Rappelruhigend

Musik von und mit Konstantia Gourzi im Boulezsaal

Ich im Boulezsaal (Symbolbild)

Aus einer „Vibration der Stille“ entstehe die Musik von Konstantia Gourzi, erklärt der Pianist William Youn. Gemeinsam mit dem Bratschisten Nils Mönkemeyer geben die beiden im Pierre-Boulez-Saal ein leises, konzentriertes und doch abwechslungsreiches Konzert, von dem man – klänge es nicht so kitschig – sagen möchte, dass es dem Hörenden tiefe, doch schillernde Ruhe schenkt.

Fein durchgearbeitet sind die vielen kleinen Teile der größeren Einheiten, die sich dem Wind oder dem Blick aus dem Fenster widmen, den Bienen und Bäumen, der Liebe und dem Meer. Dass sich hinter einer bestimmten Komposition etwa die Erinnerung an Chagall-Bilder versteckt, kann man wissen, muss es aber nicht. Denn die Musik lässt sich unmittelbar erfahren. In Klavierstücken tritt der einzelne Ton spannungsvoll hervor, und zum Ereignis wird es, wenn er mit einem zweiten Ton verschmilzt oder mit Tropfen und Klopfen. Oder das Geschehnis eines Crescendo. wind whispers wäre die Musik, die der Film Nomadland gebraucht hätte, dessen Großartigkeit durch den Einaudi-Soundtrack zu ruinieren drohte (denn mit der Banalität Einaudis hat Gourzis zum Klingen gebrachte Stillevibration nichts zu tun).

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Kombinationssicher: Nils Mönkemeyer und William Youn im Pierre-Boulez-Saal

Die Kombinationen machens, und mehr noch die Kombinationen der Kombinationen. Im Pierre Boulez Saal kombinieren der Bratschist Nils Mönkemeyer und der Pianist William Youn Altes und Neues, Mozart mit Sciarrino, Schubert und Brahms mit Boulanger, Chin, Pintscher. Vor allem aber kombinieren sie die Kombination Viola & Konzertflügel mit der Kombination Viola & Hammerklavier. Lauter Traumkombinationen sind das.

Aber am allerobertraumhaftesten ist die letzte. Mönkemeyers Bratsche und der Hammerflügel vom Bamberger Klavierbauer J.C. Neupert sind genau richtig aufeinander eingetönt. Weiterlesen

12.2.2017 – Nordfeurig: Konzerthausorchester, Schønwandt, Ibramigova, Mönkemeyer spielen Mozart, Sibelius, Niels Gade

Niels Gade? Von dem kennt man doch nur das Nordische Lied. Und das ist von Schumann. Als Gruß an G, in Form des G-A-D-E-Motivs:

Dass Gade (1817-1890), Vater der dänischen Romantik, kaum gespielt wird, versteht man um so weniger, wenn er doch mal gespielt wird. Allein dafür gebührt dem Konzerthausorchester der Goldene Lorbeer – oder das Goldene Smørrebrød. Weiterlesen

3.3.2016 – Stürmisch: Nils Mönkemeyer & Barock Solisten spielen Telemann, Bach & Bach

Schwerelosigkeit ist Schwerstarbeit: Im Andante klingt die Solo-Bratsche so durchsichtig, ja ätherisch, dass Nils Mönkemeyer nach dem Satz erstmal durchatmen und sich den Schweiß von der Stirn wischen muss. Carl Philipp Emanuel Bachs Konzert a-Moll Wq 170 ist als Cellokonzert komponiert, die Modulation zum Bratschenkonzert funktioniert aber bestens. Einen gewissen Verlust an Durchschlagskraft des Instruments gegenüber Streichern und Continuo macht der fremdelnd singende Ton der Viola wett, der auf den Konzertgänger so mysteriös wirkt wie der androgyne Altschlüssel, in dem sie notiert wird. Die gläserne Kadenz im ersten Satz ist der auffälligste von einigen faszinierend bizarren Momenten in diesem Stück, das mit seiner Überfülle an plakativen Kontrasten den typischen CPE-Bach-Sound hat, das Gegenteil von barocker Affekt-Einheit.

Der Bratschist Mönkemeyer, mit Beatlesfrisur und lustig schwingender lila Krawatte, ist der Stargast der Berliner Barock Solisten, der Pop-up-Alte-Musik-Combo mit Philharmonikerglanz, an diesem Abend unter sachkundiger Führung von Gottfried von der Goltz vom Freiburger Barockorchester. Trotz harter Konkurrenz durch Mariss Jansons im Vorderhaus und Joyce di Donato (der Sängerin mit herrlicher Stimme und entsetzlichen Fotos) in der Deutschen Oper ist der Kammermusiksaal nicht gänzlich verwaist. Das Gerüst des Programms bilden Stücke von Georg Philipp Telemann. In dessen Konzert G-Dur TWV 51:G9 brilliert die Bratsche ohne den Verfremdungseffekt des CPE-Bach-Konzerts. Man erfährt, dass Mönkemeyer dieses meistgespielte Bratschenkonzert (ist das so?) schon so oft aufgeführt hat, dass er die Kollegen (vergeblich) um ein anderes Stück gebeten habe; trotzdem hat er die Noten auf dem Ständer, schaut allerdings kaum hinein; von Routine dennoch nichts zu hören. Ohne Solobratsche gibt es noch das elegante Konzert für vier Violinen A-Dur TWV 54:A1 und, am Anfang des Programms, die umwerfende ‚Ouverture des nations anciens et modernes‘ G-Dur TWV 55:G4, in der die alten Deutschen, Schweden und Dänen eingängig bis behäbig tanzen, die jungen dagegen rhythmisch vertrackt bis stampfend – von den Barock Solisten so druckvoll gespielt, dass die Löcher aus dem Käse fliegen. Und am Ende jammern les vieilles femmes. Da stimmt man Telemanns eigenem Urteil zu, dass er Tanzsuiten (noch) besser könne als Concerti.

Den Höhepunkt des Abends bildet aber Wilhelm Friedemann Bach, der Desperado der Familie. Während der Hörer auf CPE Bachs wohlkalkulierte Überraschungen, sein Markenzeichen, stets gefasst ist, wirft einen die Musik des ältesten Bachsohns in ihrer merkwürdigen Zerrissenheit um. Mag sein, dass diesem Genie nicht nur das Marketing-Talent des Bruders, sondern auch der innere Kompass des Vaters gefehlt hat. Die Streichersuite g-Moll galt früher als Werk von Johann Sebastian Bach und wird als BWV 1070 geführt, Wilhelm Friedemann soll ja auch, so wird gemunkelt, aus Geldnot Vaterwerke gefälscht haben. Aber wenn man das Stück hört, hat man keinen Zweifel an der Autorschaft – und zwar nicht aufgrund gewisser Floskeln und Wendungen des Empfindsamen Stils (so das Programmheft), sondern wegen ihrer charakteristischen Verbindung von Zerrissenheit und Wärme.

Pritzelhaft, kleinlich, unfruchtbar nannte Zelter Jahrzehnte später in einem Brief an Goethe Wilhelm Friedemann Bach; schöner als in diesem Tadel kann man ihn nicht loben: Als Komponist hatte er den tic douloureux, original zu sein.

Es gibt einen lesenswerten ZEIT-Artikel von Volker Hagedorn über den Sonderling unter den Bachs.

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