Mag Brahms auch logischer mäandern als Franck, so gibt es doch eine Art von verwickelter musikalischer Verwandtschaft: weniger der dichte Orchestersatz als eine gewisse bürgerlich-melancholische Zackigkeit. Eine schöne Kombination also, wenn das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Marek Janowski am Tag vor Heiligabend eine französische 3sätzige Sinfonie und ein deutsches 4sätziges Klavierkonzert spielt: kulinarisch, aber nie fetttriefend.
César Franck erklärte, seine Sinfonie d-Moll (1886-88) stehe gleichzeitig in f-Moll, und so klingt sie auch: wundervoll durch die Harmonien mäandernd, eher Ver- als Entwicklung. Nie fürchtet der Konzertgänger bei dieser hörbar geistreichen Musik, er könne vom Komponisten dabei ertappt werden, dass er den Faden verloren hat. Der Ohrwurm, der im ersten Satz wie ganz von selbst, ohne Zwang, aus dem Fluss der Musik aufsteigt, zaubert jedem Hörer ein Lächeln ins Antlitz. Und da bleibt es: vom Dur-Schluss, der im ersten Satz den überraschend wiederkehrenden dramatischen Gestus freundlich, doch entschieden abbricht, über das Lento mit integriertem Scherzo bis zum beschwingten Finale, in dem sich alle Themen der Sinfonie wiedereinfinden – nicht im Sinne einer harschen Conclusio, sondern als fröhliches Stelldichein. Janowski dirigiert auswendig, am Ende meint man gar, ihm einen franckschen Backenbart wachsen zu sehen; das RSB ist, wie eigentlich stets, glänzend disponiert.
Marc-André Hamelin könnte zwar gleichzeitig Ravels Gaspard de la Nuit mit der Linken und Balakirews Islamey mit der Rechten spielen, er gilt bekanntlich als einer der größten Klaviervirtuosen der Gegenwart. Obwohl Klaviervirtuosen im 21. Jahrhundert nicht mehr dieselbe Popularität genießen bzw erleiden wie im 19. Jahrhundert, wie dieses Foto aus dem Twitter-Account des Maestros beweist:
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Aber ein Virtuose ist Hamelin nur in technischer Hinsicht, nicht im Sinn von Oberflächlichkeit: Johannes Brahms‘ 2. Klavierkonzert B-Dur op.83 (1881) schüttelt er zwar aus dem Ärmel, aber ohne es auf die leichte Schulter zu nehmen. Mit wuchtiger Brahmspranke lässt er den Hörern in Block A die Haare wehen. Das RSB unter Janowski geht voll mit: Nichts für Brahmsgenderer und Originalklangversteher, dafür hat man das Gefühl, Brahms und Bülow persönlich zuzuhören. Und die weibliche Note bringt dann ja überströmend das Cello (gespielt von der brillanten Konstanze von Gutzeit, heute in ungewohnt flachen Schuhen) im dritten Satz, um dessentwillen auch der oberflächliche Konzertgänger dieses Werk immer wieder hören will. Klavier und Cello verwickeln sich in perfekte Symbiose, um nicht zu sagen vollkommenen Seelenverkehr. Das Finale spielt Hamelin dann mit geradezu haydnscher Klarheit.
Als müsse er seine Fähigkeit zum Zartgefühl noch beweisen, gibt er als Zugabe ein wunderbar anmutiges As-Dur-Impromptu von Schubert, den A-Teil spielt er bei der Wiederkehr etwas langsamer als beim ersten Mal, zum Dahinschmelzen.
Sollte irgendein Tauber noch Zweifel an der Virtuosität dieses Pianisten haben, verpuffen sie bei Claude Debussys Feux d’artifice, mit denen Hamelin bereits Silvester vorwegnimmt. Und keine Frage, Debussys Feuerwerk klingt verdammt viel besser als Silvester in Berlin.
Also, ich hatte mit dem dritten Satz immer Schwierigkeiten, dauert so lange bis zum Klaviereinsatz.