Exzessgenau: Nikolai Lugansky beim Klavierfestival

Das Berliner Klavierfestival im Konzerthaus, Pflicht- und mehr noch Lusttermin für hiesige Pianophile, ist in der Mitte angekommen. Nach einem laut Isabel Herzfeld sehr gelungenen Schubert-Auftakt mit Shai Wosner und einem Konzert mit Marc-André Hamelin ist nun der überall, nur nicht in Deutschland, weltberühmte Nikolai Lugansky dran. Sein Spiel ist gleichermaßen hochvirtuos wie (für manchen Geschmack: zu) aufgeräumt.

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Rargärtnernd: Michel Dalberto spielt Franck, Fauré, Debussy, Ravel

Schaut man sich die Liste der Klavierrezitals im Kammermusiksaal an, könnte man meinen, es gäbe weltweit nur circa zehn hörenswerte Pianisten. Umso begrüßenswerter sind Einrichtungen wie der Weddinger Pianosalon Christophori oder Barnaby Weilers (in diesem Jahr leider ausgefallenes) Berliner Klavierfestival. Ein weiterer Versuch, blühende oder gar wuchernde Oasen im Berliner pianistischen Ödland zu schaffen, sind seit einiger Zeit die C. Bechstein Klavierabende im Kleinen Saal des Konzerthauses. Im ersten Konzert der neuen Saison gärtnert der renommierte, hierzulande aber bizarr unbekannte Pariser Pianist Michel Dalberto à la française: neben Pianolympischem von Debussy und Ravel gibts rare Pflanzen von Fauré und Franck.
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19.2.2016 – Non, je ne regrette Wagnerien: Frankreich-Festival im Konzerthaus mit Marc Minkowski

Jede Menge Frankreich im Berliner Musikleben: Vor kurzem hat François-Xavier Roth die Berliner Philharmoniker franzisiert, das Rundfunk-Sinfonieorchester beglückte uns mit „Dutissy und Debulleux“, die Komische Oper präsentierte ein Jacques-Offenbach-Festival. Und jetzt veranstaltet das Konzerthaus ein zehntägiges Festival Frankreich. Im ganzen Haus herrscht ein nicht gänzlich ungezwungenes flair français (Personal trägt Baskenmützen, bicyclette mit Rotwein und Akkordeon usw.), aber alles recht sympathisch, la France berlinoise changiert halt zwischen Bulette und Boulez. (Nur dass man nach dem Konzert, das Erlösungsmotiv aus der Götterdämmerung im Ohr, mit Chansons beschallt wird, ist bei aller Bewunderung für Edith Piaf ein Fauxpas.)

Der Intendant Sebastian Nordmann begrüßt mit „Schon die Hugenotten haben…“ und radebrecht tapfer im Welschen. Der französische Botschafter Philippe Etienne eröffnet (ohne sich im Teutschen zu versuchen) das Festival. Sogar Kultursenator Tim Renner hat sich in ein klassisches Konzert verirrt. Und Nike Wagner, der einzig vorzeigbare Spross des wilden Geschlechts, hält einen Festvortrag, der aus der Klischeezone hinausführt zu einem kurzen Abriss von der frankoflämischen musikalischen Harmonie über die barocke Scheidung der nationalen Geschmäcker bis zum nationalideologisch versalzenen musikalischen Rosenkrieg des 19. Jahrhunderts.

Und dann enfin la musique!

Der kuriose Antagonismus zwischen Siegfrieds Rheinfahrt von Wagner und Jacques Offenbachs Rheinnixen-Ouvertüre wurde leider kurzfristig gestrichen, vielleicht weil der konstruierte Wagnerbezug der Renaissance von Les fées du Rhin eher im Weg steht. Trotzdem würde eine solche Rarität den Festival-Auftakt zieren. So muss allein César Francks nicht ständig, aber doch regelmäßig gespielte d-Moll-Symphonie Wagner Paroli bieten. Unübertrefflich spannungsgeladen gelingt dem Konzerthaus-Orchester unter Marc Minkowski der götterdämmerungsgleich mysteriöse Beginn. Im unermüdlichen Aufwärtsmäandern des ersten Satzes hört man heute Abend das Tristansehnen, aber bei Franck führt der Weg nicht in den Liebestod, sondern nach wenigen Minuten zu dem famosen Gassenhauerthema, das zu hören mindestens sieben Tage lang glücklich macht. Hier klingt es allerdings recht knallig, wie überhaupt einige klangliche Härten stärker hervortreten als in der ausgewogenen Interpretation des Rundfunk-Sinfonieorchesters vor Weihnachten.

Richard Wagner wirkt mit den vier Harfen im Götterdämmerungs-Finale „Starke Scheite“ plus décadent als der seriöse, durchaus klassizistische Franck. Auszüge sind für den musikdramatisch erprobten Wagnerfreund immer etwas unbefriedigend, sie bieten keinen Raum für Weltumarmungs- oder Untergangserfahrungen. Aber wenn sich natürlich nicht der Sog einer Ring-Aufführung entfaltet, hört man mit klarerem Kopf und frischeren Ohren. Trotz oder gerade wegen ihres eindrucksvollen, sehr ausgewogenen Soprans (und weil ihr eben noch keine fünf Stunden Musikdrama in den Stimmbändern stecken) steht die Schwedin Ingela Brimberg eher für Wagnerbelcanto als textverständlichen, doch konsonantenspuckenden Sprechgesang. Die Senta-Ballade aus dem Fliegenden Holländer singt sie kraftvoll und, obwohl ursprünglich Mezzosopran,  scheinbar mühelos in der um einen Ton höher liegenden Originalversion, die Wilhelmine Schröder-Devrient von Wagner absenken ließ.

Höchsten orchestralen Glanz lässt das Konzerthaus-Orchester dazwischen in der Tannhäuser-Ouvertüre erstrahlen, und zwar in der Pariser Version, die Baudelaire & Compagnie zu Wagneriens à la française machte. Betörend schön gelingt der Übergang zwischen ersterbendem Pilgerthema und Eintritt ins Reich der Venus. Das ellenlange Bacchanal ist die reine Freude, wenn es so klingt wie hier: durchaus schmissig angegangen, aber mit zauberhaftestem Sirren und Flirren! Tannhäusers schmetterndes Preislied erinnert plötzlich an Francks geschmeidigen Gassenhauer. Formidabler Wagner, nix vagues nerfs, sondern elegance und clarté. Wer in diesem Venusberg nicht für immer bleiben will, muss wirklich eine teutonische Macke haben.

Am Samstag gibt es das Konzert noch einmal, dann ohne Reden. Das Festival Frankreich läuft bis zum 28. Februar, mit einer Spannbreite von Rameau bis Ibrahim Maalouf.

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23.12.2015 – Verwickelt: RSB, Janowski und Hamelin spielen Franck und Brahms

Mag Brahms auch logischer mäandern als Franck, so gibt es doch eine Art von verwickelter musikalischer Verwandtschaft: weniger der dichte Orchestersatz als eine gewisse bürgerlich-melancholische Zackigkeit. Eine schöne Kombination also, wenn das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Marek Janowski am Tag vor Heiligabend eine französische 3sätzige Sinfonie und ein deutsches 4sätziges Klavierkonzert spielt: kulinarisch, aber nie fetttriefend.

César Franck erklärte, seine Sinfonie d-Moll (1886-88) stehe gleichzeitig in f-Moll, und so klingt sie auch: wundervoll durch die Harmonien mäandernd, eher Ver- als Entwicklung. Nie fürchtet der Konzertgänger bei dieser hörbar geistreichen Musik, er könne vom Komponisten dabei ertappt werden, dass er den Faden verloren hat. Der Ohrwurm, der im ersten Satz wie ganz von selbst, ohne Zwang, aus dem Fluss der Musik aufsteigt, zaubert jedem Hörer ein Lächeln ins Antlitz. Und da bleibt es: vom Dur-Schluss, der im ersten Satz den überraschend wiederkehrenden dramatischen Gestus freundlich, doch entschieden abbricht, über das Lento mit integriertem Scherzo bis zum beschwingten Finale, in  dem sich alle Themen der Sinfonie wiedereinfinden – nicht im Sinne einer harschen Conclusio, sondern als fröhliches Stelldichein. Janowski dirigiert auswendig, am Ende meint man gar, ihm einen franckschen Backenbart wachsen zu sehen; das RSB ist, wie eigentlich stets, glänzend disponiert.

Marc-André Hamelin könnte zwar gleichzeitig Ravels Gaspard de la Nuit mit der Linken und Balakirews Islamey mit der Rechten spielen, er gilt bekanntlich als einer der größten Klaviervirtuosen der Gegenwart. Obwohl Klaviervirtuosen im 21. Jahrhundert nicht mehr dieselbe Popularität genießen bzw erleiden wie im 19. Jahrhundert, wie dieses Foto aus dem Twitter-Account des Maestros beweist:

https://pbs.twimg.com/media/CWBuqCEWwAAVAD6.jpg

Aber ein Virtuose ist Hamelin nur in technischer Hinsicht, nicht im Sinn von Oberflächlichkeit: Johannes Brahms‘ 2. Klavierkonzert B-Dur op.83 (1881) schüttelt er zwar aus dem Ärmel, aber ohne es auf die leichte Schulter zu nehmen. Mit wuchtiger Brahmspranke lässt er den Hörern in Block A die Haare wehen. Das RSB unter Janowski geht voll mit: Nichts für Brahmsgenderer und Originalklangversteher, dafür hat man das Gefühl, Brahms und Bülow persönlich zuzuhören. Und die weibliche Note bringt dann ja überströmend das Cello (gespielt von der brillanten Konstanze von Gutzeit, heute in ungewohnt flachen Schuhen) im dritten Satz, um dessentwillen auch der oberflächliche Konzertgänger dieses Werk immer wieder hören will. Klavier und Cello verwickeln sich in perfekte Symbiose, um nicht zu sagen vollkommenen Seelenverkehr. Das Finale spielt Hamelin dann mit geradezu haydnscher Klarheit.

Als müsse er seine Fähigkeit zum Zartgefühl noch beweisen, gibt er als Zugabe ein wunderbar anmutiges As-Dur-Impromptu von Schubert, den A-Teil spielt er bei der Wiederkehr etwas langsamer als beim ersten Mal, zum Dahinschmelzen.

Sollte irgendein Tauber noch Zweifel an der Virtuosität dieses Pianisten haben, verpuffen sie bei Claude Debussys Feux d’artifice, mit denen Hamelin bereits Silvester vorwegnimmt. Und keine Frage, Debussys Feuerwerk klingt verdammt viel besser als Silvester in Berlin.

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