Niels Gade? Von dem kennt man doch nur das Nordische Lied. Und das ist von Schumann. Als Gruß an G, in Form des G-A-D-E-Motivs:
Dass Gade (1817-1890), Vater der dänischen Romantik, kaum gespielt wird, versteht man um so weniger, wenn er doch mal gespielt wird. Allein dafür gebührt dem Konzerthausorchester der Goldene Lorbeer – oder das Goldene Smørrebrød.
Das zweite Goldene Smørrebrød verdient Dirigent Michael Schønwandt für das lodernde Feuer, mit dem er die Musiker durch Niels Gades 1. Sinfonie c-Moll op. 5 (1842) treibt. Bei aller Verve formvollendet: im kongeligblauen Frack, mit angestecktem Dannebrog-Orden, Ritterkreuz 1. Klasse. Er dirigiert unbedingt voranpeitschend, ohne sich in unpassenden mediterranen Finessen zu verzetteln.
Das kann ziemlich laut werden, aber macht viel Freude; sehr ernsthaft und wohlklingend, wie Mendelssohn befand. Der Kopfsatz bewegt sich zwischen wogender Schwermut und tobendem Vorschlag-Springtanz. Danach ein witziges Scherzo mit Überraschungsvollbremsung am Klarinettensignal. Für das ans Herz gehende, liedhafte Andantino grazioso legt Schønwandt den Dirigierstab beiseite; der Satz enthält eins jener Oboensoli (Michaela Kuntz), für die dieses Instrument erschaffen wurde. Zum Schluss ein überschäumend positives, Polterei nicht scheuendes Jubelfinale.
Gewiss, es scheint ab und an Leerlauf zu geben, vor allem im ersten und vierten Satz. Aber auch nicht mehr als bei Schumann. Wir sollten zumindest jede 100. Schumann-Aufführung durch Gade ersetzen, dann können wir den Dänen wieder in die Augen schauen.
Schønwandt stellt Gade nicht Beethoven und Mendelssohn voran, sondern Mozart und Sibelius. Weniger naheliegend, dafür aufschlussreicher: auch Sinfoniker, aber zugleich musikalische Theatraliker.
In Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni-Ouvertüre machen schon die beiden heftigst donnernden Anfangs-Akkorde klar, dass es direttemang in die Hölle geht. In selige Gefilde hingegen führt die wundervolle Sinfonia concertante Es-Dur KV 364 (1779) mit den beiden Solisten Alina Ibragimova (Violine) und Nils Mönkemeyer (Bratsche). Auch hier zündet Schønwandt dramatisches, theatralisches Feuer statt Transparenz über alles zu stellen. Das Andante von geradezu endzeitlicher Schwere; aber gut musiziert und sehr berührend. Und die perfekte Bühne für die beiden dramatis solistae. Mönkemeyer kommuniziert offensiver, Ibragimova wirkt zunächst verhaltener, fast möchte man sagen: kapriziös. Beide haben alle Farben des Glücks, der Schwermut und kommen herrlich zusammen, zumal in den Kadenzen der ersten beiden Sätze.
Gern hätte man diese beiden Musiker in einer Zugabe nochmal miteinander tanzen und springen gehört.
Dafür gibt es noch ein fettes 15-Minuten-Drama in Gestalt von Jean Sibelius‘ Sinfonischer Fantasie „Pohjolas Tochter“ op. 49 (1906): eine heftige, aber (für den Mann) frustrierende Tändelei zwischen dem Barden Väunämöinen und einer himmlischen Schönheit in einer nordischen Sommernacht. Der Barde begehrt mächtig gewaltig, mit tief singendem Solo-Cello (Friedemann Ludwig), acht Kontrabässen, vierfachem Blech, Bassklarinette und Kontrafagott.
Ganz ehrlich, welche Frau könnte solcher Virilität widerstehen?
Leider Pohjolas Tochter, die mit ihrem Spinnrad goldene Fäden zum Himmel spinnt. Die Harfenistin (Alma Klemm), als musikalische Vertreterin der Schönen, spinnt und zirpt so liebreizend dagegen an, dass es einen als Mann ganz wahnsinnig macht. Aber sie bleibt unerbittlich. Und lacht noch dazu.
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