Galantwindig: Les Musiciens du Louvre retten zweimal Rameau

Endlich ungetrübter Rameau-Genuss bei den Barocktagen der Staatsoper! Zwei Tage nach der durch Regiepfusch versaubeutelten Premiere von Hippolyte et Aricie. Ólafur Elíassons Diskokugel hängt noch an der Decke des Großen Saals, doch diesmal kann sie keinen Schaden anrichten; es sei denn, sie stürzte herab und erschlüge Marc Minkowski, den liebenswerten Fondateur et Directeur der in Grenoble ansässigen Musiciens du Louvre. Bevor’s losgeht, hält er eine kuriose Eingangsrede. Aufs Inhaltliche reduziert dürfte das die sinnloseste Einführung aller Zeiten sein; aber es kommt hier nicht aufs Was an, sondern aufs Wie.

In ziemlich aleatorischem Franko-Denglisch spricht Minkowski über die Symphonie imaginaire, die er bereits 2005 aus 17 Instrumentalsätzen von Jean-Philippe Rameau zusammengestellt hat (es gibt eine Aufnahme davon). Da Rameau Orchestermusik nur für seine Ballett-Opern geschrieben hat, stammen die Stücke der imaginären Sinfonie von der Bühne, ein paar Transkriptionen seiner Cembalomusik kommen dazu. Das kann man im Programmheft lesen. In Minkowskis charmanter Rede schnappt man auf, dass Rameau the most important composer of all times sei, together with Debussy, Ravel, Berlioz. Das Prélude aus dem 5. Akt der Boréades ein 18th century Stravinsky, alles kapoutte, Bach-Contrapünkt im Ritournelle aus Hippolyte et Aricie, die Rigaudons aus Naïs very cool dance music, und Orage aus Platée: Sturm, catastrophe!

Der schöne Fall liegt hier vor, dass man kaum ein Wort versteht, aber stundenlang zuhören möchte.

Und zuschauen: Minkowski ist eine barocke Erscheinung, aber er hat was von dem korpulenten Jungen, der im Schwimmbecken den drahtigen Klassenkameraden locker davonkrault. Bei geradtaktigen Stücken wogt sein Oberkörper so schwungvoll links rechts, links rechts, dass man fürchtet, die Fugalkraft könnte ihn aus der Pendelbahn reißen. Aber nix da, Musik macht schwerelos. Zumal Rameau. Dem mag man erst zuhören!

Und muss mitwogen, mitpendeln, schwingen, es geht nicht anders bei dieser fabelhaften Aufführung. Wie luftig sich die bekannte Contredanse aus Les Boréades dreht! Wie die Flöten in den Gavottes pour les Heures et le Zéphirs den Wind tanzen lassen! Wie elegant die Streicher in den Tambourins aus Dardanus davonpfeifen! Bei einer Musette der Terpsichore, der Muse des Tanzes, hört man im 1. Rang einen Säugling, den wohl jüngsten Besucher des Konzerts, behaglich im Schlussakkord seufzen. Aufregende Orchestermischungen sind das bei Msr Rameau, scheinbar ganz unbarock, seiner Zeit voraus; oder wir sind der Barockzeit halt hinterher. Besonderen Eindruck machen die hervortretenden Fagotte, zu viert etwa in der Trauermusik aus Castor et Pollux, die hier als zweiter Satz daherkommt.

Minkowski und sein Orchester verstehen sich blind im besten Sinn. Wenn Le Chef reinpeitscht wie Zeus als Dirigierstabwerfer, blitzt es im Orage.

Gibt es, fragt man sich jetzt, beglückendere Musik als Rameau? Und war der Instrumentalkomponist Rameau dem Vokalkomponisten wirklich derart überlegen, oder konnte der gut gesungene, aber (erwähnten wir es schon?) durch Regiesaubeutelei verpfuschte Hippolyte einfach keinen angemessenen Eindruck vermitteln? Dabei machte das Freiburger Barockorchester dort einen trefflichen Eindruck. Den Musiciens du Louvre freilich scheint das Rameau-Idiom noch natürlicher zu fließen.

Die Rameau-Freude setzt sich am folgenden Vormittag in kleinerer Runde im Apollo-Saal der Staatsoper fort: Da führen Louvre-Musiker die Pièces de clavecin en concerts in einer Transkription für Streichsextett auf; Übertragungen vermutlich eines Monsieur Decroix von 1768, von denen es im Programmheft in gewinnender Ehrlichkeit heißt, sie zeichnen sich nicht durch übermäßige Kunstfertigkeit aus. Tatsächlich machen die 16 Stücke nicht so viel Wind wie die Orchesterstücke oder auch die puren Cembalosachen, sondern strömen galant daher. Das heißt aber nicht, dass sie undifferenziert klängen. Auf die gedämpften Rondeaux La Timide setzt es perkussiv-fiedelige Tambourins. Vor allem aber sind alle Stücke in sich selbst reich an Andeutungen und -spielungen, sei es in der Charakterisierung einer Pantomime oder eines fiktiven Perserkönigs. Die meisten Pièces zeichnen Frauen: von der schnatternden Indiskreten bis zur vor Geist und Charme sprühenden Madame Rameau.

Der Apollo-Saal ist ein formidables Ambiente für so eine unterhaltsame Vormittagsmusik. Dass die Musiciens du Louvre auch 19. Jahrhundert können, zeigen sie indes im zweiten Teil des vorabendlichen Konzerts im Großen Saal: nach der imaginären Sinfonie eine waschechte, eine klassische, romantische, Schottische – die 3. Sinfonie a-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy. Eine schöne Aufführung, die freilich auch Zweifel daran weckt (oder bestärkt), ob der Große Saal der Staatsoper der richtige Saal für romantische Sinfonik ist. Denn die Mischklänge, vor allem im Kopfsatz, neigen eher zum Vermantschen als zum Verschmelzen, und die Tutti knallen manchmal undifferenziert, auch wenn sie differenziert gespielt scheinen. Aber fein, diese historischen Klarinetten zu hören, die es zu Rameaus Zeiten noch nicht gab. Und dolles Wind- und Sturmgebraus in der Coda des Kopfsatzes!

Auch das sympathisch: Minkowski lässt im Schluss-Applaus auch die Streichergruppen einzeln aufstehen, nicht en bloc. Seinen Blumenstrauß schenkt er nicht einer ersten Spielerin weiter, sondern trägt ihn zu einer Geigerin in der 5. Reihe. Umd dem deutschen Publikum erlaubt er bei der Zugabe (den schon in der imaginären Sinfonie genossenen Sauvages) sogar das Mitklatschen. Wenn das mal so schwerelos gelänge wie den Musiciens du Louvre ihr Rameau!

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Ein Gedanke zu „Galantwindig: Les Musiciens du Louvre retten zweimal Rameau

  1. Eine Konzertbesprechung, die mein Empfinden gestern Abend exakt trifft (auch hinsichtlich der Akustik im Saal der Staatsoper) . Danke! Ihr Sitznachbar drei Plätze weiter rechts.

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