Lustmonströs: Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“ an der Staatsoper

Drei Großbühnenwerke hats, nebst jeder Menge Kammer- und Instrumentaljuwelen, als Hauptereignisse bei den Barocktagen der Staatsoper. Aber sashawaltz-choreografierter Orfeo hin, event-overkillte Rameau-Premiere her: Claudio Monteverdis L’Incoronazione di Poppea in der lustvoll konzentrierten, wohltuend professionellen Regie von Eva-Maria Höckmayr ist die mit Abstand gelungenste der drei Produktionen. Eine Arbeit, an der alles, aber wirklich alles passt. Das macht sie sogar weit über Barock und Linden hinaus zu einer der attraktivsten Angelegenheiten, die man derzeit auf Berliner Opernbühnen erleben kann.

Hier ist nämlich Regie statt ambivalenter Choreografie (wie bei Waltz) oder übler Verlichterung (wie bei Elíasson/Collins). Alles spielt auf einer angeschrägten goldenen Bühne (Jens Kilian), über drei Stunden lang. Aber bei Eva-Maria Höckmayr, die kein Star ist, sondern ein Profi, kommt keine Sekunde Langeweile auf. It’s the Personen- und Lichtführung, stupid! Wenn mans denn kann, und das ist hier der Fall. Das ganze Ensemble hält sich durchgehend auf der Bühne auf. Das ist auch eine Ausdauerleistung, denn bis zur Pause sinds allein schon fast zwei Stunden. Sie ist aber kein Selbstzweck, sondern dient auf so beharrliche wie unaufdringliche Weise dazu, das Beziehungsgeflecht in diesem komplexen Drama zu durchleuchten. Ebenso unermüdlich und elegant erhellt das Licht (Olaf Freese und Irene Selka) das innere und äußere Geschehen. Tempo und Witz hats überdies; bis hin zur kleinen Drehbühne vorne, auf der das Dienerpaar Valletto/Damigella lustvoll kreist, während auf der großen Drehbühne sich Nero und Poppea monströs verlustieren.

Aber was heißt da monströs? Monströs ist hier die bösartige Unschuld, in der diese schönen Übermenschen sich ausleben. Die beiden Hauptrollen sind gegenüber der Premiere vor einem Jahr neu besetzt, und wohl nicht zu ihrem Nachteil. Es funkt und knistert derart zwischen Kangmin Justin Kim und Roberta Mameli, dass eigentlich die Feuerpolizei eingreifen müsste und die Sittenpolizei sowieso. Die Stimmen der beiden sind unverschämt beweglich, ihre Körper auch. Gerade Kim legt den Akzent seiner Figur aufs kindisch Lustvolle, dass es aufs Unbeschwerteste teuflisch wirkt – ein Anti-Don-Giovanni. Und wie Mameli es schafft, ihre aggressiv glanzvolle Schönheit ganz plötzlich ins Gebrochene umkippen zu lassen, ist atemberaubend.

Das kann Seneca nicht gutheißen!

Der Gesang wirkt in der ganzen Besetzung idiomatisch, das gesungene Italienisch scheint großteils trefflich. Neben den sehr einnehmend sich seelenquälenden Ottavia (Katharina Kammerloher) und Ottone (Xavier Sabata) überraschen einige kleinere Rollen mit hervorragenden Leistungen, namentlich Sophie Junker als energiegeladene Drusilla und Adam Kutny als diabolischer Lucano. Die Rolle des besonnen schreitenden Vernunftbolzens  Seneca passt indes wunderbar zum Habitus des Sängers Franz-Josef Selig, der hier was wohlsonor Selbstironisches hat. Als Leiche, die nach der Pause auf der Bühne zu liegen hat, lässt er sich aber doch doubeln (schön im Komparsen-Verzeichnis: Seneca-Leiche – Klaus Schabinski).

Sehr lustig, wie zu Beginn der Oper die zankenden Rotzgören Fortuna, Virtù und Amore von kompetenten Kindern aus dem Kinderchor der Staatsoper nicht nur dargestellt, sondern auch gesungen werden – zumindest die ersten Verse, mit allen gesanglichen Nebenwirkungen, die das in solch anspruchsvollen Partien hat. Am anderen Ende der Rotz-Skala scharwenzeln die beiden travestierenden Ammen; wobei die der Poppea von Mark Milhofer restlos begeistert, während die der Ottavia von Jochen Kowalski eher ein nostalgisches Kuriosum ist.

Da von Monteverdis Oper nur Generalbass und Singstimmen erhalten sind, hören wir eine Aufführungsfassung von Andrea Marchiol und dem Dirigenten Diego Fasolis. Das ist mit viel Farbe und Witz instrumentiert, voller tolldoller Blecheffekte oder unerhörter Karambolagen von schnarrendem Regal und sirpender Harfe. Und es ist, im Sinne der Aufführungspraxis des 17. Jahrhunderts, Musik anderer Komponisten eingebaut, Sinfonien, Ritornelle und Bruchstücke von Cavalli, Rosenmüller, Cesti, Krieger u.a. eingefügt: originalgetreues Musizieren durch Treue zum Nicht-Originalen. Die Akademie für Alte Musik ist mit begeisternder Spiellaune und Lust am Tänzerischen dabei.

Großartig schließlich das berühmte Schlussduett von Nero und Poppea: hier gegen den Strich gebürstet, ja gebrochen – erst ungewohnt beschleunigt, eine Mischung aus Geilheit und Angst, dann zu Tode verlangsamt. Das alles, wie die Schlusspointe der Regie, ohne dem Stück und der Musik Gewalt anzutun. Meisterlich ist das – oder einfach: gut, wenn man Fachleute ranlässt. Ein gesegneter Abend.

Schlatz zur Wiederaufnahme der Poppea. Noch zwei Aufführungen am Mittwoch und Samstag.

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