Segen oder Fluch für Georg Friedrich Haas‘ in vain, dass es regelmäßig zum Klassiker der neuesten Musik hochgejatzt wird? Im Epilog seines Buchs The Rest Is Noise über die Musik des 20. Jahrhunderts schreibt Alex Ross, das im Jahr 2000 entstandene in vain könnte der österreichisch-deutschen Musik einen neuen Weg weisen, und der vehemente Fürsprecher Simon Rattle nennt das Stück gar ein musikgeschichtliches new beginning. Gute Sache jedenfalls, dass dieser Ruf bei der zweimaligen Aufführung im Radialsystem für volles Haus sorgt. Es spielt das Ensemble KNM, dessen Existenz durch die Berliner Politik und Verwaltung derzeit offenbar massiv gefährdet ist – mehr dazu weiter unten.
WeiterlesenSchlagwort-Archive: Georg Friedrich Haas
Starkschwachstark, solovielsaitig: Langes Ultraschall-Wochenende
Großes Bohei um den „Klang“ beim diesjährigen Ultraschall-Festival: Klangerkundungen aller Art, Klangfarben, Klangmischungen … Hat das wirklich mit den bösen Weltumständen zu tun, wie einige Quo-vadis-neue-Musik-Beobachter deuten, mit bewussten oder verängstigten Rückzügen oder Geschrei-opponierenden Widerstandshaltungen? Oder gehts auch eine Nummer kleiner, hats vielleicht mehr mit praktischen Gründen zu tun? Es gibt einige Ensembles mit schrägen Besetzungen, und die verteilen Kompositionsaufträge, und der Komponist muss von was leben, und wenn er für so ungewohnte Mischungen komponiert, liegt das Rumschnüffeln in den Klangmöglichkeiten nahe.
Und daran ist ja auch nix Schlechtes. Weiterlesen
22.5.2016 – Wunderlich, golden: Georg Friedrich Haas‘ „Morgen und Abend“ in der Deutschen Oper
Derniere statt Premiere: Die vierte Aufführung von Georg Friedrich Haas‘ Morgen und Abend in der Deutschen Oper ist schon die letzte. Was ein wenig schade ist, denn es sind wunderliche, goldene Klänge, die man da zu hören bekommt, und es geht ums Erste und Letzte des Lebens, Geburt und Tod eines Jedermanns namens Johannes.
Andererseits ist unübersehbar, dass der Publikumszulauf schwach angefangen und dann stark nachgelassen hat. Trotzdem sind zu viele Zuschauer da, sofern man das mürrische Räuspern und missfällige Tuscheln während der Aufführung zum Maßstab nimmt. Es sind doch einige Hörer da, die nicht über Madame Butterfly hinaus können oder wollen und sich auch nicht den Trailer angesehen haben:
Man stellt aber auch fest, dass aus dem Orchestergraben kein berauschender Obertonregen niedergeht, wie ihn der empfangsbereite Hörer kürzlich bei einer Haas-Aufführung im Kammermusiksaal erleben konnte. Das hat einerseits akustische Gründe, andererseits scheint Haas sich beim Komponieren etwas gebremst zu haben, um Orchester und Publikum nicht zu überfordern, etwa durch zu viel Mikrotonalität. Es dominieren flächige, „reine“, im landläufigen Sinn schöne Klänge, alle Arten von Glissandi, zwischendurch lautes, aber nicht schmerzliches Schlagwerk. Im Moment des Sterbens füllen (inspiriert von Haas‘ eigenem Nahtod-Erlebnis als Jugendlicher) gleißend hohe Töne und blendendes Licht den Saal: Da staunt man mit geschlossenen Augen, wie unbekümmert naturalistisch Komponist und Regie (Graham Vick) das Unnennbare in Klang und Szene setzen.
Der erste Teil umkreist den Morgen des Lebens, als mystische Erfahrung vor der verschlossenen Tür: Das Wunder der Geburt spiegelt sich im wartenden Vater (Klaus Maria Brandauer), der das Ungeheuerliche sprechend, schweigend, plappernd, raunend und staunend umkreist. Hinter der kargen Bühne mit grauer Tür, grauem Bett und grauem Boot schwelgt der unsichtbare Chor in geheimnisvollen Vokalisen, wie Komponisten sie schon vor 100 Jahren liebten; schließlich, nach langer Zeit, sind Schreie der gebärenden Mutter zu hören. Untätiges Warten bringt ja die meisten Menschen auf die Palme, und die vielen Wiederholungen können provozierend wirken, wie Romuald Karmakars erschütternder Film Die Nacht singt ihre Lieder (wie Morgen und Abend eine Jon-Fosse-Adaption), bei dem 2004 dem ungeduldigen Berlinale-Publikum die Hutschnur riss. Aber wenn man sich darauf einlässt, wird man reich belohnt.
Das ist, da indirekt, zwingender als der Abend, der zunehmend verschwurbelte zweite Teil, in dem man allzu direkt dem Sterben zusieht und zuhört. Der Leerlauf der Worte zur Beschreibung des totaliter aliter erinnert doch gelegentlich an die Wortklingelei von evangelisierenden Türklinglern. Obwohl hier alles ganz überkonfessionell ist.
Wunderlich und golden sei das alles, ist da zu hören, und es gibt einige wunderliche und goldene Momente: etwa wenn die begrifflosen Chorvokalisen der Geburt wiederkehren, um sich mit dem langgezogenen, hohen weit des sterbenden Johannes (den der Bariton Christoph Pohl hervorragend singt) zu vereinen. Oder wenn Johannes eine aufsteigende Figur singt, während sein toter Freund Peter (Will Hartmann) als Todeskurier, dem mal wieder die Haare geschnitten werden müssten, singend herabsteigt: komisch, schrecklich und tröstlich zugleich.
Gedanke am Rande: Herr Brandauer könnte den Salzburgern empfehlen, Hofmannsthals ollen Jedermann endlich einzumotten und stattdessen Morgen und Abend vor dem Dom zu spielen.
Die Besetzung ist erstklassig, auch Helena Rasker als tote Gattin Erna und Sarah Wegener als Amme und Tochter. Das Orchester unter Daniel Cohen (die ersten drei Aufführungen leitete Michael Boder) spielt gut, so weit man das als Laie bei solchen unbekannten neuen Klängen beurteilen kann. Vielleicht sind einige Extreme aus falscher Vorsicht zu sehr abgemildert, denn dass das Todesgleißen extrem laut sei und für viele Menschen die Schmerzschwelle überschreite, wie Haas es in der Partitur fordert, kann man nicht gerade behaupten. Die Schmerzschwelle des Publikums liegt anderswo; da wo diese Oper am stärksten ist, in ihren Längen und ihrem Wartestand.
18.3.2016 – Obertönend: RIAS Kammerchor und Münchener Kammerorchester lieben und loben Haas und Mendelssohn
Eine Liebeserklärung und ein Lobgesang, kann es ein schöneres Programm geben am Abend eines Tages, der sich trübsinnig weigerte, Frühling zu sein? Einen Tag nach der Uraufführung in München erblickte im Berliner Kammermusiksaal ein neues Werk von Georg Friedrich Haas noch einmal das Kunstlicht der Welt. Haas machte ja zuletzt mit intimen Bekenntnissen (Vorsicht, nicht jugendfreie Bilder) von sich reden, was grenzwertige Reaktionen (Vorsicht, nicht jugendfreie Sprache) hervorrief; aber auch aufschlussreiche Artikel (Vorsicht, Englisch). Jetzt kann man Haas‘ 3 Stücke für Mollena hören, entweder als Liebeserklärung an seine Frau (den unflätigen Gedanken an Richard Strauss‘ musikalische Ehe-Einblicke verdrängend) oder als mikrotonal überbordende Neue Musik, die ihr Klangspektrum aus der natürlichen Obertonreihe ableitet. Am besten aber als beides – oder einfach den waghalsigen Versuch, glückliche Musik zu schreiben (so Haas im Interview mit Nina Jozefowicz).
Und wie klingt das nun? Es ist ein berauschendes, unmittelbar zugängliches Klangerlebnis. Im ersten Stück das Ende der Sehnsucht sind überwältigende Cluster zu hören, der von Denis Comtet einstudierte RIAS Kammerchor schwelgt in Vokalisen auf Sechstel- und sonstigen Zwischentönen; für den Laien unfassbar, dass man das präzise singen kann, aber vermutlich kann es auch kaum ein Chor so gut wie dieser. Trotzdem ziehen sich starke Linien durch diese Klangwolke, so dass eine fast archaisch wirkende Klarheit entsteht. Schließlich lösen sich zwei (Brust-)Stimmen aus dem Cluster, ein Mann und eine Frau – eine so eindringliche wie diskrete Vereinigung im Raum der Wünsche. Im zweiten Stück Harmonie ordnet sich die Musik in drei Etagen, ganz oben und ganz unten die hohen und tiefen Instrumente des hervorragenden Münchener Kammerorchesters unter der Leitung von Alexander Liebreich, im Zentrum die menschlichen Stimmen. Der dritte Satz mit dem kuriosen Titel Hochzeitsmarsch ist eine einzige Beschleunigung, nun nicht mehr mikrotonal, sondern rhythmisch entfesselt: ein riesenhaftes Accelerando, das (wie man liest, nicht hört) auch einen 47/16-Takt durchsaust. Egal welche Farbe dieses Begehren hat, es ist ein eindeutig orgasmischer Sound, körperlich und kosmisch kopulierend. Als kompositorisch total durchkontrollierte Entgrenzung ist es aber auch ein merkwürdiges Erlebnis. Und wenn man die 3 Stücke für Mollena, obwohl bereits am Anfang dieser glücklichen Musik die Nacht fast vergangen ist, in die Tradition der Per-aspera-ad-astra-Werke stellt, ruft wieder einmal das Sternenfinale die größte Skepsis hervor. Freilich ein Eindruck nach einmaligem Hören, der sich vielleicht ändert, wenn man dieses faszinierende Werk hoffentlich bald im Konzertsaal wiederhört.
Bis dahin kann man sich am Radiomitschnitt berauschen:
Georg Friedrich Haas‘ Oper Morgen und Abend, die in wenigen Wochen an der Deutschen Oper Premiere hat, darf man jedenfalls mit Spannung entgegensehen.
Wenn man fürchtet, nach diesem Obertonrausch könnte Mendelssohn etwas dünne klingen, hat man sich geschnitten. Dass auch der Lobgesang op. 52 B-Dur (vulgo Sinfonie Nr. 2) von Felix Mendelssohn Bartholdy berauscht, liegt zunächst einmal an der schlanken Besetzung und dem historischen Instrumentarium, mit denen das Münchener Kammerorchester diesen Preisgesang Gottes und des Buchdrucks angeht: Was mitunter etwas sperrig oder rauh klingt, lässt Holzbläser wie Singstimmen um so leuchtender strahlen. Dann sind es aber auch die fast erotischen Obertöne, die Mendelssohns Verhältnis zum deutschen Protestantismus und der Idee der Bildung hat.
Nach dem mit drei Sätzern sehnsuchtsvoll langen instrumentalen Vorspiel hat der Einsatz des Chors Alles, was Odem hat, lobe den Herrn eine gewaltige Wirkung. Attilio Glaser ist ein so exakter wie klangschöner Tenor, die kurzfristig eingesprungene Sopranistin Julia Sophie Wagner kehrt mit ihrer sinnlichen Stimme die dürstenden und lechzenden Facetten dieser Musik hervor: Die Nacht ist vergangen!, beantwortet sie die fahl bebende Frage des Tenors an den Hüter, ob die Nacht bald hin sei. Der Dirigent Alexander Liebreich verausgabt sich, manchmal beunruhigend nah am hinteren Rand des Podests, das Münchener Kammerorchester spielt nicht nur genau, sondern strahlt mitreißende Freude an dieser Musik aus – beim a cappella einsetzenden Choral Nun danket alle Gott sieht man einen Hornisten sogar leise mitsingen. Man fragt sich, warum dieses Stück im Gegensatz zu durchaus vergleichbaren Kantaten-Symphonie-Zwittern von Berlioz so selten gespielt wird; das Sujet Roméo und Juliette zieht wohl mehr als Protestantismus und Buchdruck. Doch die lange Stille nach dem Schluss spricht für sich, so würde man sich das Berliner Publikum immer wünschen. Wunderbar diese Art von Symphonik, die in der Großen Halle der Klassik verloren ist, im Kammermusiksaal zu hören.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.