Herabsphärend

Benedikt Kristjánsson und Margret Köll im Pierre-Boulez-Saal

Gegen die Barockharfe, die in diesem Konzert gleich in mehreren Formen zu erleben ist, wirkt das moderne Konzertgoldflügelgetüm wie ein monströser SUV im Vergleich zu einem wendig-schnittigen Fahrrad. Über mehr als 4000 Jahre leitet Michael Horst in seiner Einleitung die Bedeutung des Instruments und der dazugehörigen Stimme her, bis zu den Pyramiden und natürlich zum Orpheus-Mythos. Vor einigen Wochen hat die Komische Oper einen lohnenden neuen Orfeo vorgestellt: den geradezu simplen von Gluck. Die Lieder von Emilio de‘ Cavalieri und Giulio Caccini, mit denen der Tenor Benedikt Kristjánsson und die Barockharfenistin Margret Köll ihr Programm im Boulezsaal beginnen, erinnern allerdings eher an eine andere, frühere Orphik, nämlich die von Maestro Monteverdi.

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Schmutzglänzend

Premiere von Glucks „Orfeo ed Euridice“ an der Komischen Oper

Vom ganzen Schmutz zugleich und Glanz meiner Seele schrieb Kleist in einem Brief (woraus doitsche Philologen früher Schmerz machten, weil in doitscher Klassikerseele bekanntlich Schmerz sein darf, aber kein Schmutz). Den ganzen Schmutz und Glanz der orphischen Seele und der orphisch-euridicischen Liebe kehrt die neue Inszenierung von Christoph Willibald Glucks Orfeo ed Euridice an der Komischen Oper hervor, eine würdige Nachfolgerin der legendären k+k-Fassung (Kupfer + Kowalski) an diesem Haus. Aus schwarzen Müllhülltüten werden sich hier unter dem herz- und schmutzerweichenden placatevi con me des sängerischen Zentralgestirns Carlo Vistoli hospitalisierte Glanzseelen herausschälen, zupfen, reißen.

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Hölltorig: „L’Orfeo“ an der Staatsoper

Aus der Noth eine Jugend machen, wie es beim Baröckdichter Andreas Grüffelius heißt! Während das Kammeroperfest der Staatsoper (trotz interessantem Programm) immer was unverhohlt Nothnageliges hatte, lässt man sich heuer bei der Vertretung der durch China tourenden Staatskapelle nicht lumpen: Fast drei Wochen lang sind Barocktage an der Staatsoper Unter den Linden. Les Musiciens de Louvre kommen und die Akademie für Alte Musik, Simon Rattle, Jordi Savall und Alexandre Tharaud, Christophe Rousset und Dorothee Oberlinger und viele mehr. Zum Start aber wird der Lindenopa erstmal altmusikalisch verjüngt zur Freiburger Barockoper, denn das Consort des gleichnamigen Orchesters spielt bei der choreografierten Oper L’Orfeo des bekannten Künstlerpaars Sasha Waltz/Claudio Monteverdi. Weiterlesen

12.1.2016 – Dem Musikhades entführt: Freiburger BarockConsort umsingt Orpheus

Orpheus in der Winterwelt: Während die kalte Jahreszeit in Berlin ihre tausend Fratzen zeigt, von gruseligem Weihnachtsföhn über Schneemassen, die nach einem einzigen Rodelnachmittag zu Matsch werden, bis zu giftigem Kryptonit-Regen, holt das Freiburger BarockConsort tausend vergessene Stücke aus dem Hades der Musikgeschichte. Der ist zwar wahrscheinlich ein aufregender Ort, erst recht seitdem Lemmy Kilmister, Pierre Boulez und David Bowie sich dorthin begeben haben. Aber wir Diesseitigen dürfen uns über das Programm Al modo d’Orfeo freuen, das das kleine Ensemble aus den Reihen des Freiburger Barockorchesters im Kammermusiksaal der Philharmonie präsentiert: Orpheuskompositionen jenseits von Monteverdi und Gluck. Obwohl es sich um echte Raritäten und Ausgrabungen handelt, findet kein musikhistorisches Seminar statt, sondern ein staubfreies Konzert, das, in den Worten von Johann Joseph Fux, auch Zuhörern, die keine Musik verstehen – und deren ist ja der größte Teil -, eine Befriedigung verschafft.

Drei Orpheus-Kantaten stehen drei Instrumentalkompositionen gegenüber, in denen Holz sich orphisch belebt: Das a-Moll-Concerto für Blockflöte, Streicher und Basso-Continuo-Gruppe von Domenico Natale Sarro (1679-1744) ist beschwingte, wenn auch nicht allzu memorable Musik. Konzertanter als dieses Konzert ist die d-Moll-Sonate von Francesco Mancini (1672-1737), Sarros Amtsvorgänger als Königlicher Kapellmeister in Neapel: mit klaren Kontrasten, wesentlich grooviger, mit orphischem Largo und viel Gelegenheit für die Flötistin Isabel Lehmann, ihre Virtuosität zu beweisen. Gravitätisch bis steif, jedoch äußerst kraftvoll ist die F-Dur-Suite des oben zitierten Österreichers Fux (1660-1744), in deren wunderbarer Aire die Bratsche (Werner Saller) zum Orpheus wird. Durch die folgenden Tanzsätze, vom Menuet bis zur Guique (sic), führt die Geigerin Petra Müllejans als prima inter pares.

Unendlich viele Orpheuskompositionen scheint es in der Musikgeschichte zu geben, von der ersten erhaltenen Oper überhaupt (Jacopo Peri) bis zu Nick Caves The Lyre of Orpheus (2004). Aber zweifellos hatte das Thema in Renaissance und Barock Hochkonjunktur, wie längst nicht nur Monteverdis Orfeo zeigt, den die Freiburger im Sommer in der Staatsoper aufführten. Es war so beliebt, dass es neben den großen Opern jede Menge Home Operas gab, Kammeropern und Salonkantaten – wenn auch mitunter für kaiserliche Gemächer: Seine Kammeroper Orfeo ed Euridice komponierte der Wiener Hofkapellmeister und Kontrapunktguru Johann Joseph Fux zum 30. Geburtstag Kaiser Karls des VI. im Jahr 1715. Das FBC präsentiert die intensive Ouvertüre und drei Arien von Euridice, der Unterweltkönigin Proserpina und dem erlösenden Amor. Proserpinas Arie über un freddo gelo, eine große Kälte, beißt sich mit ihrer fast tranceartigen Begleitung, in der ein Viertonmuster sich ständig wiederholt, lieblichst ins Ohr: Schöner kann Eintönigkeit nicht klingen.

Die atemberaubend gute Sopranistin Dorothee Mields, mit dem BarockConsort perfekt eingespielt, singt das alles nicht nur mit höchster Anmut, sondern verkörpert alle Rollen mit äußerster emotionaler Energie. Das gilt auch für Alessandro Scarlattis Kantate L’Orfeo (1703). Scarlatti komponierte Seria-Opern in Serie (so wie sein Sohn Domenico Cembalosonaten), aber die Frage, ob die Ausgrabung der kleinen Form lohnt, erübrigt sich spätestens bei der Arie Sordo il tronco, e grave il sasso, die nur von den Streichern begleitet wird, ein schwebender Klang, bei dem die Zeit stillsteht: Selbst den tauben Baumstamm und den schweren Stein rührt der Zauber dieses Gesangs.

Der musikalische Höhepunkt eines reichen Abends steht am Schluss: Giovanni Battista Pergolesi (1710-36) gehört mit Mozart und Schubert zu den katastrophal zu früh Gestorbenen der Musikgeschichte. Hätte er länger gelebt, hätte Gluck keine Reformoper zu erfinden brauchen: Daran zweifelt man nicht, wenn man Pergolesis Kantate L’Orfeo hört. Es ist unmittelbar berührend, wie Pergolesi in der Arie Euridice, e dove sei? durch höchste Kunstfertigkeit den Eindruck größter Einfachheit erzielt. In der Arie O Euridice, n’andrò festoso! trifft Jubel, der zum Himmel schießt, völlig unvermittelt auf heftige Verzweiflung, in der die Instrumente sich wie Schlangen (oder Mänaden) um die Stimme des Sängers winden.

So beginnt für den Freund Alter Musik, ob verständig oder nicht, eine Befriedigung verheißende Woche. Freitag spielt die Akademie für Alte Musik in der Gethsemanekirche Bachs h-Moll-Messe, Samstag gibt sich der Shooting-Star-Hallodri Teodor Currentzis mit MusicAeterna ein Stelldichein im Radialsystem.

Das Freiburger Barockorchester kehrt am 8. Februar und am 11. April nach Berlin zurück, zuerst mit Bach & Co, dann mit einem der lustigen Motto-Konzerte, mit denen das FBO regelmäßig den Vogel abschießt: Spaß und Sport. Mit Haydn, Jommelli und Mozart.

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