Ultraschall: Sarah Nemtsov und Geschwister Widmann zur Eröffnung

Eröffnungskonzert von Ultraschall, des alljännerlichen Neue-Musik-Festivals, in dem ganz altmodisch die Musik im Mittelpunkt steht und nicht Diskurse, Desen, Demperamente. Das Deutsche Symphonie-Orchester kommt in den rbb-Sendesaal, vor dem sich die von allen Berliner Konzerthäusern schlechtesten Fahrradständer befinden, nämlich gar keine (angesichts der gigantischen Parkplatzlandschaft auf und um die circa 150spurige Masurenallee fast schon eine Leistung). Aber musikalisch fängt das Festival prima an; zumindest die ersten 18 Minuten.

Reich mir das halbleere Glas! (Quelle: Wellcome Library)
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Geisterweinend: RSB, Slobodeniouk, Widmann spielen Schumann, Reimann, Beethoven

Solistin mit Orchester

Auch wenn man eigentlich gern im 19. Jahrhundert gelebt hätte, manchmal ist es gut, dass es nicht so ist. So kann man sich heute Robert Schumanns Violinkonzert anhören, ohne sich an dessen Abweichungen oder auch Unzulänglichkeiten zu stoßen. Wie es die Hörer im 19. Jahrhundert vielleicht getan hätten, wenn das 19. Jahrhundert sie dieses Werk denn hätte hören lassen; genauer gesagt die Schumannfamilie und die Freunde Brahms und Joseph Joachim, die es unter Verschluss hielten. Bis es 1937 zur vernazigifteten Uraufführung kam. Kein Wunder also, dass die Zeit dieses Werks jetzt erst gekommen zu sein scheint. Statistisches Faktum oder nur Berliner Konzertgangszufall, dass es in letzter Zeit immer häufiger zu hören ist? Mit der Geigerin Carolin Widmann bildet es den Mittelpunkt des vergeisterten, tränenreichen Konzerts, das das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin in der Philharmonie unter Leitung von Dima Slobodeniouk spielt. Weiterlesen

Musikfest 2018: Berliner Philharmoniker lichten, Rundfunkchor nachtklart

Ist ja auch mal ein schönes Faktum, dass von allen hiesigen Orchestern ausgerechnet die Berliner Philharmoniker als gute Gastgeber die Musikfest-Themen am intensivsten beleuchten: gleich zweieinhalb von dessen Schwerpunkten kommen im Konzert mit François-Xavier Roth vor. Bernd Alois Zimmermann und Debussy sind die zwei, Ligeti der halbe. Der Konzertgänger geht mal wieder zu einer dritten Aufführung, dritte Abende sind spielkulturell immer erhellt. (Gingen mehr Kritiker am dritten statt am ersten Abend, gäbs weniger Verrisse.) Außerdem kann man am Samstag noch zum anschließenden Late Night-Konzert des Rundfunkchors in die dunkle St. Matthäus-Kirche rübermachen.

Vermatscht sich das nicht in deinem Kopf, fragt seine Frau den Konzertgänger, noch ein Konzert gleich hintendran? Weiterlesen

Starkschwachstark, solovielsaitig: Langes Ultraschall-Wochenende

Großes Bohei um den „Klang“ beim diesjährigen Ultraschall-Festival: Klangerkundungen aller Art, Klangfarben, Klangmischungen … Hat das wirklich mit den bösen Weltumständen zu tun, wie einige Quo-vadis-neue-Musik-Beobachter deuten, mit bewussten oder verängstigten Rückzügen oder Geschrei-opponierenden Widerstandshaltungen? Oder gehts auch eine Nummer kleiner, hats vielleicht mehr mit praktischen Gründen zu tun? Es gibt einige Ensembles mit schrägen Besetzungen, und die verteilen Kompositionsaufträge, und der Komponist muss von was leben, und wenn er für so ungewohnte Mischungen komponiert, liegt das Rumschnüffeln in den Klangmöglichkeiten nahe.

Und daran ist ja auch nix Schlechtes. Weiterlesen

21.2.2016 – Apocalyptique: Abgrund der Möbel für Messiaen im Konzerthaus

Eine pünktlich um 21 Uhr piepsende Armbanduhr erinnert uns im Lobpreis der Ewigkeit Jesu (Louange à l’Éternité de Jésus) an das, was wir fast vergessen haben: dass wir uns physisch noch im Diesseits der Zeit befinden. Es ist nur ein Konzert. Aber was für eins: das Quatuor pour la fin du temps von Olivier Messiaen in Luxusbesetzung mit Jörg und Carolin Widmann, Alban Gerhardt und Momo Kodama.

Das Festival Frankreich, das am Freitag im Konzerthaus eröffnet wurde und bis zum 28. Februar dauert, wagt am Sonntag einen besonderen Spagat: nachmittags bunter Kindertag mit Carnaval des animaux, abends Messiaens gläserne Endzeitklänge, uraufgeführt 1941 im Kriegsgefangenenlager bei Görlitz – mehr zur Entstehungsgeschichte hier. (Am nächsten Wochenende bietet sich zum Abschluss des Festivals die Chance, Kind und Messiaen zusammenzubringen: Obwohl keine Familienveranstaltung, sondern ein normales Symphoniekonzert, ist Messiaens großes Turangalîla-Spektakel garantiert (schul)kindertaugliche Symphonik.)

Dem Quatuor eilt ein Ruf wie der siebte Posaunenhall voraus, dabei ist es unmittelbar zugängliche Musik, im 5. und 8. Satz sogar an der Grenze zum Kitsch. Die Zuhörer (unter ihnen Piotr Anderszewski, der am Montagabend ein Klavierrezital im Kammermusiksaal geben wird, natürlich nicht ohne den Konzertgänger) würden den Kleinen Saal des Konzerthauses berstend füllen. Das Konzert findet aber im Großen Saal statt – und doch sitzt man dichtgedrängt: Die Musiker spielen um 180 Grad gedreht, in Richtung Orgel, das Publikum sitzt nur auf und über dem Podium. Von dort schaut es hörend in den leeren Saal – und es stellt sich beim Anblick dieses Abgrunds der Möbel das Gefühl ein, ins Ende der Zeit zu blicken. Zum leeren Raum wird hier das Ende der Zeit. Eine faszinierende Idee, für die man die harte Holzbank vor der Orgel gern in Kauf nimmt.

Auch akustisch funktioniert die Inversion des Saals: Wenn man Jörg Widmanns solistischer Klarinette im 3. Satz Abîme des oiseaux (Abgrund der Vögel) zuhört, fragt man sich, ob man in diesem heiklen Saal schon je so kristallklare Klänge vernommen hat.

Über Widmanns Qualität als Klarinettist braucht man ohnehin kein Wort zu verlieren. Momo Kodama zaubert gläserne Klänge aus dem Steinway, die einen mitunter zweifeln lassen, ob da wirklich ein irdisches Instrument zu vernehmen ist. Alban Gerhardt spielt das Cello im 5. Satz Louange à l`Éternité de Jésus mit jenem ätherischen Ton, spröde und sanglich zugleich, den Carolin Widmanns Geige im 8. und letzten Satz Louange à l’Immortalité de Jésus aufnimmt und zur Vollendung führt: in immer höhere Regionen begibt sich ihr Ton, bis er durchsichtig wird und sich in Luft auflöst, Luft aus einer anderen Welt. Und wenn die vier Musiker sich in der eröffnenden Liturgie de Cristal und im 7. Satz Fouillis d’arcs-en-ciel (Wirbel der Regenbögen) vereinigen, katapultiert uns allein ihr perfektes Zusammenspiel ins Jenseits der Zeit.

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