Jede Menge Frankreich im Berliner Musikleben: Vor kurzem hat François-Xavier Roth die Berliner Philharmoniker franzisiert, das Rundfunk-Sinfonieorchester beglückte uns mit „Dutissy und Debulleux“, die Komische Oper präsentierte ein Jacques-Offenbach-Festival. Und jetzt veranstaltet das Konzerthaus ein zehntägiges Festival Frankreich. Im ganzen Haus herrscht ein nicht gänzlich ungezwungenes flair français (Personal trägt Baskenmützen, bicyclette mit Rotwein und Akkordeon usw.), aber alles recht sympathisch, la France berlinoise changiert halt zwischen Bulette und Boulez. (Nur dass man nach dem Konzert, das Erlösungsmotiv aus der Götterdämmerung im Ohr, mit Chansons beschallt wird, ist bei aller Bewunderung für Edith Piaf ein Fauxpas.)
Der Intendant Sebastian Nordmann begrüßt mit „Schon die Hugenotten haben…“ und radebrecht tapfer im Welschen. Der französische Botschafter Philippe Etienne eröffnet (ohne sich im Teutschen zu versuchen) das Festival. Sogar Kultursenator Tim Renner hat sich in ein klassisches Konzert verirrt. Und Nike Wagner, der einzig vorzeigbare Spross des wilden Geschlechts, hält einen Festvortrag, der aus der Klischeezone hinausführt zu einem kurzen Abriss von der frankoflämischen musikalischen Harmonie über die barocke Scheidung der nationalen Geschmäcker bis zum nationalideologisch versalzenen musikalischen Rosenkrieg des 19. Jahrhunderts.
Und dann enfin la musique!
Der kuriose Antagonismus zwischen Siegfrieds Rheinfahrt von Wagner und Jacques Offenbachs Rheinnixen-Ouvertüre wurde leider kurzfristig gestrichen, vielleicht weil der konstruierte Wagnerbezug der Renaissance von Les fées du Rhin eher im Weg steht. Trotzdem würde eine solche Rarität den Festival-Auftakt zieren. So muss allein César Francks nicht ständig, aber doch regelmäßig gespielte d-Moll-Symphonie Wagner Paroli bieten. Unübertrefflich spannungsgeladen gelingt dem Konzerthaus-Orchester unter Marc Minkowski der götterdämmerungsgleich mysteriöse Beginn. Im unermüdlichen Aufwärtsmäandern des ersten Satzes hört man heute Abend das Tristansehnen, aber bei Franck führt der Weg nicht in den Liebestod, sondern nach wenigen Minuten zu dem famosen Gassenhauerthema, das zu hören mindestens sieben Tage lang glücklich macht. Hier klingt es allerdings recht knallig, wie überhaupt einige klangliche Härten stärker hervortreten als in der ausgewogenen Interpretation des Rundfunk-Sinfonieorchesters vor Weihnachten.
Richard Wagner wirkt mit den vier Harfen im Götterdämmerungs-Finale „Starke Scheite“ plus décadent als der seriöse, durchaus klassizistische Franck. Auszüge sind für den musikdramatisch erprobten Wagnerfreund immer etwas unbefriedigend, sie bieten keinen Raum für Weltumarmungs- oder Untergangserfahrungen. Aber wenn sich natürlich nicht der Sog einer Ring-Aufführung entfaltet, hört man mit klarerem Kopf und frischeren Ohren. Trotz oder gerade wegen ihres eindrucksvollen, sehr ausgewogenen Soprans (und weil ihr eben noch keine fünf Stunden Musikdrama in den Stimmbändern stecken) steht die Schwedin Ingela Brimberg eher für Wagnerbelcanto als textverständlichen, doch konsonantenspuckenden Sprechgesang. Die Senta-Ballade aus dem Fliegenden Holländer singt sie kraftvoll und, obwohl ursprünglich Mezzosopran, scheinbar mühelos in der um einen Ton höher liegenden Originalversion, die Wilhelmine Schröder-Devrient von Wagner absenken ließ.
Höchsten orchestralen Glanz lässt das Konzerthaus-Orchester dazwischen in der Tannhäuser-Ouvertüre erstrahlen, und zwar in der Pariser Version, die Baudelaire & Compagnie zu Wagneriens à la française machte. Betörend schön gelingt der Übergang zwischen ersterbendem Pilgerthema und Eintritt ins Reich der Venus. Das ellenlange Bacchanal ist die reine Freude, wenn es so klingt wie hier: durchaus schmissig angegangen, aber mit zauberhaftestem Sirren und Flirren! Tannhäusers schmetterndes Preislied erinnert plötzlich an Francks geschmeidigen Gassenhauer. Formidabler Wagner, nix vagues nerfs, sondern elegance und clarté. Wer in diesem Venusberg nicht für immer bleiben will, muss wirklich eine teutonische Macke haben.
Am Samstag gibt es das Konzert noch einmal, dann ohne Reden. Das Festival Frankreich läuft bis zum 28. Februar, mit einer Spannbreite von Rameau bis Ibrahim Maalouf.
„ein nicht gänzlich ungezwungenes flair français“ Gut.
Ich hätte mich auch über das Rauskicken der Rheinnixen beschwert. Abgesehen vom kaum zu übertreffenden Repertoirewert wäre auch das spannungsvolle Verhältnis DE-FR (Biographie Offenbachs, der Rhein im 19. Jahrhundert) produktiv fürs Programm geworden. Starke Scheite kann man ja schon fast als abgenudelt bezeichnen.
Hamelin und RSB kurz vor Weihnachten habe ich verpasst. Ich glaube ich war in der Oper. Hamelin ist eher nicht so mein Typ, habe ihn allerdings lediglich vor langer Zeit ein oder zwei Mal live gehört.
Ja, Offenbach hätte dem Programm das gewisse Etwas verliehen.
Hamelin gefällt mir mit Haydn und anderen „leichten“ Sachen sowie ganz schweren à la Gaspard sowie wohldosierter rein virtuoser Musik. Bei Beethoven, Brahms usw spürt man es als Problem, dass ihm alles technisch so furchtbar leicht fällt. Aber das Brahmskonzert war schön, sehr festlich.
Hab ihn zweimal mit Soloabenden erlebt, die ich sehr kurzweilig fand, einmal im KMS, dann letztes Jahr beim Klavierfestival, leider auf einem Yamahaflügel.