Gräflich: Bezuidenhout spielt Mozart, Haydn, Beethoven

Wahrscheinlich wäre dem Beethoven des Jahres 1797 dieser Conrad-Graf-Flügel von 1822, auf dem Kristian Bezuidenhout anno 2018 im Pierre-Boulez-Saal seine Musik spielt, wie das erträumte Ding von einem andern Stern vorgekommen.

Genau genommen ist es ein moderner Nachbau von 1989, revidiert 2002. Achtzig Tasten, dreichörig besaitet, vier Pedale. Ding von einem andern Stern aber keineswegs, weil es Grund gäbe, an der historisch korrekten Originalkopierkunst der Herren Klavierzimmerer Rodney Regier, Edwin Beunk und Johan Wennink zu zweifeln. Sondern weil sich in den Jahren um 1800 die Klavierbaukunst derart rasant entwickelte, dass die Entwicklung von Beethovens Klaviermusik mit der Suche nach dem idealen Klavier einherging, wie Jan Caeyers in seiner Beethoven-Biografie beschreibt: Man könne sich

nicht des Eindrucks erwehren, dass er eigentlich Musik komponieren wollte, die alle damaligen Klaviere überforderte. Was ihm vorschwebte, war im Grunde eine Quadratur des Kreises: Ein Klavierklang, der einerseits gesanglich und tragfähig bis laut war und andererseits artikuliert, modulierbar und zart. Sein Leben lang hat er nach dieser unmöglichen Kombination gesucht. Er hat die unterschiedlichsten Typen von Instrumenten ausprobiert und die Klavierbauer immer wieder gedrängt, sich neue Lösungen auszudenken, die seinen Vorstellungen entsprachen. So kam es zu einer sehr interessanten Wechselwirkung: Die schnelle Entwicklung des Instruments während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hat Beethovens Klaviermusik stark beeinflusst, umgekehrt hatten seine musikalischen und pianistischen Vorstellungen aber auch  Einfluss auf die Evolution des Instruments.

Der tausendsassige Conrad-Graf-Flügel, den der taube Beethoven am Ende seines Lebens erhielt, war also in weiter Ferne ganz nah, als der junge Beethoven 1797 die beiden Rondos C-Dur und G-Dur opus 51 schrieb. Mit denen eröffnet Bezuidenhout sein Konzert. Das zweite wirkt interessanter als das schlicht gesangliche erste nicht nur wegen größerer kompositorischer Fantasie, sondern weil es sich weiter an die Ränder der Tastatur wagt: hochschnellt aus markanter Tiefe, in der Höhe zitherartig trillert. Schon hier zeigen sich die zauberhaften Registerwechsel, die erst recht durch den Einsatz der Pedale eintreten. Da erscheinen die brillant glättenden modernen Konzertflügel wirklich als ein trauriges Verlustgeschäft.

Ganz ins Transzendente katapultieren diese Registerwechsel die Klaviermusik bei Schubert. Hört man dessen Sonaten erstmals auf einem historischen Hammerflügel, gehen einem tausend Lichter auf. Insofern ist es schade, dass Bezuidenhout Schuberts angekündigte Es-Dur-Sonate D 568 kurzerhand durch Wolfgang Amadeus Mozarts Sonate Nr. 14 c-Moll KV 457 ersetzt. Abgesehen davon, dass solche spontanen Wechsel immer doof sind für die noch nicht ausgestorbene Spezies Zuhörer, die sich auf Konzertprogramme akribisch vorbereitet.

Erhellend ist allerdings die Gegenüberstellung dieser stürmenden und drängenden Mozartsonate mit Beethovens 8. Sonate c-Moll opus 13. KV 457 ist also Mozarts Pathétique, denkt man. Und wiederum der Eindruck: Klängen diese aufregenden Bassschläge wie unter Strom im Kopfsatz oder das plötzliche Verschwinden des Gesangs in Nebeltiefen im Adagio auf einem modernen Flügel nicht sterbenslangweilig?

Bezuidenhouts mitreißender Mozart auf dem historischen Klimperkasten ist der eindrucksvolle Beweis, dass Spezialisierung nicht Entfremdung bedeutet. Bei den genau abgezirkelten Eruptionen im Kopfsatz von Beethovens Pathétique fragt der Konzertgänger sich hingegen, wie viel von diesem Eindruck an der sehr berechneten Leidenschafts-Rhetorik des jungen Beethoven liegt und wie viel daran, dass Bezuidenhout auch bei Beethoven Mozartspezialist zu bleiben scheint. Man wünscht sich, er möge mal über die Grenze des guten Geschmacks hinweg knallen oder zerdehnen. So unsauber-dämonisch spielen, wie Beethoven für die Mozart-Schule geklungen haben soll.

Pathétique-Dilemma anno 2018: Wer diese allgegenwärtige Musik mit höchster Inbrunst spielt, macht sich lächerlich, aber ohne höchste Inbrunst ist es auch nix Rechtes.

Bezuidenhouts pianistisches Niveau steht dabei außer Frage. Und das Adagio cantabile klingt betörend. Keine Ahnung, welches der vier Pedale da getreten wird, dass es derart entrückt – und zugleich so hervortritt, dass man mittendrin zu sitzen meint im Klang aus schwingendem Holz und Silbersaiten. Selten wirkt das so intim.

Den Hochadel der später so genannten, aber schon damals (und unter tätiger Mühe Beethovens) inthronisierten Wiener Klassik komplettiert Joseph Haydn. Dessen Andante mit Variationen f-Moll Hob. XVII/6 von 1793 klingt irdischer und physischer als gewohnt. Wer sich im Lauf seines Lebens in dieses einzigartige Stück schon allerlei reingefühlt oder reinphilosophiert oder reingesehnt hat, der muss sich erstmal von ein paar Hörgewohnheiten verabschieden. Zumal angeohrs von Bezuidenhouts, stilistisch sicher angemessener, recht nüchterner Spielweise. Und dann ist da dieser kuriose außermusikalische Faktor, dass Bezuidenhout noch die himmlischste Musik aus so einem selbstgefertigten Heft mit Ringbindung spielt. Wenn er dann auch  noch, durchaus sympathisch, eigenhändig umblättert und dabei musikalisch sonst nicht begründete Umblätter-Ritardandi macht, ist nicht nur das mithörende Auge betroffen.

Die fünf Sekunden bösen Ruhms, die ein Ungeist sich auf dem Höhepunkt des Andante durch ziselierend zelebriertes Hustenbonbonauspacken verschafft, seien nicht gegönnt und niemals verziehen. Aber dafür kann der Pianist nun wirklich nichts.

Gewichtige Zugabe: das Largo con gran espressione aus Beethovens 4. Sonate Es-Dur opus 7.

Dolle Pianisten von ganz anderem Temperament ad portas Boulezsaali: Sonntagmorgen Bronfman, Mittwoch Anderszewski.

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