Was bei bedeutenden Bands die legendäre Ausnahme (AC/DC, Oasis, Die Lochis), ist bei Streichquartetten quasi die Regel: Family Affairs. Ein Brüderpaar im Cuarteto Casals, gleich drei Geschwister im Hagen Quartett und im Mandelring Quartett. Letzteres ist nach der Straße benannt, in der das Elternhaus der Geschwister steht. Hieße es nach dem Familiennamen, wärs das Schmidt Quartett – das wär irgendwie nix. Wie organisch die drei Geschwister Schmidt gemeinsam mit dem Bratscher Andreas Willwohl musizieren, bewundert man umso intensiver, wenn man selbst zwei Söhne und eine Tochter hat, die gemeinsam mit einem Vierten vielleicht eher ein Streitquartett bilden würden. Oder ein Schreiquartett. Weiterlesen
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Rotierend, schneidend: Mandelring Quartett spielt Brahms‘ Quintette und Sextette
Was hatte Johannes Brahms eigentlich mit diesem albernen Symphonik-Ideal? Was er da noch zusetzen wollte, fragt man sich, wenn man seine Streichquintette und Sextette rotieren hört, die das Mandelring Quartett am zweiten Tag seines Brahms-Marathons im Radialsystem spielt.
Draußen bumpert die 1.-Mai-Vergnügung, diese eigenartige Kreuzhainer Loveparade. Ab und an dringen Polizei- oder Feuerwehrsirenen in die alte Abwasserpumpmaschinenhalle, die jetzt ein Konzertraum ist. Und zwar ein sehr schöner. Das Radialsystem nervt zwar bei jedem Besuch: überall Gedrängel – beim endlosen Warten auf einen Kaffee, am Einlass, beim Kampf um die besten der unnummerierten Plätze. Zwei ältere Damen stehen dicht vor einer Keilerei, weil die eine mehrere Plätze mit einem Seidenschal geblockt hat; die andere schwingt ihre Faust mit der alten Revolutionärs-Parole Freie Platzwahl! Weiterlesen
22.2.2017 – Sowas von unvergleichlich: Mandelring Quartett spielt Schubert und Berg
Reizvoll, an zwei Abenden nacheinander zwei hochkarätige Streichquartette im Kammermusiksaal hören zu dürfen: erst Artemis, dann Mandelring. Das Artemis Quartett scheint von einzigartigem Wohlklang – manchmal fast zu schön, um wahr zu sein. Das Mandelring Quartett wirkt dagegen spontaner, risikofreudiger – fast zu wahr, um schön zu sein. Was nicht heißt, dass die Mandelrings nicht einen schönen Ton beherrschten. Aber wie vorbehaltlos die vier sich in Ausdrucksextreme werfen, wie rau etwa der erste Geiger Sebastian Schmidt den Bogen aus dem Ton reißt, wenn es um alles geht, würde man bei Artemis wohl kaum je erleben.
Aber was soll die elende Vergleicherei! Da könnte man ja gleich Alban Berg und Franz Schubert vergleichen! Jedoch … warum eigentlich nicht? Beim Mandelring Quartett steht SchuBerg auf dem Programm. Weiterlesen
6.11.2016 – Traumrosamundisch: Mandelring Quartett spielt Haydn, Schubert, Beethoven
Ein Leben ohne Streichquartette ist möglich, aber sinnlos. Also beginnt der graue und grausige November mit einer höchlich sinnhaften Woche, einem inoffiziellen Streichquartett-Festival: Bevor heute das Cuarteto Casals und am Donnerstag das Emerson String Quartet Berlin beehren und am Samstag das feine Vogler Quartett im Konzerthaus spielt, eröffnet das vorzügliche Mandelring Quartett seinen neuen Berlin-Zyklus mit einer klassischen Drei-Gipfel-Wanderung im Kammermusiksaal. Hayschubhoven.
4.6.2016 – Seufzend: Mandelring Quartett spielt Viktor Ullmann, Mozart, Schumann
Nicht Jagdquartett, sondern Vogelzwitscherquartett sollte Wolfgang Amadeus Mozarts idyllisches Streichquartett B-Dur KV 458 heißen, wenn es denn einen Beinamen haben soll: In seinen buchfinkhaften Trillerketten bildet sich der federleichte Schwung ab, mit dem das Mandelring Quartett im Kammermusiksaal das letzte Konzert seiner Berliner Saison eröffnet. (Sehr passend gibt es dann am Ende Adagio und Finale aus Haydns Lerchenquartett als Zugabe.)
15.4.2016 – Schumann plus: Mandelring Quartett und Ian Fountain im Kammermusiksaal
Der Fröhliche Landmann ist anno 2016 ein Jazzpianist: Der österreichische Komponist Paul Engel, dessen künstlerisches Wirken sich von einer frühen Rolle im Heimatfilm Die singenden Engel von Tirol bis zu Werken wie Korrelation und Metasinfonia erstreckt, hat ein Klavierquintett Hommage à Robert Schumann geschrieben, das man strukturell als Tondichtung Ein Romantikerleben bezeichnen könnte. Am biografischen Schnürchen sind die sieben Abschnitte des Stücks aufgefädelt, von der Kindheit bis zur finalen Melancholie mit Wahn. Engels musikalische Sprache hat aber zum Glück gar nichts von symphonischer Dichtung, sondern ordnet jeder Station eine Klangsphäre zu, die auf musikalischen Assoziationen beruht, dem Album für die Jugend und den Davidsbündlertänzen etwa oder auch dem Violinkonzert des Hamburger Bewunderers Brahms.
Ein noch größeres Glück ist es, dass Engel dem Zuhörer leidiges Zitate-Raten erspart (auch wenn manche Phrasen einen anspringen, wie anfangs der Fröhliche Landmann). Stattdessen dominieren freie poetische und jazzige Klänge diese Traumreise, insgesamt vielleicht etwas additiv, aber doch von so unmittelbar ansteckender Musikalität, dass auch die asiatische Umblattlerin des Pianisten mitwippt. Aus einer anderen Welt, einem Kosmos ohne Taktstriche scheint hingegen der Ur-Melos im Zentrum der Komposition herüberzutönen, der sich als einziger Abschnitt nicht auf ein konkretes Schumannstück bezieht. Stattdessen: Clara. Ein Wechselgesang der Streicher über unendlich andauernden Liegetönen und unaufhörlichem Pendeln des Klaviers, der an die beiden Louanges in Messiaens Quatuor pour la fin du temps erinnert, sich von diesem aber durch eine geradezu orgasmische Steigerung unterscheidet.
Der Pianist Ian Fountain gesellt sich an diesem Schumann gewidmeten Abend zum Mandelring Quartett im Kammermusiksaal. Nur abseits des Klaviers wirkt der hochaufgeschossene Engländer mit großer Brille und schlottrigem Sacko ungelenk. Sein Zusammenspiel mit dem Quartett ist so umsichtig und fein abgestuft, dass man sich wünscht, es möge ewig weitergehen. Schon im eröffnenden Allegro brillante von Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur op. 44 werden trotz Kraft und Frische (Clara Schumann) innehaltende Momente von fast tschaikowskyhafter trauriger Schönheit hör- und spürbar, die den folgenden langsamen Satz dann ja völlig dominieren: das vereinzelte Seufzen (besonders eindrucksvoll die schmerzlichherb klingende Bratsche von Andreas Willwohl) und das gemeinsame Seufzen in den schwerelos aufsteigenden Inseln der Erinnerung – ein Triumph der perfekt abgestimmten Agogik des Quartetts und ihres Gastes. Irritierend fest wirkt danach der sichere Boden, auf dem die Sätze 3 und 4 sich bewegen. Und vielleicht kunstvoller und trotz der scheinbar schlichten Form elaborierter, aber bei weitem nicht so unmittelbar berührend ist das als Zugabe gespielte schöne Andante aus Brahms‘ Klavierquintett.
Ein Muster an Spielkultur war bereits Schumanns Streichquartett a-Moll op. 41,1, mit dem die Mandelrings noch ohne Gast den Abend eröffneten: Unsagbar sanft sinken sie in die Andante espressivo-Einleitung dieses Stücks hinein, in dem alles singt, jede Fuge wie ein Kanon klingt. Wunderschön das zum Zerreißen gespannte Adagio. Als im Presto-Finale, kurz vor Schluss, die rasanten Abwärtsläufe innehalten, die Welt stehenbleibt in atemlosem Schumannglück, erinnert nur ruchloses Handybimmeln den Hörer daran, dass er sich noch im Diesseits befindet.
Am 4.6. kann er es wieder verlassen, dann spielt das Mandelring Quartett unter dem Motto Genie und Wahnsinn Mozart, Ullmann und das 3. Quartett von Schumann.
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24.2.2016 – Anmutig erschütternd: Mandelring Quartett spielt Beethoven, Schostakowitsch, Brahms
Ein untrügliches Indiz dafür, wie gut das Mandelring Quartett ist, sind die vielen Streicher im Publikum: Lauter Geigen-, Bratschen- und Cellokästen werden an der Garderobe des Kammermusiksaals abgegeben, wo jeder Schatz sicher liegt wie in Abrahams Schoß. Nur die neue Garderobenfrau fragt eine Japanerin, die ihr den Geigenkasten reichen will: „Ist er sehr schwer?“
Aber es ist kein Konzert nur für Spezialisten. Als kleine Einstiegshilfe gibt das Mandelring Quartett seinen Programmen (ähnlich wie das Freiburger Barockorchester) hübsche Titel, an diesem Abend Anmut und Erschütterung. Auch Antrieb und Erstarrung könnte man sich vorstellen, wenn man die 3 Werke dieses Abends hört. Denn purer Antrieb ist das Streichquartett D-Dur op. 18, 3, das entgegen der Nummerierung früheste Quartett von Ludwig van Beethoven (1798/99). Obwohl Beethoven hier noch auf Ignaz Schuppanzighs elende Geige Rücksicht nahm, sprach bereits der Geist zu ihm, und die mozart-haydnsche Anmut wird immer wieder erschüttert. Am explosivsten klingt der leiseste Satz, nämlich der dritte: Da rumort schon das Scherzo, aber nie über die Grenze des Halblauten. Das dramatische Feuerwerk im Finale klingt dann gar nicht mehr nach Haydn. Die vielgerühmte Homogenität des Mandelring Quartetts klingt in den ersten Minuten noch leicht getrübt, aber das sind Lappalien, die einem bei einem anderen Quartett gar nicht auffielen. Dass der Bratschist Andreas Willwohl erst seit einigen Monaten dabei ist, nicht schon seit Jahrzehnten, bemerkt (wie schon beim Mendelssohn-Marathon im Radialsystem im November) kein Mensch, der es nicht weiß. In der Pause nach dem ersten Satz schaut der Primarius Sebastian Schmidt belustigt ins Publikum, das sich wie auf Knopfdruck einen abhustet.
Nicht nur leicht, sondern extrem getrübt beginnt dann das Streichquartett Nr. 8 c-Moll von Dmitri Schostakowitsch, was bei diesem Werk kein Mangel, sondern Sinn der Sache ist: Offiziell der Erinnerung an die Opfer des Faschismus und des Krieges gewidmet, schnüren dem Hörer die Gewalt des 2. Satzes und das aufklingende jüdische Klagelied den Hals zu, genau wie die Akkordsalven im 4. Satz, die an eine Hinrichtung denken lassen. Zugleich ist das Quartett mit seinem berühmten manischen D-Es-C-H-Motiv unüberhörbar persönlich. Unnachahmlich der Brief an Isaak Glikman, in dem Schostakowitsch es als vorweggenommenes Requiem auf sich selbst beschreibt, und weiter:
Dieses Quartett ist von einer derartigen Pseudotragik, dass ich beim Komponieren so viele Tränen vergossen habe, wie man Wasser lässt nach einem halben Dutzend Bieren. Zu Hause angekommen, habe ich es zweimal zu spielen versucht , und wieder kamen mir die Tränen. Aber diesmal schon nicht mehr nur wegen seiner Pseudotragik, sondern auch wegen meines Erstaunens über die wunderbare Geschlossenheit seiner Form.
Das Mandelring-Quartett, von dem es eine außerordentliche Gesamteinspielung der Streichquartette gibt, beherrscht den fahlen, schneidenden, klagesingenden Schostakowitsch-Ton vollkommen; das Singende an diesem Abend besonders eindrücklich der Cellist Bernhard Schmidt im 3. und 4. Satz.
Ob man das D-Es-C-H-Motiv nun, wie ein Hörer es tut, in der Pause auf der Toilette pfeifen muss, ist Geschmackssache. (Aber auch der Sohn des Konzertgängers hat es schon mit sechs Jahren auf dem Klavier geklimpert; es gefälllt ihm besser als B-A-C-H.)
Selbst Johannes Brahms‘ Streichquartett c-Moll op. 51,1 ist kein Fall nur für Spezialisten, im Gegenteil. Zwar gehört es zu Brahms‘ Werken mit unfassbar komplexen Außensätzen, die man desto weniger anzuhören wagt, je mehr man darüber liest. Zumal wenn man erfährt, dass Schönberg im Aufsatz Brahms, der Fortschrittliche seinen furchteinflößenden Begriff der entwickelnden Variation an ebendiesem Quartett belegte; und dass Brahms 20 Jahre lang 20 fertige Quartette in die Tonne kloppte, bevor er dieses eine gelten ließ.
Der Laie kann im Kopfsatz und im Finale zwar kaum nachvollziehen, wie sich die Musik entwickelnd variiert und variierend entwickelt. Aber dass sie es tut, hört er doch. Und wie die grimmigen und melancholischen Figuren einander packen und weiterziehen und voranschleudern, packt, zieht und schleudert auch ihn. Besonders ergreifend bei Brahms immer die Momente, in denen der hyperkomplexe Dauerantrieb für einen Moment erstarrt, als begriffe er sich selbst nicht mehr – für den Konzertgänger neunzehntes Jahrhundert schlechthin.
Er wundert sich nur, wie man das alles in solcher Perfektion zusammenspielen kann wie das Mandelring Quartett, ohne dass einem die Einzelteile um die Ohren fliegen.
Und dann ist da ja immer noch die innige, fast schon beschämende Schönheit der brahmsschen Mittelsätze. Keine pragmatische Entlastung für den strapazierten Hörer, sondern ästhetisch notwendiges Komplement zu den ungeheuren intellektuellen und emotionalen Entladungen der Rahmensätze. An diesem Abend ist alles da, was Brahms ausmacht: die Süße der Logik und die Logik der Süße – Anmut und Erschütterung.
Als Zugaben das Menuett aus Haydns Opus 71, 2 D-Dur und das Assez vif et bien rythmé aus Debussys Streichquartett.
Das Mandelring-Quartett kommt wieder nach Berlin am 15. April plus Klavier, am 4. Juni mit Genie und Wahnsinn.
14.11.2015 – Ausdauernd: Mandelring Quartett zelebriert stundenlang Mendelssohn
Erstens: Vive la France!
Zweitens: Darf man den Abend nach einer Nacht des Schreckens im Streichquartett-Elysium verbringen? Aber man hört ja auch himmlische Kammermusik und göttliche Symphonik, während syrische Familien von Fassbomben ausgelöscht werden, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und Bomben in Beirut explodieren. Der Name Mendelssohn steht für alles, was die Attentäter von Paris zerstören wollen: Lebensfreude, Wissbegier, Sanftmut, Liebe, Schönheit, Menschlichkeit. So ist es kein hilfloser Akt der Anteilnahme, sondern ganz passend, wenn das Mandelring Quartett das letzte Stück des Abends, von Felix in Trauer um seine gestorbene Schwester Fanny komponiert, den Opfern in Paris widmet.
Es ist der Ausklang des Mendelssohn pur-Wochenendes, das Freitagabend mit den beiden Streichquintetten begann. Als eigentliche Herausforderung für Hörer wie Musiker gibt es am Samstagabend alle sieben Streichquartette von Felix Mendelssohn Bartholdy – ein Streichquartettabend in Lohengrin-Länge ist sogar in Berlin etwas Besonderes. Im Radialsystem V ist man regelmäßig schon bei Konzertbeginn geschlaucht, das lange Anstehen und Hineindrängeln hat easyjet-Flair; der Ort bliebe auch cool, wenn man kulturspießig die Plätze nummerieren würde. (Man muss ja nicht gleich so weit gehen und die Sitze polstern; der Nachbar des Konzertgängers, ein älterer Herr, hat sich ein Sitzkissen mitgebracht, daran erkennt man den Profi.)
Im ersten Teil des Konzerts gibt es die drei frühen Streichquartette Es-Dur ohne Opus, a-Moll op. 13 und Es-Dur op. 12 (1823, 27, 29). Logischerweise wiederholen sich die kompositorischen Mittel und Strukturen, aber man hört Mendelssohn ja nicht, weil er die Formen neu erfunden hätte. Im Gegenteil, in diesen im Alter zwischen 14 und 20 komponierten Werken spürt man den Segen der festen Form, in die ein hochbegabter Geist sich ergießen kann, statt erst einmal jahrelang um Form zu ringen. Faszinierend ist der oft barocke Sound dieser Stücke mit ihren vielen Fugati. Die eingängigen Mittelsätze, liedhaft und funkensprühend, erleichtern natürlich den Start in den Marathon. Der langsame Satz des a-Moll-Quartetts ist erschütternd intensiv für einen doch erst 18jährigen Komponisten. Das ebenso großartige Vogler Quartett hat dieses Stück mit seinem wehmütigen langsamen Rahmen vor einer Woche im Konzerthaus ergreifend gespielt; das Mandelring Quartett geht die Mittelsätze grundsätzlich schneller an, ohne romantische Breite, aber auch frei von klassizistischer Glätte, mit traumhaft singendem Ton zumal der ersten Geige (Sebastian Schmidt). Aber im Grunde ist es ungerecht, einen einzelnen hervorzuheben. Obwohl Andreas Willwohl an der Bratsche (als Leber des Quartetts, wie er sagt) erst im Sommer zu den drei Geschwistern Schmidt dazugestoßen ist, hat das Quartett eine homogene Spielkultur, als wäre es schon ewig in dieser Besetzung unterwegs.
In den brillanten drei Streichquartetten op. 44 D-Dur, e-Moll und Es-Dur könnte die perfekte Sonatenhauptsatzform der Rahmensätze den Hörer in Sicherheit bis Schlaf wiegen, aber das Mandelring Quartett musiziert sie (mit allen Wiederholungen) so feurig, dass daran nicht zu denken ist. Sollte sich an den Hörer der Gedanke an eine Bulette o.ä. heranschleichen, so verscheuchen ihn die himmlischen Arabesken der ersten Geige in Menuett und Andante des D-Dur-Quartetts oder die Coda des e-Moll-Quartetts, in der die Fetzen fliegen – aber sowas von konzis. Machen die Mandelrings gar nicht schlapp? Jedenfalls spielen sie länger präzise als das Ohr des Konzergängers präzise hört. Mag auch dieser und jener Hörer auf dem harten Stuhl herumrutschen, so verrutscht den Musikern kein Strich.
Und der Großteil der Hörer bleibt bis zum Schluss, gebannt bis berauscht. Das Streichquartett f-Moll op. 80 (1847), ein kammermusikalisches Requiem für Fanny, öffnet jeden Geist, der zwischendurch dichtgemacht hat: voll Zittern und Zagen und erschütternder Schreie, die fast die Form sprengen – aber nur fast, denn was dem jungen Komponisten den schöpferischen Absprung ermöglicht, gibt angesichts des Todes Halt: Form. Vom Mandelring Quartett bis kurz vor Mitternacht in nicht nachlassender Präzision zelebriert.
Nächstes Jahr spielen sie alles von Brahms.
Zum Konzert. Zum Mandelring Quartett. Zur Mendelssohn-CD des MQ.
13.11.2015 – Agogisch: Mandelring-Quartett wird Mendelssohn-Quintett
Iron Man auf Hawaii? 144-Stunden-Rave im Berghain? Für Weicheier. Wer wirklich hart ist, geht zur Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Challenge des Mandelring Quartetts. Bevor am Samstag sämtliche Streichquartette erklingen, gibt es am Freitag als Horsd’œuvre zwei Streichquintette: Der ausscheidende Bratscher Roland Glassl und sein Nachfolger Andreas Willwohl spielen gemeinsam mit. Erwartungsvolle Stimmung im Radialsystem, auch zähe Entschlossenheit: Wirklich sechs Streichquartette morgen? fragt ein Mann. Nein, antwortet sein Begleiter, sieben. Ein Junge im Grundschulalter trinkt in der Pause fritz-kola (der Konzertgänger, wiewohl im besten Mannesalter, würde das mit Schlaflosigkeit bis zum Morgengrauen bezahlen).
Mendelssohns spätes 2. Streichquintett B-Dur op.87 (1845), das nach der Pause gespielt wird, erinnert mit seinem unwiderstehlichen Tremolo-Beginn an das Violinkonzert. Jeder einzelne Mandelringianer, denkt man, könnte gut als Solist dieses großen Konzerts brillieren (nun gut, außer dem Cellisten). Dass ein Quartett bzw Quintett mehr ist als die Summe seiner Teile, beweist das vollendete Zusammenspiel, das seinen Höhepunkt im Adagio e lento erreicht: das Gegenteil klassizistischer Glätte, ein aufwühlender Trauergesang, schmerzhaft ausdrucksvoll gespielt mit fahlen Bratschen-Doppelgriff-Einwürfen, dann wieder in weiche Dur-Passagen sich erhebend. Das Finale spielen die fünf so intensiv, dass es alles andere als leichtgewichtig klingt, wie Mendelssohn selbst es empfand.
Vor der Pause gab es das frühe 1. Streichquartett A-Dur op. 18 (1826), das Werk eines 17jährigen, hochbegabt ist kein Ausdruck dafür. Das aufsteigende Thema ist so hübsch, dass man es sich seine zahllosen Wiederholungen gern anhört, zumal wenn sie so tranlos gespielt werden wie hier. Origineller als die Rahmensätze sind die beiden Mittelsätze, das Intermezzo und das rasante Scherzo, ohne Altklugheit fugiert und vom Mandelring Quintett superpräzise und perfekt abgestuft gespielt. Spätestens im 4. Satz bedauert der Konzertgänger, dass seine Kinder nicht dabei sind, er würde ihnen gern zurufen: Höre, Tochter, dies ist ein schöner Strich! Höre, Sohn, dies ist Agogik!
Was klingt schöner als eine Bratsche? fragt der neue Mandelringianer Andreas Willwohl im Pausengespräch und gibt selbst die Antwort: Zwei Bratschen.
Samstagabend also: Sieben Streichquartette.
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