Tipp: Berliner Klavierfestival

Boldini,_Gentleman_at_the_PianoElysium ad portas für Klavierfreunde, die mal andere Pianisten hören wollen als das grandiose Dutzend, das an den üblichen philharmonischen Klavierabenden zu hören ist: Im Konzerthaus beginnt am Dienstag das 6. Berliner Klavierfestival. Neben dem Weddinger Pianosalon Christophori ist das der heißeste Scheiß, den Berlin neugierigen Klavierfreunden zu bieten hat. Keine Eigenveranstaltung des Konzerthauses, sondern eine private Initiative des Anglo-Steglitzer Klavierwahnsinnigen Barnaby Weiler, den das ewige Einerlei der hiesigen Klavierrezitals anödete.

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Drei von fünf: Helmchen, Piemontesi, Paul Lewis spielen Beethoven mit dem Konzerthausorchester

Was für ein Luxus im Konzerthaus: Fünf Pianisten spielen die fünf Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven, alles zu Ehren Alfred Brendels.

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Bevor nächste Woche Kit Armstrong und Till Fellner kommen, traten Martin Helmchen, Francesco Piemontesi und Paul Lewis auf. Drei feinsinnige Pianisten, die man nicht gerade mit Leistungssport-Klavier und Prokofjewgehämmer verbindet, an drei Abenden hintereinander, alle mit dem Konzerthausorchester unter Jan Willem de Vriend. Kombiniert jeweils mit Ferdinand Ries und Franz Schubert (mehr dazu ganz unten). Weiterlesen

Brendelnd: Ausblick auf die Hommage im Konzerthaus

Wer Alfred Brendel nie live gehört hat, kann in den kommenden zehn Tagen im Konzerthaus Berlin wehmütig werden; wer ihn hörte, erst recht. Nur er selbst wird wahrscheinlich nicht wehmütig sein. Stattdessen wird er zu später Stunde Gedichte vorlesen, Klavier spielt er öffentlich schon seit fast zehn Jahren nicht mehr, das wird an diesem Abend Pierre-Laurent Aimard tun. Ansonsten von Alter Musik bis zum Streichquartett-Marathon alles dabei. Mehr51c2b97d0fa202f9106f6af39a4dc261 dazu in den kommenden Tagen auf diesem Blog.

Zur Einstimmung: Sechs Pianisten werden während der Brendel-Hommage Beethoven spielen, vier von ihnen (Francesco Piemontesi, Paul Lewis, Herbert Schuch, Kit Armstrong) habe ich mit einigen nicht zu tiefschürfenden Fragen behelligt: Antworten im neuen VAN-Magazin.

Auf Idagio habe ich indes eine kleine Brendel-Playlist zusammengestellt: mit Musikern, die bei der Hommage auftreten werden (u.a. Lisa Batiashvili, Doric String Quartet), sowie antiken Aufnahmen von Brendel selbst. Wer sich schon immer gefragt hat, ob Brendel je Balakirews Islamey gespielt hat, und wenn ja, wie das wohl klang, wird dort klüger.

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11.10.2015 – Gigantisch leicht: Francesco Piemontesi spielt Haydn, Mozart, Beethoven und… Stockhausen

Einen gewaltloseren Pianisten als den jungen Schweizer Francesco Piemontesi kann man sich nicht vorstellen. Trotzdem klagt ein älterer Herr in der Pause, er fühle sich erschlagen. Seine Begleiterin mutmaßt gar, in der Philharmonie würden Pianisten gezwungen, sowas zu spielen. Was ist passiert? Ein paar Minuten Stockhausen, vor immerhin 60 Jahren komponiert, inmitten von Haydn, Mozart, Beethoven.

Dabei ist es ein überaus durchdachtes Programm, von Provokation keine Spur: Nach den Haydn-Variationen klingt Karlheinz Stockhausens Klavierstück IX wie ein Thema mit Variationen, nach der Mozart-Fantasie das Klavierstück V wie eine völlig freie Fantasie. Piemontesi spielt die beiden Stücke im Kammermusiksaal an einem zweiten Steinway, der hinter dem Klassiker-Steinway steht, und dieser hallt vor allem in Stück IX wunderbar mit – so wie man umgekehrt bei den jeweils folgenden Beethoven-Sonaten stets Stockhausen mithört. Man glaubt kaum, dass das 50er-Jahre-Avantgarde ist, man braucht keinen Adorno, um diese sinnliche, ja romantische Klaviermusik zu hören.

In Stück IX gibt es erstmal lange dasselbe, nämlich 227mal den gleichen Akkord, aber er klingt jedesmal anders. Wenn dann in Beethovens 31. Sonate As-Dur op. 110 vor dem Klagenden Gesang vierzehnmal das A wiederholt wird, erst recht in den zehn Wiederholungen des G-Dur-Akkords, bevor die rettende Fuge nach u. nach sich neu belebt, staunt man ergriffen über die faszinierenden Zusammenhänge, die da hörbar werden.

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Noch bewundernswerter als die Programmgestaltung ist freilich Francesco Piemontesis Anschlag: Es muss wahnsinnig schwer sein, so leicht zu spielen. Joseph Haydns wunderbare Variationen f-Moll Hob. XVII,6 spielt er in nächtlicher Sanftmut, fast verhangen, aber nie verschwommen, mit sehr weichem Anschlag und perlenden Läufen. Das lange Pedal am Schluss weist schon auf die Nachhall-Effekte bei Stockhausen voraus. Wolfgang Amadeus Mozart scheint Piemontesis Herz besonders nah, in der Fantasie d-Moll KV 397 sind die sich wiederholenden Akkorde gebrochen, verflüssigt, und das abrupte Abbrechen der Gedanken weist ohnehin über jede klassische Stil-Einheit hinaus.

In Beethovens 30. Sonate E-Dur op. 109, die den ersten Teil des Abends krönt, liegen ihm natürlich besonders die bagatellenartigen Vivace-Passagen des ersten Satzes (piano, dolce); in den Kontrasten klingt für den Hörer das Stockhausen-Erlebnis mit. Den zweiten Satz, Prestissimo mit passacaglia-artigem Bass, spielt Piemontesi nicht bärbeißig oder grimmig, sondern auch im Fortissimo ganz fließend. Das große Variationenfinale Gesangvoll, mit innigster Empfindung geht er langsam, ja gedehnt an, aber der Konzertgänger hört es in atemloser Spannung – auch deshalb, weil er es so gesangvoll in der Tat kaum je gehört hat, selbst in den höchsten Regionen über dem gewaltigen Trillerrauschen in der letzten Variation. Klangschön wie Wilhelm Kempff, aber technisch natürlich viel perfekter. Der Konzertgänger hört die E-Dur-Sonate ziemlich oft, manchmal ist er etwas enttäuscht; bei Piemontesi aber denkt er: Darauf hast du die ganze Zeit gewartet.

Ebenso vollkommen die oben schon erwähnte As-Dur-Sonate, mit der der Abend endet: der schwerelose Mozarttonfall am seltsam klassizistischen Beginn, der ungeheuerlich fahle Ton der folgenden Moll-Wendung; die sanfte Wanderung des Fugenthemas in den Bass im Finale, schließlich höchste Lautstärke ohne jedes Fugenmeistergerummse – in nur 15 Minuten werden Welten durchschritten.

Es gehört nicht viel Mut dazu, Piemontesi eine große Pianistenkarriere vorherzusagen. Braucht es Mut, als Zugabe mal eben Debussys Feux d’artifice scheinbar locker aus dem Ärmel zu schütteln? Es klingt unfassbar leicht. Das muss, wie gesagt, ungeheuer schwer sein. Nach dem Konzert ist der gewaltlose Piemontesi durchgeschwitzt, abgekämpft; aber hoffentlich ebenso glücklich wie seine Hörer.

Nachtrag: Zweite Zugabe, vom Konzertgänger nicht erkannt, war die Etüde a-Moll opus 104 von Mendelssohn – herzlichen Dank an Francesco Piemontesi für die Auskunft!

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