Amormartialisch: Monteverdi mit Jordi Savall & Le Concert de Nations

Die Barocktage der Staatsoper auf der Zielgeraden: Nach dem starken L’Orfeo, der noch stärkeren Poppea sowie dem weniger starken Hippolyte widmen sich einige intimere Konzerte nochmals den Schwerpunkte Monteverdi und Rameau. Während Christophe Rousset, solo und mit Ensemble, am Freitag und Sonntagnachmittag zweimal französischen Hochbarock im Apollosaal aufführt (Bericht folgt), gilts bei Jordi Savall und Le Concert des Nations im Pierre-Boulez-Saal zwei Stunden lang Krieg und Liebe: Madrigali guerrieri et amorosi aus dem VIII. Madrigalbuch von Claudio Monteverdi.

Ausnahmsweise mal kein Amphitheater, sondern ein klassisches Frontalkonzert. Wird die flexible Raumaufteilung im Boulezsaal nicht zu selten genutzt? Amphi ist der Standard, Frontal die Ausnahme. Die Vorteile des letzteren werden aber gerade bei einer Aufführung von Vokalmusik sehr deutlich. Wer will schon Sänger von hinten hören?

Die sieben Solisten der Capella Reial de Catalunya zeichnen sich durch hohe und einheitliche Stilsicherheit aus, die man in dieser Form auf der Opernbühne während der Barocktage noch nicht erleben durfte (am ehesten bei der Poppea). Dennoch ist anfangs ein deutliches Gefälle wahrzunehmen, einfach weil die Mezzosopranistin, die beiden Tenöre und der Bass ins Publikum singen, hingegen der Sopran, Countertenor und Bariton in die Notenbücher; die Unausgewogenheit wird auf dem Rang stärker zu spüren sein als im Parkett. Das gilt zumindest fürs erste Stück, Altri canti di Marte, das zu einer herausfordernden Hörerfahrung wird, auch weil durch die Aufstellung der Instrumente (die beiden Violinen ganz hinten) die tiefen Lagen übergewichtet wirken.

Sei morto, wenn du das genau anschaust…

Aber es justiert sich bald – entweder das Ohr des Hörers oder das Spiel des Ensembles, oder alle beide. Und so entfaltet die Musik, die dem Wechselspiel von Krieg und Liebe nachspürt, ihre betörenden Reize: Battaglische Klänge durchstürmen das Besingen von Frauen, der tückische Feind Amor bestürmt Herzensfestungen, schöne Augen werden zu Männerseelen durchbohrenden Waffen. Die tiefe Lage von Bass und zwei Tenören stürmt dem Feind noch mutig zu Pferde entgegen im cava-cava-cavall-Galopp, um bald darauf nur noch zärtlich erotische Glückseligkeit zu beseufzen: sei morto, der Tyrann ist Sieger im Kampf.

Jordi Savall, ein Mann des Friedens, der enorme Kompetenz mit einer geradezu rührenden Ausstrahlung menschlicher Wärme verbindet, dirigiert mit dem Bogen von der Seite, wenn die Altviola zwischen seinen Beinen Pause hat. Das Concert des Nations spielt bis zu neunt, neben sechs Streichinstrumenten sind Cembalo, Theorbe (oder Gitarre) und eine zauberhafte Doppelharfe dabei, die in den hohen Tönen einer Zither ähnelt. Und tatsächlich ist in diesem kunstvollen, gelehrten Musizieren nichts Gekünsteltes oder Belehrendes. Pures Glück ist das heitere Himmelsfunkeln, mit dem die drei Zupfinstrumente Volgendo il ciel eröffnen, oder kurz darauf so eine Art venezianisches Girlandenpingpong zwischen Savalls Altviola und Manfredo Kraemers Violine quer über die Bühne. Das lange, weiche Nachklingen der historischen Instrumente am Ende jedes Stücks ist ein Elysium für sich.

Das siebenköpfige Sänger-Ensemble der Capella Reial de Catalunya erreicht den Gipfel seines Zusammenwirkens im letzten Stück, Hor che’l ciel e la terra nach Petrarca, wenn es mit leuchtender Bildkraft die Nacht silberneblig hereinbrechen lässt und Klangflächen süßen Liebesschmerzes entfaltet. Geradezu hypnotisch die Wirkung des Lamento della Ninfa aus L’Orfeo, mit der Sopranistin Monica Piccinini als Nymphe, die umgeben ist von langen, tiefen Strichen der Gambe sowie drei Männerstimmen, die vom anderen Ende des Saals echoen und reflektieren.

Mörderischer Tancredi (links), schönbrüstige Clorinda (rechts), in der Mitte der Geist des Rezitativs.

Zuvor aber der Höhepunkt des klug komponierten, abwechslungsreichen Konzerts – großes Kino: Il Combattimento di Tancredi e Clorinda. Da merkt man erst, was für ein phänomenaler Sänger der im Ensemble zurückhaltende Bariton Furio Zanasi ist: als fesselnder Kinoerzähler, der mit seiner angenehm reifen Stimme Torquato Tassos Text so nuancenreich rezitativisch singt, dass einem glatt die Luft wegbleibt. Bei den Melismen des Wortes notte, der der Erzähler die Erinnerung an jenes ungeheure Ereignis entreißt, da Tancredi auf den Tod kämpft mit Clorinda, die er für einen Mann hält. Wir erstarren mit den Kämpfenden, ringen um Atem – und sind untröstlich, als Tancredi die Schwertspitze in Clorindas schöne Brust stößt. Wie ihr Fuß, so knickt die Stimme des Sängers ein. Tancredi aber bringt der Sterbenden Wasser, segnet sie, und die Mezzosopranistin Maria Beate Kielland singt ergreifend Clorindas letzte Worte, Worte des Friedens, eine vibratofrei erschütterungslose Himmelslinie.

Im Publikum sind auch Sasha Waltz und Jochen Sandig; und sollte Waltz auf der Suche nach einem neuen Stück für eine choreographierte Oper sein, so würde sich, trotz seiner Kürze, dieses schillernde Epos mit seinen großen Fragen ans Sein von Mann und Frau und Liebe und Krieg ja geradezu aufdrängen.

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