Eine pünktlich um 21 Uhr piepsende Armbanduhr erinnert uns im Lobpreis der Ewigkeit Jesu (Louange à l’Éternité de Jésus) an das, was wir fast vergessen haben: dass wir uns physisch noch im Diesseits der Zeit befinden. Es ist nur ein Konzert. Aber was für eins: das Quatuor pour la fin du temps von Olivier Messiaen in Luxusbesetzung mit Jörg und Carolin Widmann, Alban Gerhardt und Momo Kodama.
Das Festival Frankreich, das am Freitag im Konzerthaus eröffnet wurde und bis zum 28. Februar dauert, wagt am Sonntag einen besonderen Spagat: nachmittags bunter Kindertag mit Carnaval des animaux, abends Messiaens gläserne Endzeitklänge, uraufgeführt 1941 im Kriegsgefangenenlager bei Görlitz – mehr zur Entstehungsgeschichte hier. (Am nächsten Wochenende bietet sich zum Abschluss des Festivals die Chance, Kind und Messiaen zusammenzubringen: Obwohl keine Familienveranstaltung, sondern ein normales Symphoniekonzert, ist Messiaens großes Turangalîla-Spektakel garantiert (schul)kindertaugliche Symphonik.)
Dem Quatuor eilt ein Ruf wie der siebte Posaunenhall voraus, dabei ist es unmittelbar zugängliche Musik, im 5. und 8. Satz sogar an der Grenze zum Kitsch. Die Zuhörer (unter ihnen Piotr Anderszewski, der am Montagabend ein Klavierrezital im Kammermusiksaal geben wird, natürlich nicht ohne den Konzertgänger) würden den Kleinen Saal des Konzerthauses berstend füllen. Das Konzert findet aber im Großen Saal statt – und doch sitzt man dichtgedrängt: Die Musiker spielen um 180 Grad gedreht, in Richtung Orgel, das Publikum sitzt nur auf und über dem Podium. Von dort schaut es hörend in den leeren Saal – und es stellt sich beim Anblick dieses Abgrunds der Möbel das Gefühl ein, ins Ende der Zeit zu blicken. Zum leeren Raum wird hier das Ende der Zeit. Eine faszinierende Idee, für die man die harte Holzbank vor der Orgel gern in Kauf nimmt.
Auch akustisch funktioniert die Inversion des Saals: Wenn man Jörg Widmanns solistischer Klarinette im 3. Satz Abîme des oiseaux (Abgrund der Vögel) zuhört, fragt man sich, ob man in diesem heiklen Saal schon je so kristallklare Klänge vernommen hat.
Über Widmanns Qualität als Klarinettist braucht man ohnehin kein Wort zu verlieren. Momo Kodama zaubert gläserne Klänge aus dem Steinway, die einen mitunter zweifeln lassen, ob da wirklich ein irdisches Instrument zu vernehmen ist. Alban Gerhardt spielt das Cello im 5. Satz Louange à l`Éternité de Jésus mit jenem ätherischen Ton, spröde und sanglich zugleich, den Carolin Widmanns Geige im 8. und letzten Satz Louange à l’Immortalité de Jésus aufnimmt und zur Vollendung führt: in immer höhere Regionen begibt sich ihr Ton, bis er durchsichtig wird und sich in Luft auflöst, Luft aus einer anderen Welt. Und wenn die vier Musiker sich in der eröffnenden Liturgie de Cristal und im 7. Satz Fouillis d’arcs-en-ciel (Wirbel der Regenbögen) vereinigen, katapultiert uns allein ihr perfektes Zusammenspiel ins Jenseits der Zeit.
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