Anfangend: Kleine Bilanz zum Meyerbeer-Finale in Berlin

Giacomo Meyerbeer 1855

Was bleibt von dem fünfwöchigen Meyerbeer-Spezial an der Deutschen Oper Berlin, das dieses Wochenende ins Finale geht? Unter anderem die Erkenntnis, dass man Gutes nicht nur tun sollte, sondern auch laut drüber sprechen, poltern, protzen. Ups, völlig übersehen, völlig verplant, schrieb kürzlich auf Twitter eine von diesen paar Dutzend verrückten Opernliebenden, die das ganze Jahr kreuz und quer durchs Land reisen und die man mit der Zeit kennt, wenn man regelmäßig in die Oper geht und sich in sozialen Netzwerken darüber unterhält. Die Meyerbeer-Wochen in Berlin unter Radar, wie konnte das passieren?

Zwei inszenierte Riesenopern (Les Huguenots und Le Prophète) und die konzertante Aufführung der köstlichen Rarität Dinorah: ein ziemlich großer, aber berechtigter Aufwand für diesen großen Komponisten, der das 19. Jahrhundert musikalisch regiert hat und dem die Operngeschichte dann übel mitgespielt hat. Und zwar oft aus unlauteren bis bösartigen Motiven: Man denke an die ekligen Verunglimpfungen des Judenhassers Wagner, der Meyerbeer viel zu verdanken hatte – menschlich wie musikalisch.

Nur, wenn man diesen Aufwand betreibt, sollte man die Sache ebenso aufwändig anpreisen und bewerben. Vielleicht noch ein Kammerkonzert dazu, einen Liederabend, einen Vortrag – und pumps, hätte man ein ausgewachsenes Internationales Giacomo-Meyerbeer-Festival gehabt statt des halbverschämten „Best of Meyerbeer“-Spezials. Bei welchem sich trotzdem ein Kultursenator oder Regierender durchaus mal hätte blicken lassen dürfen. Aber man muss natürlich auch den öffentlichen Rahmen dafür schaffen, statt „nur“ gut zu musizieren.

Der Preuße Meyerbeer, 1851

So ein Meyerbeer-Festival wäre in Berlin durchaus am richtigen Ort, auch wenn die Hauptstadt von Meyerbeers Europa natürlich Paris war. (Europa war sein Bayreuth, heißt der interessante Band mit Aufsätzen über Meyerbeer, den man am Ausgang der Deutschen Oper kostenlos mitnehmen kann.) Meyerbeer war echter Berliner, der älteste Sohn der reichsten Familie der Stadt, geboren 1791 im heutigen Rüdersdorf. Er lebte zu seinen großen Zeiten abwechselnd in Paris und Berlin und leitete eine Zeit lang auch, als Nachfolger Spontinis, die Berliner Oper. Und muss zeitlebens ein jüdischer preußischer Patriot gewesen sein.

Über die Berliner Wohnorte der Familie Meyer Beer schrieb kürzlich der so unermüdliche wie kompetente Giacomo-Fan Thomas Kliche auf Facebook:

Die Familie Beer wohnte ab 1801 in der Spandauer Straße 72 in Berlin-Mitte, vorher im Haus des Großvaters Liepmann Meyer Wulff. Ab ca. 1824 wurde das Sommerhaus vor den Toren Berlins zum ständigen Wohnsitz der Familie, mit Theatersaal, Gewächshäusern. Sein Bruder Wilhelm Beer errichtete sogar dort ein Observatorium mit privater Sternwarte. Er veröffentlichte die erste gründliche Karte des Mondes. Die Villa stand in Sichtweite des Krollschen Etablissements. Heute steht dort das Zentrum der Macht: Das Bundeskanzleramt. In späteren Jahren wohnte Meyerbeer u.a. in der Schadowstraße. Seine letzte Berliner Wohnung befand sich am Pariser Platz Nr. 6a. Dort hängt, versteckt in einer Ecke des Hofes eine KPM-Gedenktafel. Minna Meyerbeer zog nach dem Ableben Meyerbeers in die Bellevuestraße. Sie starb 1884 in Wiesbaden und wurde nach Berlin überführt und liegt im Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof in der Schönhauser Allee.

Quelle: https://www.facebook.com/DeutscheOperBerlin/posts/3131725930192997?comment_id=3137371782961745

Kliche plädierte auch schon in diesem Blog leidenschaftlich für Meyerbeer:

Die konzertante Aufführung der seltenen Dinorah (Kritik vom Mittwoch hier) gibts nochmal am heutigen Samstag. Les Huguenots sind zum Abschluss der Meyerbeer-Tage 2020 nochmal am Sonntag zu sehen, Le Prophète gab es schon am Freitag.

Postkarte der Apotheose des Giacomo M., von seinen Opernfiguren umgeben

Die Inszenierungen der beiden großen Opern mögen beide nicht optimal sein, aber sie sind auch nicht katastrophal und tragen einen ganz gut über die vielen Stunden starker Musik. Olivier Pys Regie des Wiedertäufer-Stücks Prophet ist packend in ihrer düsteren, hoffnungslosen Atmosphäre, aber neigt auch (trotz inszenatorischer Entschärfung bei der Wiederaufnahme) zu leichtfertiger Ästhetisierung von Gewalt. Man kann ja aus guten Gründen drastische Gewalt auf die Bühne bringen; ebenso ist gegen geile Fetischpartys auf der Bühne prinzipiell nix einzuwenden; nur die Inszenierung von drastischer Gewalt als geile Fetischparty ist eine zweifelhafte Sache. David Aldens Inszenierung der Hugenotten ist frei von solchen Entgleisungen, aber verschenkt durch eine gewisse Statik und Starre doch etwas vom dramatischen Lodern dieser Bartholomäusnacht-Schmonzette.

Sängerisch sind beide Opern sehr zufriedenstellend besetzt. Im Propheten war am Freitag nochmal dieser allerliebste Sopran von Elena Tsallagova zu hören, der atemberaubend zulegen kann (und gelegentlich übers Ziel hinausschießt); der mutterglühende Mezzosopran von Clémentine Margaine; und der, selbst wenn er in Kopfstimme das Wort fils fistelt, äußerst geschmackvolle Tenor von Gregory Kunde.

Der Prophet hatte außerdem, wie Dinorah, den ausgewiesenen Meyerbeer-Experten Enrique Mazzola am Pult: eine rundum überzeugende Darbietung, das hervorragend vorbereitete Orchester der Deutschen Oper zeigte, was es kann, wenn es will und darf. Alexander Vedernikovs etwas rumpeliges Dirigat der Hugenotten (gehört Anfang Februar) ließ dagegen doch manche Wünsche offen.

Aber es ist ja zu hoffen, dass dieses Meyerbeer-Spezial kein Ende von etwas ist, sondern der Anfang. Berlin als Heimatstadt Meyerbeers wie auch Brutstätte der schlimmsten antijüdischen Verbrechen hätte nun wirklich Grund, das Andenken dieses Komponisten kontinuierlich und lebendig zu pflegen. Vor allem würde das auch musikalisch lohnen. Es ist durchaus anstrengend, weil diese langen Werke mit ihren teils ausufernden Massenszenen kaum mehr bekannt sind, aber ungeheuer farbenreich und spannend.

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