Phremde Phedern: Ein Lob auf Giacomo Meyerbeer!

Berlin hat etwas wiedergutzumachen an diesem Komponisten – aber vor allem hat es die Chance, den großen Meyerbeer ausgiebig zu genießen! Anlässlich des am Sonntag beginnenden Giacomo-Meyerbeer-Vorfrühlings an der Deutschen Oper Berlin schreibt der Musikwissenschaftler Thomas Kliche hier als Gastautor über seinen Herzblut-Künstler.

Berliner Suchbild mit jungem Meyerbeer

Hört, hört Meyerbeer! Erfreulicherweise hat in den letzten Jahre das Interesse an Meyerbeer spürbar zugenommen, was längst überfällig war. Auch wenn das Verhältnis Berlins zu Meyerbeer insgesamt als schwierig zu bezeichnen ist, hat sich Berlin bis heute nicht wirklich mit Meyerbeer versöhnt. Es fehlt immer noch ein Denkmal für ihn, er wurde verunglimpft, als Epigone Rossinis degradiert, und die antijüdische Front, besonders in Deutschland, attackierte ihn massiv und löste bei ihm schwere psychosomatische Krisen aus. Meyerbeer blieb trotz aller Anfeindungen ein Weltbürger und Kosmopolit, ein loyaler und patriotischer Preuße, war innerlich ein Freigeist und verkehrte gerne mit demokratisch und liberal eingestellten Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Ferdinand Lassalle oder der Frauenrechtlerin Fanny Lewald. 

Giacomo Meyerbeer war der erfolgreichste und einflussreichste Opernkomponist des 19. Jahrhunderts. Allein der 1831 in Paris uraufgeführte Robert le diable erlebte in der französischen Hauptstadt bis 1900 etwa 1000 Aufführungen, ein bis heute beispielloser Erfolg. Meyerbeer gilt als der Meister der Grand Opera, der fünfaktigen opulenten Ausstattungsoper historischen Zuschnitts. Der immense Erfolg des Robert katapultierte Meyerbeer an die Spitze der europäischen wie internationalen Oper. Das „unsittliche“ Libretto wurde zum Gegenstand heftiger Angriffe, und Felix Mendelssohn Bartholdy war von dem unzüchtigen Ballett der Nonnen so angewidert, dass er beschloss, fortan nur noch Kirchenmusik komponieren zu wollen. Am 29. Februar 1836, Rossinis Geburtstag, wurden Les Huguenots mit den Schreckenszenarien der Bartholomäusnacht (vom 23. auf den 24. August 1572) in Paris zur Uraufführung gebracht: eine Oper über die verheerenden Pogrome der Katholiken gegen die französischen Protestanten, bei denen mehrere Tausend Menschen einem ungezügelten Religionshass zum Opfer fielen. Die Opernhäuser in der ganzen Welt rissen sich um die Aufführungsrechte, von Shanghai über Rotterdam bis nach New York.

In Berlin, der Geburtsstadt Meyerbeers, durften Les Huguenots zunächst nicht aufgeführt werden. Die Zensur unter Friedrich Wilhelm III. schritt ein, es wurde ein Gutachten erstellt, mit dem Ergebnis, aus religiösen Gründen sei eine Aufführung undenkbar. Der Stein des Anstoßes war der Gebrauch des Luther-Chorals Ein feste Burg ist unser Gott (Meyerbeer zitiert ihn niemals vollständig!), der sich wie ein roter Faden durch die Oper zieht und die beiden Liebenden förmlich zu Tode hetzt. Robert Schumann, ein erklärter Gegner Meyerbeers, stufte die Oper als eine Jahrmarktsfarce ein und empörte sich darüber, „der Deutschen liebstes Lied“ würde auf der Opernbühne „abgeschrieben“. Ein noch massiverer Einschnitt geschah in München, wo das Ganze mit veränderten Namen der Protagonisten und neuem historischen Umfeld als Die Welfen und Ghibelinnen zur Aufführung gelangte. Meyerbeer trug es mit Gelassenheit. Überliefert sind in diesem Zusammenhang die Worte einer „hohen Person“ – sehr wahrscheinlich handelte es sich dabei um Friedrich Wilhelm III.: „Ich mag nicht dabei sein, wo die Katholiken und Protestanten einander todtschießen und der Jude Musik dazu macht.“

Meyerbeer war sich stets seiner Herkunft bewusst. Der Zufall wollte es, dass er als Jude geboren wurde, und ihm war sehr bewusst, dass er letztlich eine Paria-Stellung hatte. Eine Konversion kam für ihn niemals in Frage, er war ein zutiefst religiöser Mensch, ganz abgesehen davon, dass solch ein Schritt niemals die allgemeinen und immer präsenten antijüdischen Ressentiments aufgelöst hätte. Mit Beginn der Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV. (des Schwanenritters der Romantik und mit Meyerbeer seit Kindestagen befreundet) änderte sich das politische und künstlerische Klima in Berlin, und Les Huguenots konnten endlich am 22. Mai 1842 im Königlichen Opernhaus aufgeführt werden. Meyerbeer wurde zum Preußischen Generalmusikdirektor ernannt und war zunächst für die Oper und die Hofmusik zuständig.

Thomas Kliches Buch über die Familien Mendelssohn und Meyerbeer

Das religiöse Moment durchzieht weite Teile der Opern Meyerbeers; in Les Huguenots ist es der Religionsfanatismus, Unheil im Namen Gottes, hochaktuell bis in unsere Gegenwart. Auch Le Prophète, der am 16. April 1849 in Paris seine triumphale Uraufführung erlebte, thematisiert ein historisches Ereignis: Die Schreckensherrschaft der Wiedertäufer in den 1530er Jahren in Münster. Bei Meyerbeer ist es der Schankwirt Jan von Leyden, der sich nach einem visionären Traum anmaßt, der Messias zu sein, willfährige Anhänger um sich scharrt, zur Revolution gegen die Obrigkeit aufruft, daran scheitert und am Ende der Oper das Rathaus von Münster in die Luft sprengt und alle mit in den Tod reißt. Noch heute ist in Münster in Westfalen jener Eisenkäfig zu bestaunen, wo die Anführer der Revolte zur Schau gestellt wurden und ein jämmerliches Ende fanden. Meyerbeers Le Prophète wurde von seinen Zeitgenossen als Reflexion der gescheiterten Revolutionsereignisse von 1848 wahrgenommen, war also hochaktuell. Le Prophète, für den Meyerbeer die höchste Summe erhielt, die bis dahin für eine Opernpartitur bezahlt wurde, trat seinen Siegeszug an; die deutsche Erstaufführung in der Übersetzung Ludwig Rellstabs kam 1840 in Hamburg zur Aufführung. Meyerbeer komponierte 15 Opern auf deutsche, italienische und französische Libretti und hinterließ 12 Opernfragmente und Opernpläne. Seine Kompositionsstil nährte sich aus einer soliden deutschen Harmonik, der italienischen Melodie und französischer Eleganz zu einer ganz eigentümlichen Musiksprache. Seine Partien sind äußerst anspruchsvoll, sei es für die Solisten oder den Chor, der Perfektionist Meyerbeer verlangt eine vollkommene Hingabe aller Beteiligten. Grandios ist sein Umgang mit dem Orchester, eine unglaubliche Vielfalt der Instrumentation, hohe und tiefe Instrumente werden gekoppelt, zum ersten Mal erklingt eine Bassklarinette im Orchester (Les huguenots) und legendär ist seine Zusammenarbeit mit dem Tüftler Adolphe Sax, der ihn mit innovativen Verbesserungen der Blechbläser tatkräftig unterstützte.

Die letzte zu Lebzeiten aufgeführte Oper Meyerbeers ist die 1859 an der Opéra comique in Szene gesetzte dreiaktige Dinorah, mit gesprochenen Dialogen. Auch hier wieder religiöse Momente mit Wallfahrt, Frömmigkeit und Marinegesängen, eine Protagonistin, die nach einem traumatischen Erlebnis dem Wahnsinn verfällt und mit ihrer Ziege umher irrt, bevor sich am Ende alles zum Guten wendet. Bei der Uraufführung stand eine echte Ziege auf der Bühne, die sich aber nicht durch die Musik irritieren ließ. Für die Effekte auf der Bühne wurde die ganze Maschinerie in Bewegung gesetzt, bis hin zu einem echten Wasserfall. Die Arie der Dinorah, der berühmte Schattentanz Ombre légère, zählt zu den anspruchsvollsten Partien aufstrebender Koloratursopranistinnen.

Meyerbeer feilte an seinen Opern bis kurz vor den Uraufführungen und hatte das vertragliche Recht, nur dann die Aufführungen zu autorisieren, wenn die Besetzungen aller Partien, bis in die Nebenrollen, für ihn endgültig feststanden. Er war ein Perfektionist. Tausende von Stimmen dürfte er im Verlauf seines Lebens gehört haben, und es lässt sich durchaus sagen, dass er ein Stimmenfetischst war. Die Deutsche Oper Berlin greift bei ihren Aufführungen auf die inzwischen in einer neuen Edition herausgegebenen kritischen Partituren zurück, so dass die Werke so gut wie komplett erklingen. Die DOB bietet für alle Vorstellungen ein hochkarätige Besetzung an. Ein wenig Sitzfleisch ist mitzubringen, aber bei Wagner beschwert sich ja auch keiner über die sechs Stunden der Götterdämmerung. Also: auf in die Deutsche Oper Berlin!

THOMAS KLICHE (mehr zum Autor)

Les Huguenots: 2. und 9. Februar, 1. und 8. März

Le Prophète: 23. und 29. Februar , 6. März

Dinorah: 4. und 7. März

Zum Anfang des Blogs

8 Gedanken zu „Phremde Phedern: Ein Lob auf Giacomo Meyerbeer!

        • Guten Tag, sehr geehrter Herr Selge!
          Vor kurzem erst habe ich Ihren nicht nur hochinteressanten, sondern auch entzückenden – nein: berückenden Blog entdeckt. Dass Sie von Musik irrsinnig viel verstehen, und dass Sie obendrein noch schreiben können, wissen Sie ja. Doch die elaboriert-liebevolle Art, mit der Sie Ihre Beiträge auch durch Bildmedien hochgescheit ergänzen, erfreut mich bei jeder Lektüre.
          Vielen Dank dafür!
          Ich bin musikalisch leider ein Kretin, entdecke aber seit anderthalb Jahren die Welt der Oper und des „klassischen“ Konzertes mit Neugier, Staunen und oftmals kurzen Glücksgefühlen (und als Kretin völlig frei von jeglicher Urteilsbegründungslast – hat was …).
          Aufgrund des Beitrages von Herrn Kliche, den Sie als Gastautor in Ihren Blog eingeladen haben, werde ich am Sonntag nun auch in der Bismarck-Oper sein (wie immer unterm Dach) und meinen ersten Meyerbeer hören.
          Ich denke, dass ich mich schon jetzt auch dafür bei Ihnen und natürlich bei Herrn Kliche (sowie den anderen Kommentatoren hier) bedanken kann: merci!
          Witwesk

              • Die 3 Folgevorstellungen sind ziemlich gut verkauft, dank dieses Artikels:))
                singt auch der „Original“Marcel Jerkunica, aber ich glaube, die beiden nehmen sich nichts.
                Der Tenor könnte so eine Karriere machen, wie seinerzeit, nach der Premiere, der alten Inszenierung, Richard Leech.
                Leider liegen die anderen Vorstellungen für mich doof, entweder zusammen mit dem Propheten oder Dinorah.
                Müsste dann Sonntag, aber da ist es auch recht voll

Schreibe einen Kommentar