. Was zu den erträglichen Hörstörungen gehört, weil es ja zeigt, dass die sich als Kenner Wähnenden nicht unter sich bleiben (um gemeinsam auszusterben). Das Vogler Quartett spielt lebendig, freudig und ohne zu großen Wohlklang – ein Pluspunkt, wenn Tschaikowsky nicht im schönen Ton ertrinkt. Die direkte Akustik des Kleinen Saals, in dem man jedes Atmen und Knarzen der Instrumente spürt, trägt dazu bei. Für Kammermusik besser geeignet als der Kammermusiksaal, das muss mal gesagt werden.

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10.11.2016 – Schwermutfarbig: Emerson Quartett spielt Barber, Turnage, Tschaikowsky

Samuel Barbers Adagio wurde nicht nur bei diversen Beerdigungen von Präsidenten, Filmstars, Hochadligen und Nobelpreisträgern gespielt, sondern auch und erst recht nach dem 11. September 2001. Nach dem erneuten 11. September, den Amerika sich soeben selbst zugefügt hat, hört man es natürlich mit anderen Ohren. Bedrückter denn je.

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Samuel Barber, Foto: Carl Van Vechten, 1944

Barbers originale Streichquartettfassung ist entschieden bekömmlicher als die berühmt-berüchtigte aufgeblasene Fassung for strings, für die Toscanini sich im Jenseits verantworten muss. Das New Yorker Emerson String Quartet trägt das traurige Stück im Kammermusiksaal in lehrbuchmäßiger Intonation und Intensität vor und in so perfektem Zusammenspiel, dass man sich höchstens fragen könnte, ob das Abreißen vor der Generalpause noch intensiver wirken würde, wenn es nicht ganz so perfekt gelänge. Aber man kann niemanden zum Schludern zwingen. Außerdem wäre es schön, das Stück einmal in seinem Zusammenhang zu hören, als Mittelsatz des Streichquartetts opus 11 (1935/36).

Hier steht es allerdings im Zusammenhang eines gut durchdachten Novemberprogramms mit Turnage und Tschaikowsky in der Farbe der Schwermut  (C.F.D. Schubart 1784, Programmhefttext Ingeborg Allihn). Also mit viel Lamento und Trauermarsch. Die vier Herren des Emerson String Quartets tragen, fast etwas kurios, schwarze Krawatten wie bei einem Begräbnis. Weiterlesen